Mehr als 30 Jahre gab es bei Volkswagen für die Kunden keine grosse Motorenwahl. Luftgekühlt, hinten platziert, bildeten die 4-Zylinder die bodenständige Interpretation des Ferdinand Porsche für den angemessenen Antrieb eines VW Käfers. Bestenfalls noch hubraumoptimiert für die schwereren Typ 2 und 3. Erst durch die Übernahme der Auto Union im Jahr 1965 zog sowas wie Innovationsbereitschaft in Wolfsburg ein.
Letztlich waren es die Impulse aus der Ingolstädter Motorenentwicklung, die VW in den Siebzigerjahren den Weg in die Zukunft wiesen und den Konzern vor dem Untergang bewahrten. Aus dem Spannungsverhältnis Ingolstadt - Wolfsburg entstand alsbald ein Wettbewerb, bei dem man sich in Wolfsburg spätestens mit dem Erscheinen von Ferdinand Piëch als neuen Vorstandsvorsitzenden bis in die höchsten Sphären des vielzylindrigen Motorenbaus à la Bugatti 8.0 16 wagte. Ein Buch würdigt nun die Geschichte der Ottomotorenentwicklung bei VW seit den 70er Jahren.
Vorreiter in der Ottomotorenentwicklung
Michael Willmann und Eberhard Kittler geben mit diesem Buch eine zweite umfassende Chronik über die Motorenhistorie bei Volkswagen heraus. Bereits 2019 legten die Herausgeber einen 1. Band vor, der sich mit der Geschichte des Übergangs von den luftgekühlten auf die wassergekühlten Motoren bei VW befasste und anlässlich der Sonderausstellung »Generationenwechsel« in Wolfsburg herauskam.
Der Rezensent hat zu diesem ersten Band insbesondere die Modellentwicklung der neuen Generation von Polo bis LT beigetragen. Willmann, langjährige Führungskraft in der VW-Motorenentwicklung und verantwortlich für das G-Lader Programm, sowie Kittler, bis Ende 2020 Chef der Stiftung AutoMuseumVolkswagen, haben nun ein weiteres 240-seitiges Werk abgeliefert, bei dem man aus dem Staunen nicht heraus kommt.
Hightech im Volumen
Spätestens 1973 endet die Eindimensionalität des Käfers bei Volkswagen. Es folgt eine ausufernde Modellpalette, zunächst aus dem Triumvirat Passat (aus Audi 80), Golf/Scirocco sowie Polo (aus Audi 50) bestehend. Später durch Derivate wie Derby, Jetta, Santana gespreizt, um ab den 90er Jahren durch unzählige weitere Baureihen ergänzt zu werden. Mit Passat, Polo, Golf & Co. beginnt gleichzeitig auch der Einzug moderner, wassergekühlter Vierzylindermotoren unter die Fronthaube.
Die neuen Motoren sind Übernahmen der Konzerntochter Audi und treiben ganz nach deren Philosophie die Vorderachse an. Einige Jahre wird bei VW erstmal entwickelt, aber spätestens in den Achtzigerjahren emanzipiert sich die VW Entwicklung und setzt selbst Massstäbe in der Serienfertigung von High-tech-Motoren.
So kommt die Mehrventiltechnik sowie die Aufladung mittels selbst entwickeltem G-Lader in Brot-und-Butter Autos wie Polo oder Golf auch für den Normalsterblichen in die Showrooms der Händler. Damit folgt man dem Credo der Marke für das Volk zu bauen und auch im Hightech-Bereich dank des Volumens akzeptable Preise bereitstellen zu können. G 40, G 60 und 16 V Modelle sind heute gesuchte Preziosen aus dem Volkswagen Produktportfolio. VW etablierte damals einen Anspruch, moderne Motorentechnik zum fairen Preis für die Masse erschwinglich zu machen.
Feuerwerk der Technik-Exklusivität
Was die ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Schmücker und Hahn zwischen 1972 und 1992 so lässig aufzäumten, mündete unter Piëch und Winterkorn in ein Produkt- und damit auch Technologiefeuerwerk wie bei keinem anderen Automobilhersteller. Da fällt es selbst den Fachleuten schwer, die Übersicht zu wahren. Massgeblichen Einfluss hatte die Mehrmarkenstrategie des Konzerns, welcher durch den Zukauf von Bugatti, Bentley und Lamborghini in die höchste Liga aufstieg.
