Ein neues Buch über Jim Clark? 78 Jahre nach seiner Geburt? 46 Jahre nach seinem Tod? Von einem Autor, der schon 3 Bücher über ihn geschrieben hat inklusive als Ghostwriter von Clark’s Autobiographie (Jim Clark at the Wheel / Als Favorit am Start) vor 50 Jahren? Es braucht also Argumente.
Hommage an einen Freund
Schon der erste Blick in das neue Buch zeigt, dass alle Zweifel unberechtigt sind. Das ist keines aus der Kategorie jener vielen Senna-Bücher, die Altbekanntes regelmässig recyceln. Es ist eine Hommage an einen Freund, die mit viel Überlegung gemacht wurde. Das Argument für dieses Buch ist seine Qualität.
Früher Einstieg in den Rennsport
James „Jim“ oder „Jimmy“ Clark (Junior) wurde am 04. März 1936 in Kilmany, in der Grafschaft Fife in Schottland, geboren. Er war das fünfte und letzte Kind der Familie und der einzige Sohn. Später zog die Familie in die Grafschaft Berwickshire in den Borders auf die Farm Edington Mains (nahe Duns und Chiswick). Nach Beendigung der Schule mit 16 Jahren übernahm Jim die Farm unter Aufsicht seines Vaters. Nach dem Erwerb des Führerausweises mit 18 Jahren begann er mit anderen Farmersöhnen aus der Gegend mit rennsportlichen Aktivitäten. Eine wichtige Person war dabei Ian Scott Watson, ebenfalls ein lokaler Farmer. Auf dessen Autos (am Anfang eine DKW Sonderklasse und später - etwas standesgemässer - ein Porsche 356 1600S) fuhr Jim Clark einen grossen Teil seiner ersten Rennen. Mit anderen Farmern aus der Gegend gründeten sie die Renngemeinschaft Ecurie Agricole. Ab 1958 wurde Clark Fahrer beim Rennteam Border Reivers. Treiber war Jock McBain, Agrar-Ingenieur und Ford-Händler aus Chiswick. 1960 gelang den Reivers mit dem dritten Platz im 24-Stunden-Rennen von Le Mans mit Roy Salvadori und Jim Clark am Steuer eines Aston Martin DBR1/300 der grösste Erfolg.
Werksfahrer
1960 wurde Jim Clark von Aston Martin für die Formel 1 verpflichtet und von Lotus für die Formel 2 und die Formel Junior. Da Aston in der Formel 1 nie richtig in die Gänge kam, fuhr er als Ersatzfahrer für Lotus beim Grossen Preis der Niederlande in Zandvoort sein erstes Rennen in der Formel 1 und seinen ersten Grand Prix (Lauf zur Fahrerweltmeisterschaft). Er gewann 1962 und 1965 die FIA-Fahrerweltmeisterschaft und 1965 das 500-Meilen-Rennen von Indianapolis auf Lotus.
Jim Clark hat in seiner Zeit als Rennfahrer noch den letzten Glanz der Werksteams aus den 50er Jahren erlebt und den Beginn der Kommerzialisierung des Motorsports mit den „Gold Leaf“-Lotus ab 1968. Er war ein typischer Vertreter der Fahrergeneration, die für die Garagisten wie Lotus, Cooper, Brabham, Lola, etc. die keine eigenen Motoren bauten, fuhr. Ihr Hauptverdienst aus der Rennfahrerei war das Startgeld. Daraus ergab sich, dass es das Ziel eines professionellen Fahrers der damaligen Zeit war, die Zahl der Starts relativ hoch zu halten. Im Falle von Jim Clark hiess das Teilnahme an 30-40 Veranstaltungen pro Jahr, wobei er wenn möglich jeweils an mehreren Rennen teilnahm. So gewann er zum Beispiel am Ostermontag 1965 in Goodwood alle drei Rennen, für die er gemeldet war, auf drei verschiedenen Autos: Ford Lotus Cortina, Lotus 30-Ford, Lotus 25-Climax. Insgesamt nahm er an über 450 Rennen in über 300 Veranstaltungen auf rund45 verschiedenen Autos teil. Er gewann ca. 180 Mal (gerechnet auf Basis Klassensiege). Sein absolut erfolgreichstes Jahr war 1965:
Graham Gauld, ein intimer Clark-Kenner
Graham Gauld, Jahrgang 1934, ist ein Sport-Journalist, der sich auf Motorsport spezialisiert hat. Neben den Biographien von Jim Clark hat er noch verschiedene andere Bücher geschrieben: Biographien von Andrew Cowan, Reginald Parnell, John Tojeiro, Cliff Allison, Jack Sears, Bob Gerard, sowie eine Geschichte der Ecurie Ecosse, ein Bericht über seine Besuche bei Ferrari, Maserati, OSCA und Stanguellini 1957, 1958, 1960 und 1963 und ein Buch über den schottischen Rennsport. Ihn zeichnet aus, dass er Jim Clark bei seinen ersten Ausflügen zu Autorennen begleitete, ernannte ihn die Ecurie Agricole doch zum Rennleiter (ohne selbst ein Farmersohn gewesen zu sein, wie er selbst mit Stolz feststellt).
360-Grad-Sicht auf die Person Jim Clark
Der Autor liefert keine eigentliche Begründung für das Buch. Er betont nur, dass er die alten Dokumente alle noch einmal gesichtet hat (inklusive der Tonbandaufnahmen für die erste Biographie) und er und Reinhard Klein eine Suche nach noch nicht veröffentlichten Photos gestartet haben. Das Buch ist nicht chronologisch, sondern alphabetisch nach Stichworten aufgebaut. Man wechselt munter zwischen den Lebensphasen von Jim Clark hin und her.
