Jacques Kellner war ein Pariser Karosseriebauer. Und wenn ein Auto-Buch “The Kellner Affair” heisst, dann würde man wohl ein Werk über die Designs und die von Hand gebauten Fahrzeuge aus Kellners Firma erwarten. Und tatsächlich, davon kann man in Peter M. Larsens neuestem Dreibänder, verfasst zusammen mit Ben Erickson, auch lesen.
Wer aber nur auf historische Bilder und Informationen zu den einzelnen Wagen aus ist, wird viel Geduld benötigen, um diese Elemente aus dem über 1000 Seiten starken Gesamtwerk herauszukristallisieren, obschon alles da ist.
Weniger ein Auto-Buch …
Wie der Däne Larsen, der neben seinen Aufgaben als Autor auch an verschiedenen Concours als Punktrichter agiert, schon im Vorwort schrieb, wollte er eigentlich ein anderes Buch schreiben, nämlich eine Abhandlung über die bekanntere Firma Figoni et Falaschi. Bei den Recherchen aber stiess er auf viele Informationen zu Jacques Kellner, Designer Georges Paulin und Rolls-Royce-France-Direktor Walter Sleator. Und als er die Geschichte dieser Männer genauer untersuchte, drängte sich die Geschichtsschreibung über Ereignisse rund um die französische Résistence im zweiten Weltkrieg immer mehr in den Vordergrund, zusätzlich verstärkt durch Erzählungen, die Larsen von seinem Vater gehört hatte und katalysiert durch einen Besuch in einem Konzentrationslager in der Nähe von Hamburg.
… als ein Geschichtsbuch
Und so nehmen dann die Geschehnisse rund um den zweiten Weltkrieg, die Rolle der drei Franzosen und die der omnipräsenten deutschen Eroberer einen doch erheblichen Teil der drei Bücher ein, jedenfalls den gesamten zweiten Band, Teile des ersten und des dritten Bands. Selbst der im dritten Band eingeklebte USB-Speicher zeigt noch weitere Dokumente. Und mit Autos hat dies alles sichtlich wenig zu tun, das gibt auch Larsen im Vorwort zu. Es ging ihm mehr darum, die Geschichte der drei Männer und der mit ihnen verbundenen Geschehnisse rund um den zweiten Weltkrieg komplett und im richtigen Kontext zu erzählen und weitgehend komplett, bis zu Gerichtsurteilen und Protokollen, zu dokumentieren. Monumental!
Aber doch auch Autos …
Trotzdem, das Automobil kommt nicht zu kurz. Bereits im ersten Band erfährt man viel über die Entwicklung der Aerodynamik und die Beiträge, die herausragende Designers, darunter eben auch Georges Paulin, leisteten.
Und auch die Entwicklungen und Gestaltung von verschiedenen aerodynamisch optimierten Autos, insbesondere der Bentley mit dem Kennzeichen “2RL-9”, werden mit vielen Bildern und Hintergrundswissen dokumentiert.
Selbstverständlich wird auch der Aufstieg des Karosseriebauers Kellner ins richtige Licht gerückt. Dann aber übernimmt der zweite Weltkrieg das Zepter und dominiert die Handlung in den Büchern.
Der dritte Band dann zeigt, vor allem ab Appendix IV dann viele Entwürfe, gebaute Autos und Verkaufsunterlagen von Kellner.
Ein riesiges Archiv
Was Larsen hier auf über 1000 Seiten zusammengeführt hat, ist sicherlich eines der komplettesten Archive rund um den Karosseriebauer Kellner, seine Mitstreiter und deren Geschichte. Beeindruckend und hochinteressant. Und grossformatig verarbeitet und (mit Ausnahme ganz weniger Seiten) qualitativ hochstehend abgedruckt.
Wer allerdings übersichtliche Tabellen und Auflistungen von Fahrzeugen, deren Verbleib und technischen Details erwartet, ist bei Larsens Buch falsch.
Für den wissensbegierigen Enthusiasten
Rund EUR 370 kostet das rund 6,3 kg schwere Paket mit drei gebundenen Büchern und einem einfassenden Schuber. Der Text ist durchgehend englisch, mit Ausnahme von historischen Dokumenten, die auch in anderen Sprachen (u.a. Deutsch) gehalten sind. Man kann also davon ausgehen, dass sich vor allem die Fans des französischen Karosseriebaus und Historiker in diesen Dreibänder vergucken werden. Diese erhalten eine riesige Faktensammlung samt gut geschriebenen Interpretationen und Schlussfolgerungen. Ob einem die Mischung aus Geschichtsschreibung, Kontext und Archiv behagt, muss jeder selber entscheiden.
Bereits bei seinem Dreibänder zum Schaffen Saoutchiks ging Larsen den Weg, Lebensgeschichte der Macher und die entstandenen Fahrzeuge komplett zu dokumentieren, beim nächsten Werk zu Figoni wird es nicht anders sein. Bei Kellner allerdings hätte vielleicht manchem Auto-Enthusiasten die Mischung etwas deutlicher zugunsten der Automobile ausgehen können.
Bibliografischen Angaben
- Titel: The Kellner Affair
- Autoren: Peter M. Larsen und Ben Erickson
- Sprache: Englisch
- Verlag: Dalton Watson Fine Books
- Auflage: 1. Auflage, April 2018
- Format: Gebunden, drei Bände im Schuber, 26,2 x 34,8 cm
- Umfang: 1064 Seiten, 1,568 Bilder/Illustrationen (plus auf dem USB-Flash-Speicher weitere 401 Seiten und 388 Illustrationen)
- ISBN: 978-1854432919
- Preis: ca. EUR 370
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