Es gibt nur wenige Gründe, welche dazu verleiten einen Ausflug in die tristen Vororte von Paris zu unternehmen. Ein Ring aus Wohnsilos, Industriegeländen und Shoppingtempeln umgibt die französische Hauptstadt.
Einer dieser wenigen Gründe liegt etwa 25 km südlich vom Stadtzentrum zwischen den Orten Linas und Montlhéry und nennt sich «Autodrome de Linas-Montlhéry». Auf dieser einzigartigen Anlage wurde am 9./10. Mai das «Vintage Revival Montlhéry» abgewickelt. Eine Veranstaltung welche im Zweijahres-Rhythmus ausgetragen wird und ausschliesslich Vorkriegsfahrzeugen vorbehalten ist.
Fahrzeuge bis Baujahr 1939
Die diesjährige Startliste umfasste 330 Fahrzeuge der Jahre 1886 bis 1939 und zeigte die ganze Palette an Fahrzeugtechnik der damaligen Zeit. Marken wie Mors, Darmont oder Alcyon sind heute nur noch Kennern ein Begriff.
Auf der anderen Seite waren renommierte Namen wie Bugatti, Maserati und Amilcar mit mehreren Fahrzeugen am Vintage Revival vertreten. Besonders geehrt wurde 2015 die Vorkriegsmarke Salmson.
Die meisten Teilnehmer reisten schon am Freitag an und absolvierten mit ihren Fahrzeugen gleich die technische Kontrolle. Am Samstag und Sonntag standen je zwei Läufe zu 15 Minuten auf dem Programm. Die Autos waren in Gruppen zu 40 Wagen eingeteilt. Die Motorräder starteten in einem grossen 90er-Pulk.
Tempo, Tempo!
Nach der ersten Runde hinter dem Pace Car hiess es Start frei und jeder konnte sein eigenes Tempo fahren. Und Tempo heisst wirklich Tempo! Fahrer und Fahrzeuge wie der Maserati 8CM oder der Bugatti Type 59 GP belegten eindrücklich, dass schon vor dem Krieg innovative, technisch brillante und schnelle Rennwagen gebaut wurden.
Auf der anderen Seite stehen die filigranen, ja geradezu zerbrechlich wirkenden Cycle Cars mit drei oder vier Rädern. Die Cycle Cars schlossen technisch gesehen die Lücke zwischen dem Motorrad und dem Automobil. Angetrieben werden sie von Einzylinder- oder V2-Motoren welche eigentlich für Motorräder konzipiert wurden. Fahrer und Beifahrer sassen oft nicht neben- sondern hintereinander.
Einmalige Anlage
Es sind aber nicht alleine die Fahrzeuge welche einem am «Vintage Revival Montlhéry» in den Bann ziehen. Die Atmosphäre ist legere und gemütlich. Die historische Rennstrecke mit zwei Steilwandkurven von 500 m Durchmesser ist in ihrer Art einmalig in Europa. Da kann man verschmerzen, dass heute nur noch eine der beiden Steilwandkurven befahrbar ist. Gegenüber der letzten Austragung wurde der Streckenverlauf modifiziert.
Um die hohen Geschwindigkeiten in der Steilwandkurve zu reduzieren, wurde in Kurvenmitte eine zusätzliche Schikane eingebaut. Eine Änderung welche nicht alle Piloten begrüssten, konnten sie doch so die Steilwandkurve nicht mehr in einem Zug durchfahren.
91 Jahre alt
Vor gut neunzig Jahren waren permanente Rennstrecken noch eine Ausnahme. Rennen und Testfahrten fanden auf öffentlichen Strassen statt. Da Paris damals ein Zentrum der aufstrebenden französischen Fahrzeugindustrie war, drängte sich der Bau einer solchen Renn- und Versuchsstrecke richtiggehend auf.
Im Jahre 1923 kaufte der Unternehmer Alexandre Lamblin ein grosses Grundstück auf einem Hochplateau zwischen den Ortschaften Linas und Montlhéry. Lamblin war mit der Herstellung von Kühlern für Flugzeugmotoren erfolgreich und amtete auch als Herausgeber der Zeitschrift «l´Aerosport».