Im Zeitalter von Wikipedia und wohl auch mit Blick auf die wahrscheinliche Leserschaft sind die genauen Daten eher zweitrangig weil bekannt oder schnell beschaffbar.
Man bekommt quasi eine 360°-Sicht auf die Person Jim Clark inklusive seines Umfelds: Aintree, Aston Martin, Border Reivers, …, Chapman Colin, Charterhall, …, Eyes, Felday 4 BRM, Ferrari, …, Goggomobil, …, Humour, Indianapolis, …, Lotus 14 … 49, Miss England, Monaco Grand Prix, …, Sally, Ian Scott Watson, Sports, Stewart Jackie, … Von Trips Wolfgang, …, Zandvoort heissen beispielsweise die Kapitel.
Das Vorwort hat der ehemalige deutsche Rennfahrer Kurt Ahrens geschrieben. Er ist auch gegen Jim Clark gefahren und war am Samstagabend vor dem tödlichen Unfall zusammen mit ihm im Aktuellen Sportstudie des ZDF zu Gast.
Am Schluss gibt es noch ein umfassendes rennfahrerisches Palmares von Jim Clark.
Kurzweilig und vielfältig nutzbar
Das Buch ist sehr kurzweilig. Das liegt an der Kapiteleinteilung, die den Fokus immer wieder anders legt. Man kann es auch nach Stichworten, also nicht Seite für Seite lesen. Die Suche nach bisher unveröffentlichten Bildern durch Graham Gauld und Reinhard Klein hat sich sehr gelohnt.
Ganz stark ist die Aufnahme des Startfelds zur offenen Klasse bei den Sportwagen in Crimond bei Aberdeen 1958 (Seite 44). Es zeigt mit wie wenig Aufwand Rennsport damals betrieben werden konnte: ein ungenutzter Militärflugplatz, ein paar Farbmarkierungen auf der Piste, Strohballen als Abgrenzung. Es reichte, um für jemand wie Jim Clark eine Basis zu schaffen, sein Talent zu entwickeln und die Fortschritte zu zeigen.
Zweisprachig, aber ....
Gibt es Schwächen? Vielleicht hin und wieder die Unterschiede im englischen und deutschen Text bei den Bildlegenden. Sie enthalten manchmal unterschiedliche Informationen oder korrespondieren nicht in der Aussage (als Beispiele seien die Bildtexte auf den Seiten 340/341 genannt).
Die Leistung des Lotus 23 lag bei 110 PS, aber sicher nicht bei 220 bhp (Seite 7) und es war nicht Team Lotus, das die Boxenarbeit für Jim Clark während des 500-Meilen-Rennens von Indianapolis 1965 erledigte, sondern ein NASCAR-Team von Ford, die Wood Brothers (Seiten 180/181).
Und: warum konnte das Bild, das Jim Clark auf der DKW Sonderklasse beim Start zu seinem ersten Rennen in Crimond zeigt und von Audi 2002 in England in der Werbung eingesetzt wurde, nicht beschafft werden? Allerdings, bezogen auf den Umfang des Werks sind das zugegebenermassen keine gewichtigen Anmerkungen.
Ergänzung im bewegten Bild
Eine gute Ergänzung zu diesem Buch ist die 1-stündige Dokumentation von BBC Four unter dem Titel „Jim Clark - The Quiet Champion“ aus dem Jahr 2009. Man kann dort viele der Protagonisten sehen und sprechen hören: Jim Clark selbst, Graham Gauld, Ian Scott Watson, Jackie Stewart, Sir John Whitmore, Sally Swart (Stokes), Dan Gurney, Parnelli Jones und viele mehr. Die immer wieder beschriebene Unentschlossenheit Clark’s im täglichen Leben wird greifbar. Auf seinen Ansatz zu Frauen angesprochen, lacht Jackie Stewart einfach los und verweist auf das Erstaunen seiner Frau Helen. Jim Clark’s Ambivalenz der Presse gegenüber drückt er selber klar und deutlich aus.
Pflichtlektüre
Wer sich für die Vergangenheit des Autosports interessiert und Jim Clark an der Strecke oder im Fernsehen erlebt hat, ist es fast eine Pflichtlektüre. Graham Gauld sagt in seinem Vorwort, dass er auch ein Interesse von jungen Leuten an Informationen über Jim Clark feststelle. Als Zeugen benennt er Dario Franchitti, den 4-fachen Meister der IndyCar Series und 3-fachen Sieger bei den 500 Meilen von Indianapolis. Als Beschreibung eines Gegenmodells zu den teilweise sehr mimosenhaften Spitzenfahrern von heute ist das Buch in jedem Fall geeignet.
Bibliografische Angaben
- Titel : Jim Clark - Racing Hero - Rennfahrerlegende
- Autor: Graham Gauld
- Verlag: Reinhard Klein (McKlein Publishing), 2014
- Sprachen: Deutsch und Englisch
- Umfang: 399 Seiten, viele farbige und schwarzweisse Abbildungen
- Format: 295x295 mm, gebunden, im Schuber
- ISBN-10: 3927458759
- ISBN-13: 978-3927458758
- Preis: Euro 99.90 oder CHF 134.90
- Bestellen/kaufen: Online im McKlein Webshop , auf amazon.de
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Jürg Mallepell