Morgens um 9.00 Uhr, als das Val Roseg vis-a-vis von St. Moritz langsam das erste Sonnenlicht auf den berühmten See und etwa 48 dort versammelte, traumhafte Karrosserien freigibt, da ist die winterliche Eislandschaft noch in Ordnung und vergleichsweise unberührt von dem, was der Tag noch bringen soll: Sanft driftende Fahrzeuge auf dem Eis im sogenannten „Dynamic Concours“, noch viel mehr Sonne und vor allem, zu warme Temperaturen für diese Jahreszeit.
Schon um kurz nach 9.00 Uhr am 25. Februar 2023 dröhnen prompt die ersten Ferrari, Maserati und Lamborghini-Aggregate und vielleicht trägt auch der Klangteppich zur beschleunigten Eisschmelze bei.
Unser Besonderes Augenmerk gilt einem der „one off“ Fahrzeuge, dem Lamborghini Miura P400S Millechiodi. Es ist ein vom Werk penibel überprüfter, zertifizierter Jota-Umbau und ein Unikat. Der Begriff Millechiodi bezieht sich dabei auf unzählige Nieten, welche ähnlich wie im Flugzeugbau die Aluminium-Elemente der Karosserie auf schönste Art miteinander verbindet.
Der Wagen hatte eine bewegte Historie
Chassis 4302 verliess die Fabrik in Sant’Agata am 31. Oktober 1969 und wurde am 17. November 1969 an die Vertretung “Lamborauto” in Turin ausgeliefert. Nach einigen Besitzerwechseln kauften Giovanni Sotgiu und Walter Ronchi 1975 den dunkelblauen (“Blu Notte”) Miura P400 S. Diese beiden hatten auch den Jota von Bob Wallace im Besitz.
In der Folge bauten Sotgiu und Ronchi den unfallbeschädigten Miura den Ideen des Jota folgend aufwändig um. Als Farbe entschieden sie sich für dunkelgrün und erhielt wegen der vielen verwendeten Nieten den Übernamen “Millechiodi”. Von anderen Miura unterscheidet den Wagen auch der grosse Frontspoiler und die verbreiterte Karosserie. Der Schnelltankstutzen, den er einst wie der Jota hatte, fehlt heute. Dafür trägt er immer noch die runden doppelten Heckleuchten, welche die integrierten Leuchteinheiten der normalen Miuras ersetzen.
Im Jahr 2018 wurde der Wagen restauriert und natürlich baute man ihn nicht auf Standard-Spezifikation zurück, sondern bewahrte seine Individualität.
Ahnenforschung ab Werk
Lamborghini ist aktuell übrigens in der Automobilwirtschaft vorbildlich im Umgang mit der Marken-Historie und hat in 2015 eigens eine Abteilung gegründet zur „Ahnenforschung“ und aktiver Unterstützung von Besitzern klassischer Lamborghini bis hin zur Komplett-Restaurierung. Genannt wird dies „Polo Storico“ und die Abteilung hat die letzte Restauration des Miura Millechiodi stark unterstützt und zertifiziert.
Alessandro Farmeschi, Director After Sales, erklärt uns die Idee dahinter mit der Erkenntnis, dass etwa jeder dritte Neuwagenkäufer bereits Besitzer eines älteren Lamborghini ist und dass man überzeugt ist, Kunden wie Mitarbeitern ein Markenbild am besten über die Entstehungsgeschichte der Firma und ihrer frühen Produkte vermitteln zu können. Das zahlt sich offenbar auch aus, angesichts jüngster Gewinnsprünge der Marke.
Schön, würden dies auch gewisse deutsche Hersteller wieder stärker erkennen, nutzen und hier etwas investieren. Es erscheint schlicht überlebenswichtig, sich vor allem über Tradition von gesichtslosen Elektrofahrzeugen aus chinesischer Produktion und zum halben Preis abzugrenzen, um auch in Zukunft Kunden zu gewinnen.
Im Beifahrersitz
Kurz vor 11 Uhr geht es im Miura aufs Eis. Ich treffe Federico Buratti, seit 2015 der stolze Besitzer des Miura Millechiodi, Textilunternehmer - und doch wie er sagt, im Herzen Rennfahrer, für einige gemächliche Sonntagsrunden über den See. Die Miura-Tür öffnet sich so leichtgängig und widerstandslos, wie zuletzt in meinem Fiat Uno Turbo zu Studienzeiten.
Der Einstieg ist allerdings erheblich tiefer und umso bewegender - nicht nur aufgrund meiner jüngsten Bandscheiben-OP, sondern auch, weil der Ausblick aus diesem Fahrzeug und vor allem der Rückblick wie eine Zeitreise wirken; die Panorama Windschutzscheibe vor einem, die Ansaugtrichter des leistungsgesteigerten 4.1 Liter Mittelmotor V12 mit für diese Zeit sagenhaften 440 PS nur wenige Zentirmeter hinter den Ohren, so dass man diese gefühlt einzeln ihre Arbeit verrichten hören kann.
