Design kann stark und mächtig sein. Es kann Marken profilieren, Menschen in Verzückung versetzen und Persönlichkeiten entwickeln. Peter Birtwhistle hat Design so er- und gelebt. Er gehört zu den jungen internationalen Designern, die Audi-Chefdesigner Hartmut Warkuss nach seiner Ernennung zum Bereichsleiter 1976 in Ingolstadt anheuerte. Fast ausnahmslos alle machten später Karriere, entweder im Volkswagen Konzern oder auch bei anderen Unternehmen. U.a. Martin Smith, Luc Donkerwolke, Peter Schreyer, Erwin Himmel, um nur einige zu nennen, denen wir herausragendes Automobildesign zu verdanken haben. Birtwhistle war der Mann, der für Audi das Beste aus dem Sport quattro machte und kurz darauf den Porsche 959 in Stuttgart in Form brachte. Zwei Gruppe B Ikonen gleich zum Anfang der Karriere.
Automobildesign eine Lebensaufgabe
In „An English Car Designer Abroad“ ist der humorvolle und persönliche Bericht über ein Leben, in dem Peter Birtwhistle an der Gestaltung einiger der bekanntesten Autos der Welt gearbeitet hat. Birthy, wie er genannt wird, begann seine Karriere als Designer bei Vauxhall Motors in Luton im Jahr 1973 und verließ 1977 Großbritannien, um eine Position im Ausland bei Audi in Deutschland einzunehmen, wo er für den Rest seines Berufslebens lebte. Von Audi führte ihn seine Karriere zu Porsche nach Stuttgart und schließlich 1988 zur japanischen Firma Mazda, wo er beim Aufbau des Designzentrums in der Nähe von Frankfurt engagiert war und schließlich Chefdesigner für Mazda Motor Europe werden sollte.
Automobildesign hautnah
Peter beschreibt in seiner Biografie hautnah und sehr emotional seinen Lebensweg. Sein Buch teil er in drei Teile ein, die in insgesamt 35 Kapitel unterteilt sind:
Teil 1: Ausbildung
Teil 2: Weg von England nach Deutschland
Teil 3: 25 Jahre bei Mazda
Während seiner Karriere war Birtwhistle an der Gestaltung einiger sehr bedeutender Autos beteiligt. Er kreuzte bei seinen Arbeiten und Reisen die Wege vieler bedeutender Persönlichkeiten aus der Autoindustrie. Vorstandsbosse, Designkollegen und viele andere mehr. Seine amüsante und typisch britisch humorvolle Art macht es leicht, ihm zu folgen. Wie ein blinder Passagier scheint man auf seiner Schulter zu hocken und den Szenen beizuwohnen, die er beschreibt.
Dabei verzichtet Birtwhistle keineswegs darauf, nur zu beschreiben. Vielmehr gibt er immer ganz viel von seiner Befindlichkeit preis, man staunt, leidet oder erschrickt mit. Beispielhaft mag die Szene beschrieben sein, als er um das Design des Sport quattro noch in Form zu bringen, auf Geheiss seines Chefs in die Schweiz reisen musste. Die Gestaltung hatte wegen der akuten Zeitnot bislang Audi Sport in Eigenregie übernommen und das Designteam aussen vor gelassen. Grosse Lufteinlässe waren wichtiger als deren Einbettung in eine markengerechte Formensprache. Jetzt sollte beim Kunststoffkarosseriehersteller quasi im letzten Moment, bevor es zur Anfertigung der Negativform kam, noch die Designarbeit im Nachgang erfolgen. Birtwhistle reiste im Spätherbst an den Bodensee und war alleiniger Hotelgast in dieser kargen Zeit als plötzlich das Schweizer Militär bei ihm im Zimmer stand, um das Herbstmannöver abzuhalten. Kalter Krieg und Schweizer Mentalität gepaart mit aussergewöhnlichem Designalltag hautnah.