Er beauftragte den Ingenieur Raymond Jamin mit dem Bau der Strecke. Das «Autodrome de Linas-Montlhéry» wurde 1924 nach nur sechs Monaten Bauzeit eröffnet.
Die Anlage besteht aus zwei gewaltigen Steilwandkurven welche mit 180 m langen Geraden verbunden sind, was eine Streckenlänge von gut 2500 m ergibt (an der oberen Pistenbegrenzung gemessen). Die Strecke ist zwischen 18 und 21,5 m breit. Anders als in Brooklands, wo die Steilwandkurven in die Landschaft eingebettet wurden stehen die Steilwandkurven in Montlhéry auf filigranen Betonstützen.
Schon ein Jahr nach der Eröffnung stellte Mrs. Gwenda Stewart einen Streckenrekord auf, welcher lange Zeit bestand hielt. Mit einem Derby, angetrieben von einem Miller Motor, erreichte sie eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 234,861 km/h. Bald nach Inbetriebnahme wurde das Oval mit einem Strassenkurs auf eine Länge von 12,5 km erweitert.
Gefährliche Strecke
Die Strecke forderte leider auch immer wieder Opfer. Ein Jahr nach der Eröffnung verunfallte Antonio Ascari der Vater des späteren F1 Weltmeisters Alberto Ascari tödlich in Montlhéry.
Die technische Entwicklung der Rennwagen verlief rasant und bald waren die erzielten Geschwindigkeiten zu hoch. Also baute man Mitte der 30er Jahre drei künstliche Schikanen ein. Dies half aber wenig und so wurde die Piste 1938 für die schnellen Monoposto-Rennwagen gesperrt.
Ein Jahr später verkaufte Alexandre Lamblin die ganze 750 Hektar grosse Anlage dem französischen Staat, welcher die Rennbahn sofort dem Kriegsministerium unterstellte und sie für die folgenden Jahre stilllegte.
Nach dem Krieg übernahm die UTAC (Union Technic pour Auto, Moto et Cycle) die Rennstrecke. Die Anlage wurde renoviert, ein Zeitnahmeturm und eine Tribüne erstellt. Allerdings blieb die Strecke nach wie vor gefährlich. Im Jahre 1964 kam es zur Katastrophe als Peter Lindner in der 83. Runde ausgangs Steilwandkurve die Kontrolle über seinen Jaguar verlor. Er kollidierte mit Strohballen, welche als Abgrenzung zur Boxengasse dienten. Sein Wagen wurde durch die Luft geschleudert und prallte auf den Rennwagen von Franco Patria. Beide Piloten und drei Streckenposten starben. Als Ursache für die Kollision wurde ein Materialbruch an der linken Hinterradfelge von Lindners Jaguar ermittelt.
In Montlhéry wurde bis 1971 auch das Langstreckenrennen «1000 km von Paris» ausgetragen, obwohl die unebene Betonpiste für diese schnellen Prototypen denkbar ungeeignet war.
Unsichere Zukunft
Heute ist die Zukunft der Strecke unsicher. Der Zustand der beiden Steilwandkurven ist desolat. Die Westkurve wird an Veranstaltungen nicht mehr befahren. Stattdessen werden die Piloten nach der Start- Zielgeraden auf eine Verbindungsspange geführt, welche sie wieder zur Ostkurve zurückbringt.
Es gab Bestrebungen die ganze Anlage niederzureissen und das Gelände anderweitig zu nutzen. Ein neu erbauter Pavillon und die vor kurzem zusätzlich installierten Fangzäune lassen aber die Hoffnung aufkeimen, dass diese einmalige Anlage noch einige Jahre weiterbestehen wird. Zu wünschen wäre es!
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Ich denke man muss es erlebt haben um die Magie der Veranstaltung zu verstehen. Ein Freilichtmuseum und eine riesige Horde Enthusiasten machten das Wochenende zum Genuss.
Schon ist auch das fast vollständige Fehlen von Markensponsoren und Promis...