Spalierfahrt mitten durch das Publikum
So müssen sich einst siegreiche Rallyefahrer gefühlt haben, so sehr werden Fahrzeuge wie dieser Miura vom Publikum bejubelt. Gut 10’000 Besucher, darunter die Fahrer und ihre Teams, Medienschaffende und viele Schaulustige füllen das langsam schmelzende Eis. Kurz muss ich an Greta Thunberg denken und wie sie einen Zusammenhang des warmen Alpenklimas im Februar mit grossvolumigen Motoren und dem CO2-Fussabdruck der Veranstaltung hätte in Szene setzen können.
Sie ist aber nicht angereist, um lieber in Norwegen einen neuen Windpark zu verhindern, der die Rechte indigener Völker verletzt. Auch wichtig für die Rettung des Klimas.
Dafür gibt es in St. Moritz begeisterte junge Menschen, grosse und kleine Jungs, die teils filmend hinter den Wagen herlaufen, um diesen besonderen Moment der greifbaren Nähe zu einigen exotischen Museumsstücken in Aktion und mit Klangteppich einzufangen.
Äusserst selten in Aktion zu bewundern sind schliesslich der Mercedes C 111-II, Marcello Gandinis extrem futuristischer Lancia Sibilo. der Ur-Stratos oder der Lincoln Indianapolis, alle mit uns auf der Piste, vor oder hinter unserem Miura. Das Ganze wirkt wie Pebble Beach on Ice - mit dem Unterschied, dass hier oben die Autos mit Verve und Lebensfreude gefahren werden und etwa ein Viertel der Fahrzeuge weniger als 10 km Anreise zu bewältigen haben; so gross ist die Dichte besonderer Fahrzeuge einiger Sammler vor Ort.
Ein Grinsen im Gesicht
Plötzlich lichtet sich die Menge und ein Ordner winkt uns aufs Eis - oder besser eine plane Piste aus Eis und Tiefschnee-ähnlichem „crushed-ice“, abwechselnd und teils mit dem Frontspoiler zu durchpflügen, alles gegen den Uhrzeigersinn. Federico blüht auf und spielt mit dem Gasfuss, wie ein Tänzer vor und zurück und gerade solange, bis das Heck den Blick der Passagiere kontrolliert auf die innere Zaunbegrenzung und die Köpfe nach rechts lenkt. Andere drehen sich auch schonmal ungeplant weiter oder bleiben im Eismatsch hängen, dessen Höhe am Nachmittag gefühlt das Doppelte der Bodenfreiheit mancher Fahrzeuge erreichen sollte.
Der Miura hält am späten Vormittag bestens die Spur und kommt auch wieder in Fahrt, nachdem der sommerbereifte Ferrari 166 MM „Uovo“ vor uns - wie in einen Frozen Daiquiri fahrend - immer langsamer wird und uns zur Vermeidung einer recht teuren Kollision zum Stillstand zwingt.
Ein Blick auf die nagelneuen Reifen des Miura mit dezenten Spikes, vermutlich in diesem Retro-Format zum Preis eines gebrauchten Mercedes GLA, erklärt unsere taktische Überlegenheit. Überraschend wenige Besucher und Fotografen verirren sich an den Rand der viel besser zu befahrenden hinteren Gerade, abseits des Publikums. Dieses kann sonst nur auf und ab laufend die fahrenden Kunstwerke bewundern, da die Tribünen, auf zuviel Schmelzwasser stehend, vorsorglich gesperrt worden sind.
Federico, wie viele hier oben heute sichtbar sonnenverbrannt, geniesst die perfekt quer fahrbare Kurve vor den Tribünen, schaltet einen Gang zurück, spielt hochkonzentriert mit dem Gasfuss und wirkt nachvollziehbar sehr glücklich. Er wisse nicht, sagt er, ob er am Nachmittag noch einmal auf die Runde geht. Er macht es doch. Und er hat viele gute Gründe. Wir freuen uns mit ihm - und bereits heute auf nächstes Jahr.
Siegen Nebensache
Am diesjährigen “The I.C.E.” am 24. und 25. Februar 2023 wurden auch Sieger erkoren und Trophäen verliehen:
Zum “Best of Show” wurde der einmalige und auch spektakuläre Lancia Stratos Zero gekürt, den “Open Wheels” Preis erhielt der Maserati 420M/58 “Eldorado Special”, in der Gruppe “Barchettas on the Lake” siegte der Ferrari 500 Mondial Series 2, bei den “Concept Cars and One-Offs” nochmals der Lancia Stratos Zero und als “Queen on Wheels” wurde der Bentley S1 Continential DHC bestimmt.
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