"Die Staud Studios und Jaguar sind, so könnte man sagen, ein ‘perfect match’. Sie passen insofern perfekt zusammen, als sie mit dem grossen Pfund echter Heritage wuchern können."
Äh. Wie bitte? Beim Lesen dieser zwei Sätze, mit dem das Kapitel "Behind the Scenes" anfängt, schiesst unweigerlich eine in der Schule häufig gehörte Frage durch den Kopf: Was will uns der Autor damit sagen? Wahrscheinlich muss man Vermarktung studieren, um das herauszufinden. Zum Glück ist "The Jaguar Book" von René Staud ein Bildband.
Stimmungsvolle Bilder von hoher Ästhetik
Und das ist gut so, denn auch wenn wohl nur die wenigsten der Autos extra für dieses Buch abgelichtet wurden und die meisten Aufnahmen schon ein paar Jahre alt sind, so sind sie doch immer noch sehr ansehnlich und kunstvoll. Das Portfolio umfasst dabei die wichtigsten Jaguar-Klassiker der letzten 100 Jahre: SS 100, XK 120, D-Type, E-Type, Mark II, XJ 6 – alle sind sie da. Im typischen Staud-Stil werden die überwiegend dunklen Autos von oben beleuchtet und vor einem einfarbigen Hintergrund kontraststark abgelichtet.
Ausnahmen bilden lediglich die Fotoserien des XJ-S mit senkrechten Leuchtstoffröhren im Hintergrund und des XK8 im Gerippe des Bahnhofs Lyon-Saint-Exupéry. Gerade die Aufnahmen des silbernen XJ-S mit dem knallroten Leder-Interieur vor grünem und blauem Neonlicht sind sehr stimmungsvoll und erzeugen nächtliche Grossstadt-Atmosphäre auch ohne Boulevard-Kulisse.
Einen Hintergrund, der vom Thema des Bildes – dem Auto – ablenken könnte, gibt es ausser beim XK8 nämlich nicht. Das lenkt den Blick des Betrachters einzig auf die Formen der Karosserie und das Spiel des Lichtes auf ihnen. Die Fotos sind durchgehend grossformatig, erstrecken sich nicht selten sogar über eine ganze Doppelseite. Ein kleiner Wermutstropfen sind die vereinzelten deutschen Kontrollschilder, die mit ihrer modernen Computer-Typgrafie nicht zur klassischen Eleganz der Wagen und zur Ästhetik der Bilder passen.
Zum Glück hat Herr Staud die meisten Autos mit ästhetisch unbedenklichen Schildern oder gleich ganz ohne Kennzeichen inszeniert. Für Originalitäts-Fans sind die Wagen (nachgerüstetes Wurzelholz, Nardi-Lenkräder und zu neue Mercedes-Radios) ohnehin nichts. Aber das ist zu verschmerzen, schliesslich ist dies kein Restaurierungs-Leitfaden. Die Autos sollen einfach nur gut aussehen – und das tun sie. Der abgebildete "Jaguar OSSCX" ist übrigens schlicht ein seitenverkehrt abgedruckter XJ220.
Der Text – ein zweischneidiges, zweisprachiges Schwert
Begleitet wird jede Foto-Serie von einem kleinen Text auf Deutsch und Englisch über die jeweilige Modellreihe. Die von Jürgen Lewandowski verfassten Blöcke lesen sich angenehm, enthalten alle wichtigen Informationen über das betreffende Auto und verzichten glücklicherweise auf jede Form von Marketing-Unsinn. Darunter befindet sich jeweils noch ein Datenkasten mit den grundlegenden technischen Daten, allerdings nur auf Englisch.
Zwischen den Foto-Serien der einzelnen Jaguar-Modelle finden sich "Themenblöcke", die entweder die Firmengeschichte erzählen oder einen anderen Jaguar-Bezug haben, aber allesamt recht oberflächlich ausfallen: etwa über Promis, die in irgendeiner Verbindung zu Jagur stehen (Boris Johnsons Dienstwagen ist ein XJ) oder Filme, in denen ein Jaguar E-Type vorkommt (Austin Powers – Spion in geheimer Missionarsstellung). Von den fünf Inseraten im Kapitel "Werbung" zeigen zwei moderne Wagen – auf alles andere als aussergewöhnlichen Motiven. Spannend sind in diesen geschichtlichen Zwischensegmenten vor allem die historischen Schwarz-Weiss-Fotos in guter Qualität.
Die Begleittexte hier können leider nicht mit denen der Autos mithalten. Wenn man auch im deutschen Block immer wieder von "Newcomern", "Britishness", "Celebrities" und "Distinctive Sound" liest und darüber, wie "sophisticated" ein Jaguar ist, fragt man sich unweigerlich, ob man nicht in der Spalte verrutscht ist. Hier entsteht der Eindruck, als habe die Presseabteilung von Jaguar ihre Finger und ihr Vokabular im Spiel gehabt.
Fazit
In Sachen Lesevergnügen kann "The Jaguar Book" also nur teilweise punkten. Die Fotos sind aber wirklich erstklassig. Tatsächlich hätte es dem Buch gutgetan, sich mehr auf das Können von Herrn Staud und die Qualität seiner Bilder zu verlassen und den "geschichtlichen" Teil bis auf ein paar Seiten zur Einleitung komplett wegzulassen. Wer bereit ist, hin und wieder ein wenig Text zu überblättern, der bekommt für 80 Euro eine umfangreiche Sammlung an hochwertigen Fotografien von den wichtigsten Jaguar-Klassikern vom SS 90 bis zum 420 G. Jüngstes Modell im Buch ist ein XJR der Baureihe X308. Neuere Autos fehlen, was aber nicht schlimm ist. Denn wir wissen ja: "Bei Jaguar hemmt Heritage nicht, sondern weist den Weg in die Zukunft." – Was auch immer das bedeuten soll.
Bibliografische Angaben
- Titel: The Jaguar Book
- Fotograf: René Staud
- Autor: Jürgen Lewandowski
- Sprache: Deutsch, Englisch
- Verlag: teNeues
- Auflage: 1. Auflage November 2021
- Format: Festeinband, 280 x 347 mm
- Umfang: 272 Seiten, 149 Farb- und 29 Schwarz-Weiss-Fotografien
- ISBN: 978-3-96171-359-2
- Preis: EUR 80
- Kaufen/bestellen: Online bei amazon.de , beim teNeues-Verlag oder über den einschlägigen Buchhandel
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Mich wundert vielmehr, dass die kitschige 80er-Jahre-Studioästhetik des René Staud immer noch Verehrer, resp. Käufer findet…