Nun, so schlimm wie es hätte kommen können, kam es nicht. Petrus hatte ein Einsehen und liess es am 6. Mai 2012 nur sporadisch regnen, was den Organisatoren der beiden Autotreffen “American Live” und “Italiauto” sicher entgegenkam. Und dem Besucherstrom nicht allzu abträglich war.
Zwei Nationen, zwei Treffen
Amerika und Italien - zwei Länder, rund 7’000 km voneinander entfernt, doch am ersten Sonntag im Mai musste man nur 11 km zurücklegen, um von der einen in die andere Kultur zu gelangen. Während sich die US-Cars in Oensingen trafen, versammelten sich automobile Schönheiten aus Italien in Wangen an der Aare.
“Huge” und “Great” versus “Piccola” und “Esclusivo”
Trotz der geografischen Nähe könnten die Unterschiede zwischen den beiden Treffen kaum grösser sein. Während sich im Industriegebiet von Oensingen, umgeben von kaum älter als 10- oder 20-jährigen schlichten Zweckgebäuden, rund 2'000 grosse und riesige amerikanische Automobile (und ca. 25'000 Besucher) versammelten, fand in Wangen in einer malerischen Altstadt voll Tradition und Geschichte eine knapp dreistellige Zahl italienischer Preziosen zusammen.
Während die US-Cars mit Grösse und Hubraum, ganz nach der Weisheit “nothing is better than cubicinches” (frei übersetzt: es geht nichts über Hubraum) protzten, glänzten die italienischen Fahrzeuge mit kompakten bis kleinsten Ausmassen und mechanischen Kunstwerken als Motor.
Die Pflichtenhefte der Automacher beidseits des Atlantiks unterschieden sich vor Jahrzehnten fundamental. In der gleichen Zeit, da ein Cadillac Eldorado oder selbst eine biedere Familienlimousine von Oldsmobile Gardemasse um fünf Meter oder darüber annahmen, fertigten die Turiner auf weniger als drei Metern Länge Kompaktfahrzeuge mit Platz für vier Personen. Und Carlo Abarth tat das seinige, um aus den kleinen Motoren sportwagenmässige Leistungswerte herauszuholen, die auch manchem mächtigen Achtzylinder-V-Motoren der Amerikaner gut angestanden hätte.
Tuner und Puristen
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden versammelten Kulturen dürfte der Umgang mit Geschichte und Tradition sein. Während die US-Car-Gemeinde generell recht flexibel über die Originalität ihrer Fahrzeuge denkt, Hotrods, Custom Cars und moderne chromglänzende Felgen seien hier als Beispiele genannt, geht den Anhängern italienischer Klassiker fast nichts über einen historisch korrekten Zustand ihrer Fahrzeuge. Obschon es auch hier Ausnahmen gibt, wie ein gewaltiger Subwoofer im Kofferraum eines kleinen Fiats bewies, der auch manchem Ami-Fan imponiert hätte. Leistungssteigerung, Veredelung und Modifikationen sind Teil der US-Fahrzeug-Kultur, so nahm denn gerade dieser Aspekt am Treffen in Oensingen wieder einen grossen Platz ein.
Viel fürs Auge
Sowohl den Amerikanern wie den Italienern darf man zugute halten, dass sie mindestens so sehr für das Auge bauten, wie für die Vernunft. Chrom war in der alten wie in der neuen Welt ein wichtiges Gestaltungselement, Karosseriedetails wie Heckflossen oder kunstvoll gestaltete Kühlergrille erfreuen das Auge noch heute.
In Oensingen und Wangen bekamen die Zuschauer echte Raritäten zu Gesicht, seien das ein Hudson Commodore, eine Meute von Dodge Charger, darunter das Filmauto von “Fast and the Furious”, oder etwa zwei Sonderkarosserien auf dem Alfa Romeo 6C 2500, gestaltetet von Pinin Farina und Herrmann Graber. Oder wann konnte man letztes Mal ein NSU Fiat Weinsberg Coupé von 1960 sehen?
Dass weder amerikanische noch italienische Autos marottenfrei sind, zeigte der knapp vor der Einfahrt in Oensingen schlappmachende Ford Torino und der wegen Zündschwierigkeiten gar nicht erst bis Wangen gelangte Maserati Sebring.
Verpflegung auf amerikanisch und italienisch
Nicht nur fürs Auge wurden an den beiden Treffen gesorgt, sondern auch für den Magen. Während sich die “Amerikaner” an einem Steak sättigen konnten, gab es für die “Italiener” Penne und Käse.
Gemeinsame Liebe
So verschieden die Leute und die Fahrzeuge an den beiden Treffen gewesen sein mögen, am Ende des Tages eint die Liebe zum Fahrzeug und zum gepflegten “Cruisen” (oder auch sportlichen Fahren) die beiden Fangruppen.
Obschon kaum eine Durchmischung stattfand, dürfte doch so mancher Besitzer eines amerikanischen Klassikers auch Freude an italienischen Juwelen haben und der in Wangen präsentierte De Tomaso Pantera mit grossvolumigen US-Ford-Motor beweist, dass die Italiener schon früher gerne von den Amerikaner borgten. Die “Italianita” haben die Leute aus New York, Kalifornien oder Boston sowieso schon lange in ihre Kultur integriert, wieso sonst könnten sie von “american food like pizza” sprechen?
Auf ein Neues
Zum dreissigsten Mal fand American Live statt, während Italiauto auf eine achtjährige Tradition zurückschauen darf. Eine Fortsetzung ist beiden gewiss und das freut die Fans aus beiden Lagern.
Zu jedem der beiden Treffen sind auf Zwischengas eine ausführliche Fotogalerie mit insgesamt fast 150 Bildern vorhanden: