Hierzulande weiss man nur wenig von Giovanni Moretti und dessen Konstruktionen, die weit über das hinausgehen, was ein Karosserie- oder Autobauer üblicherweise herstellt. Dabei hat Moretti Zehntausende von Fahrzeugen gefertigt, allerdings waren nicht alle vierrädrig.
Beginn mit Motorrädern
1904 wurde Giovanni Moretti in der Emilia Romagna geboren. Schon als Kind arbeitete er in der Werkstatt seines Onkels mit und machte parallel dazu einen Schulabschluss als technischer Zeichner. Nach mehreren Stellenwechseln landete er in Turin und beschäftigte sich hauptsächlich mit Motorrädern. In dieser Zeit (um das Jahr 1924 oder 1925) gründete der damals zwanzigjährige Jüngling dann auch seine erste Firma. Vorerst blieben Motorräder sein Metier, doch bald diversifizierte er auch in Microcars, wie im ersten Kapitel des Buchs nachzulesen ist.
Nutzfahrzeuge während und nach dem Krieg
Moretti baute, was die Leute brauchten und das waren in den schwierigen Zeiten der Dreissiger- und Vierzigerjahre günstige Nutzfahrzeuge, manchmal mit drei, manchmal auch mit vier Rädern.
Sogar Elektrofahrzeuge konstruierte er, doch war diesen damals keine grosse Zukunft bestimmt. Auch den Motorrädern blieb er treu, 1956 etwa stellte er ein neues Zweizylinder-Motorrad mit Kardan-Antrieb vor. Mit zunehmender Kaufkraft seiner Kunden konnte er ins Autogeschäft zurückkehren.
Die Moretti Personenwagen
Wiederum begann Moretti klein, doch die Fahrzeuge wurden stetig schneller, grösser und auch ansehnlich, woran der Designer Michelotti nicht unbeteiligt war. Den Fahrzeugen der Fünfzigerjahre widmet Alessandro Sannia viel Platz und zeigt sie auf damaligen Abbildungen.
Mit den offenen und geschlossenen Moretti 750 Sport und Grand Sport erobert der italienische Tüftler auch die Herzen im Ausland und fortan gehören auch Sporterfolge zum Aushängeschild der Firma Moretti.
Während in den Fünfzigerjahren Eigenkonstruktionen das Hauptmerkmal seines Angebots waren, wechselte Moretti in den Sechzigerjahren dazu, mit Fiat-Komponenten attraktive Alternativen zu den offiziellen Modellen des grossen Turiner Konzerns zu bauen.
Einen Teil seiner Fahrzeuge konnte man auch als Spezialkarosserien (Fuoriserie) bezeichnen und neben Fiat kleidete er auch Fahrgestelle anderer Marken ein, z.B. einen Maserati 3500 GT. Auch Morettis Fiat-2300-Versionen sind sehenswert, obschon sie kaum bekannt sind.
Die Periode mit Dany Brawand
In den Sechzigerjahren konnte Moretti den begabten Jungdesigner Dany Brawand für sich gewinnen, der zuvor im Studio Michelotti gearbeitet hatte. Brawand zeichnete für Moretti die vermutlich heute bekanntesten Autos, so etwa den 850 Sportiva oder die Coupé-Varianten des Fiat 124.
Veredelung und Geländefahrzeuge
Wie viele andere Karosseriebauer auch, musste sich Moretti neue Tätigkeitsfelder suchen, als das Spezialkarosseriengeschäft nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte und die herkömmliche Art, wie in seinem Betrieb Autos gebaut wurden, nicht mehr mit den Grossserienherstellern konkurrenzfähig waren. Moretti begann Nischen mit adaptierten Fiat-Modellen zu füllen, kleine Geländewagen zu konstruieren und Serienautos zu veredeln. 1981 aber starb Giovanni Moretti und wenige Jahre später wurde die Autoproduktion durch seine Nachkommen aufgegeben.
Komplette Werkschau
Alessandro Sannia hat nach aufwändiger Recherche eine wirklich umfassende Übersicht über das Gesamtwerk von Giovanni Moretti und seiner Autofirma verfasst. Von den frühen Anfängen bis zu den späten Produkten sind alle wichtigen Fahrzeuge beschrieben und abgebildet. Natürlich kann ein derartiges Werk nicht bei jedem einzelnen Wagen beliebig in die Tiefe gehen, dies hätte den Rahmen von rund 220 Seiten sicher gesprengt.
Neben den Serienfahrzeugen kommen auch die Rennwagen zur Sprache, die Moretti als Einsitzer und Sportwagen baute.
Sehenswertes Bildmaterial
Das gesamte Buch ist ausschliesslich mit historischem Bildmaterial illustriert, viele dieser Fotos sieht man wohl zum ersten Mal. Das Gros der Abbildungen ist schwarz-weiss, für die späteren Jahren sind auch Farbfotos verfügbar. Die Bilder sind durchgängig beschrieben und zeitlich, soweit möglich, zugeordnet.
Umfangreiche Detailinformationen
Neben der textlichen Einführung finden sich im hinteren Teil des Buches auch die technischen Daten einiger der automobilen Eigenkonstruktionen und ein umfangreiches Verzeichnis der Sporterfolge. Und, es soll hier lobend erwähnt werden, auch ein Stichwortverzeichnis fehlt nicht!
Zweisprachig und lesenswert
Verdankenswerterweise ist das vorliegende Buch nicht nur in italienischer Sprache gehalten, sondern durchgängig zweisprachig italienisch-englisch gestaltet. Auch die englische Übersetzung überzeugt und lässt sich gut lesen und erschliesst das grosse dokumentierte Wissen um Giovanni Moretti so auch einem deutlich grösseren Leserkreis. Natürlich musste der Inhalt wegen der zweisprachigen Ausführung wohl etwas knapper ausfallen, aber der Nicht-Kenner von Moretti erfährt immer noch alles, was er wohl über den italienischen Autobauer wissen wollte. Und selbst der gut informierte Moretti-Kenner dürfte noch das eine oder andere Neue kennen lernen.
Unterhaltsam und instruktiv ist das Buch auf jeden Fall und angesichts des Nischenthemas geht auch der Preis von Euro 39.90 mehr als in Ordnung.
Nicht nur Moretti-Fans kommen hier auf ihre Rechner, sondern alle, die sich für italienische Autos und Spezialkarosserien erwärmen können.
Bibliografische Angaben
- Titel: Moretti - Motociclette, Automobili, Carrozzerie”
- Autor: Alessandro Sannia
- Sprachen: Italienisch, Englisch
- Verlag: Società Editrice Il Cammello
- Auflage: 1. Auflage 2015
- Format: Gebunden, A4 (21.0 x 29.7 cm)
- Umfang: 216 Seiten, mehr als 420 Schwarz-Weiss- und Farbfotos
- Gewicht: 1,4 kg
- ISBN: 978-88-96796-27-6
- Preis: Euro 39.90
- Bestellen/kaufen: Direkt online beim Verlag oder beim einschlägigen Buchhandel