Da war selbst bei 12 Zylindern noch lange nicht Schluss. Ob Leichtbau, Zylinderabschaltung, W-Motoren, diverse Aufladungsalternativen oder gar der bewusste Verzicht darauf, unterschiedlichste Einspritzsysteme sowie die kompakten Alternativen der VR-Bauweise machten Volkswagen zum Innovationstreiber im Motorenbau, dem die Wettbewerber nicht folgen wollten oder konnten.
Kein Aufwand zu gross
Wenn es sein musste, wurde in alle Richtungen konzipiert und konstruiert. Bestes Beispiel der W8-Motor des VW Passat. Zunächst für die Oberklasse im Konzern vorgesehen, adelte er das Mittelklassemodell Passat und kam jedoch weder im Phaeton noch in anderen Modellen des Konzerns zum Einsatz. Den Passat W8 macht es damit zu einer Klassikerperle, aber klar ist auch: derart aufwändige Entwicklungen konnten nur vom Giganten Volkswagen gestemmt werden. Denn nur durch die Stückzahlen liessen sich letztlich noch marktakzeptable Preise erzielen.
Spätestens beim ersten Service wurde jedem Besitzer eines solchen Motors klar, dass er keinesfalls eine Einfachlösung als Antrieb gewählt hatte. Die unzähligen Probleme der VW-Motorenentwickler bei ihren Konstruktionen mündeten in mutigen und teilweise kosten- und/oder serviceintensiven Lösungen.
Klarheit bei VW
Mit Sicherheit hat in den letzten 50 Jahren kein anderes Automobilunternehmen solch ein Feuerwerk in der Antriebstechnologie vorgelegt wie der Volkswagenkonzern mit seinen Fahrzeugmarken und seinem breit gespreizten Produktportfolio. G-Ladung, Direkteinspritzung, VR- und W-Motoren trieben automobile Ikonen vom Polo bis zum Bugatti an.
Doch viel zu oft waren die Hintergründe nicht bekannt, noch wusste man all zu viel über die Motorenentwicklung bei Volkswagen. Mit diesem Buch entstand nicht nur eine gut gemachte Chronologie sondern gleichzeitig ein interessantes Werk zur Technikgeschichte der letzten Jahrzehnte. Das Autorenduo zählt über Fakten und Daten auch zahlreiche Hintergrundinformationen auf, die insbesondere auf die Zeitzeugen zurückzuführen sind, die in Interviews zu Worte kommen.
So entsteht Technikgeschichte mit Herzblut und Empathie, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Dank der ausgefeilten Darstellungen, der zahlreichen Abbildungen sowie der lesenswerten Ausführungen lässt dieses Buch auch für den interessierten Laien genug Raum, sich in die Materie einzulesen.
Das Buch besticht durch sensationelles Bildmaterial und eine Detail- und Faktenfülle sowie bisher unveröffentlichtes Hintergrundwissen der seinerzeit verantwortlichen Techniker und Motoren-Entwickler. Beeindruckend mit welchem Nachdruck Volkswagen seinerzeit Motorenentwicklung betrieben hat. So viele Superlative kommen bei einem Preis von EUR 29,90 sehr volkstümlich daher. Dem Spass beim Lesen tut das allerdings keinen Abbruch.
Bibliografische Angaben
- Titel: High-Tech Motoren von Volkswagen - G-Lader, Direkteinspritzer, VR- und W-Motoren
- Autoren: Michael Willmann / Eberhard Kittler
- Sprache: Deutsch
- Verlag: Motorbuch Verlag
- Auflage: 1. Auflage September 2021
- Format: Gebunden, 280 x 210 mm
- Umfang: 240 Seiten, zahlreiche Fotos, Abbildungen und Tabellen
- ISBN: 978-3-613-04428-9
- Preis: EUR 29,90
- Bestellen/kaufen: Online bei amazon.de , online beim Motorbuchverlag oder in der guten Buchhandlung
Information
Kostenlos anmelden und mitreden!
Mit einem Gratis-Login auf Zwischengas können Sie nicht nur mitreden, sondern Sie profitieren sofort von etlichen Vorteilen:
Vorteile für eingeloggte Besucher