"Design sells"
Ebenso wie die lebendige Betrachtung des Designprozesses beschreibt der Autor auf einer anderen Ebene die Ausrichtung und Arbeitsumstände in den einzelnen Designabteilungen. Wie liefen Prozesse ab, wo stand die Marke im Design- und Wahrnehmungs-Ranking,. Welchen Stellenwert hatte das Design bei jeweiligen Hersteller. Wie angenehm war das Arbeitsklima und konnte man mit Kollegen, dem Chef oder dem Vorstand auskommen. Leser, die sich in der Materie auskennen, werden sich hier ganz besonders wohl fühlen. Man bekommt ein Gefühl, wo die Herausforderungen und die Grenzen der Designer bei jedem Hersteller lagen, für die der Autor gearbeitet hat. Sicher eine subjektive Betrachtung, dafür aber umso einfühlsamer und nachvollziehbarer.
Auch hier nochmals ein Beispiel aus der Zeit der Audi Sport quattro Entwicklung: In den 80er Jahren begann eine technische Revolution insbesondere der deutschen Automobilindustrie. Aerodynamik, Fahrwerktechnik, Elektronik und die Aggregateentwicklung erreichten neue Standards. Der Audi Sport quattro zählte mit Allrad, Vierventiltechnik, aufwändiger Turboaufladung und ausgeklügelter Motorelektronik zur Speerspitze der deutschen Automobilindustrie. Vieles was hier in Kleinserie auf die Strasse kam, sollte wenige Jahre später auch im Audi 80 wiederzufinden sein. Kein Wunder also, dass der Vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch sich wünschte, dass dem Audi Sport quattro auch in Sachen PR genügend Aufmerksamkeit gewidmet werden würde.
Am besten durch eine Zeichnung auf dem Cover der auto, motor & sport zur IAA-Vorausgabe. Damit die Autorenschaft über die Zeichnung bei Audi verblieb, wurde auf Geheiss von Piëch dem Haus-und-Hof-Illustrator Marc Stehrenberger eine Zeichnung zugesandt, die dieser als sein eigenes Werk an die Redaktion senden sollte. Birtwhistle war naheliegenderweise auserkoren worden, die Zeichnung übers Wochenende zu erstellen. Ein Auftrag, der persönlich vom Vorstand an den Designer übergeben wurde.
Birtwhistle wollte sein Werk aber nicht ganz so leicht als die Arbeit eines Anderen durchgehen lassen. Er verewigte sich auf dem bekannten Cover vor dem hinteren Kühleinlass mit seinem Spitznamne "Birthy". Das kann jeder heute noch in der AMS Ausgabe 13/1983 auf dem Cover, besser noch auf Seite 9 nach kontrollieren.
Design ist harte Arbeit
Verglichen mit heute war die Arbeit eines Designers damals deutlich breiter gefächert. Beispielsweise mussten Modelle für den Windkanal im Massstab 1.4 oder 1:5 gemacht werden. Oft musste der Designer selbst in den Windkanal gehen, um die Ergebnisse der eigenen Arbeit zu kontrollieren und gegebenenfalls vor Ort Verbesserungspotential diskutieren. Mehr noch war aber die Arbeit an den zahlreichen Projekten und den dazugehörigen Vorschlägen in Varianten gefordert. Oft ohne Ergebnis, schliesslich kann es nur ein Serienmodell geben und den Varianten schiebt dann schon das Controlling oder der Vorstandsgeschmack einen Riegel vor.
Nichtsdestotrotz gelang es Birtwhistle einige seiner Entwürfe bis in die Produktion zu bekommen. Das auch und gerade manchmal gegen den Willen und Wunsch der Kollegen, die mit eigenen Vorschlägen in Konkurrenz standen oder mangels Sympathie der Arbeit anderer alles wünschten ausser Erfolg. Wie zäh diese Auseinandersetzung sein kann, beschreibt Birtwhistle über seine Arbeit bei Porsche, wo er zwar mit Toni Lapine eine Legende zum Chef hatte, im Kollegenkreis allerdings nicht von Anfang an das gesamte Team zum Freundeskreis zählen konnte. Was manchmal einfach daran lag, dass man jemanden unbewusst den heiss ersehnten Posten oder Job weg geschnappt hatte. Merke: Nicht nur der Designprozess ist harte Arbeit, auch das Durchsetzen von Vorschlägen und Ideen.
