Man kann es sich heute kaum mehr vorstellen, aber vor etwas mehr als einem halben Jahrhundert florierte in der Schweiz das Karosseriebauer-Gewerbe. Rund 40 namhafte Firmen bauten auf Wunsch einer wohlhabenden Klientel elegante und besondere Karosserien, die meisten davon waren echte Einzelstücke.
Wollte der erfolgreiche Arzt oder Besitzer eines Industriebetrieb seiner Frau ein ungewöhnliches Geschenk machen, so wandte er sich an Herrn Graber in Wichtrach oder Walter Köng in Basel und liess sich bezüglich Wahl des Chassis und des Aufbaus beraten. Für die Farbwahl brachte die Gattin dann schon einmal ein Stoffmuster oder einen anderen Gegenstand mit, der als Vorlage dienen sollte.
Vom Modell zum Original
Der Karossier fertigte dann eine Stilstudie im Massstab 1:10, die dann auf Planzeichnungen in Originalgrösse übertragen wurde und als Vorlage für den Wagner diente, der ein Holzgerippe zimmerte, welches auf das angelieferte Chassis gesetzt wurde. Der Spengler trieb dann aus Stahlblech oder Aluminium die Karosserie, der Sattler nähte ein Interieur zusammen, der Lackierer fügte sorgfältig Lackschicht auf Lackschicht und nach einigen Tausend Stunden Arbeit entstand aus der Zusammenarbeit der verschiedenen Handwerker ein formschönes und besonderes Automobil, das man dann auch gerne an Concours d’Elégance Veranstaltungen zeigte.
Von der Politik gefördert
Konnten bis in die Dreissigerjahre noch Fahrgestelle aus einheimischer Produktion verwendet werden, mussten ab dann Chassis importiert werden. Um dem Gewerbe zu helfen, sah der Bundesrat im Jahr 1931 Zollerleichterungen für Fahrzeugeinzelteile und insbesondere Fahrgestelle vor, was es den Schweizer Karosseriebauern ermöglichte, zu konkurrenzfähigen Preisen Autos zu fertigen.
Bekannte und weniger bekannte Namen
Der bekannteste Schweizer Karosseriebauer war wohl Hermann Graber, dessen Entwürfe auch international sehr begehrt waren. Auch Gangloff, Köng, Italsuisse, Beutler, Worblaufen, Langenthal, Tüscher oder Reinboldt & Christé, um einige Beispiele zu nennen, erreichten internationales Renommee. Daneben gab es aber auch viele kleine Karosseriefirmen, die vor allem den lokalen Bedarf befriedigten, Alfred Hänni, Otto Heimburger, A. Ruckstuhl oder Heinrich Eckert etwa.
Aber spätestens in den Sechzigerjahren waren die handgearbeiteten Aufbauten preislich nicht mehr konkurrenzfähig, zumal auch die Serienproduktion immer variantenreicher wurde und Sonderkarosserien damit unwichtiger wurden.
Nur den wenigsten war es gegönnt, ihr Geschäft bis in die Neuzeit zu betrieben, einige wendeten sich Nutzfahrzeug-Aufbauten zu, andere diversifizierten ins Reparaturgewerbe.
Fast 40 rare Schweizer Karosserien im Pantheon
Fast 40 Fahrzeuge von 15 Karosseriebauern haben Stephan Musfeld und das Swiss Car Register zusammengetrommelt für die Sonderschau im Pantheon. Aber es ist nicht primär die Menge, sondern der Formenreichtum und die Vielfältigkeit, die begeistern.
Eine Reise durch Zeit und Geschmack
Angefangen bei einer Kutsche von Reinbolt & Christé aus dem Jahr 1870 bis zum Graber Alvis TF 21 von 1968 wird auch zeitlich ein grosser Bogen geschlagen und man kann die Entwicklung des Karosseriebauergewerbes über die Zeit betrachten und wie sie sich immer mehr vom Kutschenbau in Richtung Haut Couture entwickelte.
Interessant ist aber auch der Vergleich der Stile der verschiedenen Carrossiers, die meistens eigene Entwürfe als Grundlage für ihre Aufbauten verwendeten. Hermann Graber zum Beispiel fand eine gute Mischung zwischen Eleganz und Funktionalität, weit weg von der opulenten und ausschweifenden Ausprägungen der französischen Karosseriebauers wie Saoutchik oder Figoni.
Einige der ausgestellten Fahrzeuge hat man noch kaum je gesehen und sie stellen damit besondere Highlights dar. Und mit dem Opel Kadett A Spider, den Pietro Frua gezeichnet und Italsuisse gebaut hat, kommt auch noch eine Prise “Italianita” in die Ausstellung.
Der Vollständigkeit sei hier die Liste der ausgestellten Fahrzeuge, die von Sammlern und Museen beigesteuert wurden, aufgeführt:
- Gebrüder Beutler, Thun
Lancia Aurelia 1955
Porsche 356/2 003 Gmünd 1949
VW 1959 - F. Brichet, Genf
Delage DE 1923 - Gangloff, Genf
Terraplane 1934 - Carrosserie Ghia SA, Aigle und Lugano
MG TD 1953 - Hermann Graber, Wichtrach
Packard 1101 1934
Delahaye 135 MS 1939
Bentley Mk VI 1952
Alvis TC 21 1953
Alvis TC 108 G Super 1957
Alvis TE 21 1964
Bugatti 57 1936
Alvis TF 21 1968
Rolls-Royce 20 hp 1926
Talbot-Lago Grand Sport 1953
Triumph Continental 1937
Bentley R-Type Continental 1955 - Jean Gygax, Biel
Vauxhall ASX 1933 - Alfred Hänni, Zürich
MG PA 1934 - Höhener, St. Gallen
Lancia Lambda 1929 - Italsuisse, Carouge
Opel Kadett A Spider (1964) (Pietro Frua) - Walter Köng, Basel
Bentley 4 1/4 Litre 1936
Delahaye 135 MS 1946 - Carrosserie Langenthal, Langenthal
Plymouth PE 1934 - Reinbolt & Christie, Basel
Kutsche 1870
MG WA 1939 - Alfred und Fritz Tüscher, Zürich
SS 2 1/2 Litre Jaguar 1937
Delahaye 135 Coupe des Alpes 1938
Plymouth P6 Deluxe 1938 - Wenger, Basel
Salmson GSS 1926 - Fritz Ramseier & Cie., Worblaufen
Alfa Romeo 6C 2300 B 1938
Lancia Aurelia B52 1953
Citroën Traction Avant B52 1953
Peugeot 203 1949
Ein Katalog der Superlative
Als wäre die Ausstellung noch nicht sensationell genug, haben Stephan Musfeld uns sein Team auch noch einen 140-seitigen Katalog zusammengestellt, der alleine schon eine Reise nach Muttenz (bei Basel) wert ist. Hier sind alle nahmhaften Schweizer Karosseriebauer aufgeführt und charakterisiert und natürlich findet sich auch manch Interessantes zu den Ausstellungsobjekten, die zudem auch fotografisch Eingang in den Katalog finden. Viele Archivaufnahmen, Firmenlogos und weitere interessante Details runden den Katalog ab, in dem man auch lange nach Rückkehr aus der Ausstellung noch gerne blättert.
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