Mazda als Chance
Mehr als 25 Jahre hat Birtwhistle für Mazda gearbeitet. Zuletzt war er Leiter des Europäischen Designstudios in der Nähe von Frankfurt. Eine mutige Entscheidung, sich Ende der 80er Jahre für einen japanischen Hersteller zu entscheiden? „Die Situation bei Porsche war 1988 anders als heute.“, meint Birtwhistle, „es gab kaum Geld zum Investieren und das bedeutet, dass es keine wirklichen Perspektive für neue Designprojekte gab.“ Tatsächlich stand Porsche zu dieser Zeit nicht gut da. Insbesondere die schwachen Absätze in den USA setzten dem Stuttgarter Sportwagenhersteller arg zu. „Wir Designer bei Porsche sassen herum und hatten nichts zu tun.
Natürlich hatte Mazda nicht das Renommee von Porsche, allerdings war man dort ambitioniert und hatte ein grosses Fahrzeugangebot.“ In der Tat bot Mazda ein breites Programm vom Personen- bis zum Lastwagen. Zudem hatte Mazda auch im Sportwagenbereich interessante Angebote. „Die Chance ein eigenes Studio in Oberursel zu entwickeln klang mehr als interessant.“, bestätigt Peter Birhtwhistle seine damalige Entscheidung: „Als ich, Roland Sternmann und Ginger Ostle Gespräche mit Mazda führten, gab es einige andere Designer, die mit uns gegangen wären. Ich denke, das beschreibt den Ernst der Lage bei Porsche in jenen Tagen. Nicht zu vergleichen mit heute natürlich. Mazdas Ambitionen unterstreicht die Vorstellung des MX-5 sowie der Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans mit dem Vierscheiben-Wankel-Sportprrototypen.
SL = Schön lesbar
„Ich habe nie Tagebuch geführt“, merkt der Autor im Anhang an, „ich wundere mich, wie gut ich mich erinnern konnte.“ „Dies ist meine Geschichte. In keinster Weise soll dies als offizielle Darstellung der Firmen verstanden werden, für die ich gearbeitet habe.“
Tatsächlich gelingt es Birtwhistle immer eng bei sich zu bleiben und dabei mit ihm zu fühlen. Sein humorvoller Stil bringt einem auf der einen Seite zum Lachen, auf der anderen Seite kann man auch seine Trauer nachfühlen. „Ich möchte erläutern wie sich die gesamte Industrie in den letzten Jahrzehnten verändert hat.“ Das gelingt dem Autor ausserordenlich gut, auch wenn es eine sehr subjektive Beschreibung anhand seines Lebensweges ist.
Mit der Seitenzahl steigt auch der Bildanteil, Verständlich, dass in Zeiten von Digitalfotografie und guter Kontakte, Mazda ausführlicher dokumentiert ist. Birtwhistle macht hier keine Designgeschichte oder - analyse auf. Er beschreibt seinen Job, seine Erfahrungen und viele Menschen, die ihm dabei begegnet sind. Natürlich muss man die englische Sprache gut verstehen, um ihm folgen zu können. Aber ohne Dictionary sollte man schon ins Schmunzeln kommen.
Als Martin Smith, enger Freund seit den frühen Tagen bei Audi und später Leiter Design Ford Europe vom Buchprojekt erfuhr, entfuhr es ihm: „Who the bloody hell is going to read that?“ Unsere Antwort dazu: „We do, don’t we?“
Bibliografische Angaben
- Titel: An English Designer Abroad
- Autor: Peter Birtwhistle
- Sprache: Englisch
- Verlag: Veloce Publishing
- Auflage: 1. Auflage 5. März 2020
- Format: Gebunden, 250 x 207 x 22 mm
- Umfang: 256 Seiten, 268 Fotos
- Preis: € 41,99
- ISBN: 978-1-7871-1470-38
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