Nur ein einziges Mal in der Geschichte der F1-Weltmeisterschaft fuhr ein Team in einer Saison zwei komplett verschiedene aktuelle Autos.
Oft kam es zwar vor, dass man die Saison noch mit dem Vorjahres-Auto startete, dieses aber nach ein paar Rennen von der Neukonstruktion abgelöst wurde. Mercedes Benz aber konstruierte zwei in vielen Punkten unterschiedliche Autos für die Rennsaison 1954.

Zuerst die stromlinienförmige Variante
Rudolf Uhlenhaut (Leiter der Rennabteilung) baute mit seinem Team (Prof. Dr. Fritz Nallinger amtierender Vorstand für Technik, Prof. Dr. Hans Scherenberg Nachfolger im Vorstand sowie Ludwig Kraus) für Mercedes-Benz den W196 “Streamliner” als aerodynamisch günstigeres, vollverkleidetes Auto mit einem Cw-Wert von 0,43 und der Typenbezeichnung "Monza".
Freistehende Räder und kompakte Karosserie für enge Rundstrecken
Erst später wurde der normale Monoposto mit den üblichen freistehenden Rädern, einem Cw-Wert von 0,62 und der Typenbezeichnung "Nürburgring" zwangsläufig nachgereicht. Man erkannte schon beim zweiten Rennen in Silverstone, dass man mit dem Stromlinien Auto nicht überall Siegeschancen hat.
Schon diese Bezeichnungen zeigen, dass die Autos für die unterschiedlichen Rennstrecken gebaut wurden. Kam der "Nürburgring" fortan auf allen engen und kurvenreichen Rennstrecken zum Einsatz, so wurde mit dem "Monza" auf den High-Speed Kursen gefahren.
Erste Probefahrten
Im Dezember 1953 unternahm Mercedes auf dem Werksgelände in Stuttgart-Untertürkheim die ersten Probefahrten mit dem W196, bevor ausgiebige Tests in Hockenheim (Februar 1954), Monza (Mai 1954) und auf der heutigen Autobahn A81 bei Schwieberdingen gefahren wurde. Weitere Versuche in Hockenheim folgten.
Das Renndebüt des neuen Wagens verzögerte sich bis in den Sommer, weshalb Juan Manuel Fangio die ersten Rennen der Saison 1954 noch mit dem Maserati 250F bestritt und dabei wertvolle Punkte sammelte, auch diese eine ganz seltene Entwicklung.
Kompletter Erfolg beim ersten Start
Am 4. Juli 1954 startete der Mercedes zum ersten Mal beim GP Frankreich in Reims. Schon optisch wirkten die breiten und flachen W196 den schmalen und hochbeinigen Monoposti total überlegen. Das Endresultat mit einem Doppelsieg von Fangio und Kling zeigte deutlich, was die Optik erahnen liess. Hans Hermann im dritten Auto erzielte, vor seinem Ausfall, noch dazu die schnellste Rennrunde. Der Erfolg war komplett.
Das Datum dieses Doppel-Sieges war ein historisches, denn es geschah genau vierzig Jahre nach dem Sieg von Christian Friedrich Lautenschlager auf Mercedes beim Grossen Preis von Frankreich 1914. Zudem wurde an diesem Tag die deutsche Fussball-Nationalmannschaft beim "Wunder von Bern" mit 3:2 Weltmeister durch ein Tor von Helmut Rahn in der vorletzten Minute.
Unübesichtlichkeit als Nachteil
Die Stromlinienvariante wurde auch beim Grossen Preis von England in Silverstone eingesetzt. Jederman erwartete auf dieser auch heute noch superschnellen Strecke eine haushohe Überlegenheit des "Dickschiffes", doch die Vollverkleidung erwies sich zwischen den vielen Strohballen und Fässern als hinderlich.
Selbst das damalige argentinische Supertalent Juan Manuel Fangio hatte seine Probleme, zerbeulte das unübersichtliche Auto und wurde schlussendlich als Vierter abgewunken. Der Argentinier kritisierte die unübersichtliche Karosserie, weil er damit die Scheitelpunkte der Kurven nur sehr schlecht anvisieren konnte.
Den Grossen Preis von Italien konnte Fangio in Monza nach diversen technischen Problemen seiner Gegner gewinnen.
Nach Silverstone war klar, dass man mit dem breiten Stromlinien-Auto nicht überall siegen konnte und baute rechtzeitig für den Grossen Preis von Deutschland noch einen "normalen" Monoposto mit freistehenden Rädern, genannt Typ "Nürburgring".
Damit gewann Fangio in der grünen Hölle auf Anhieb. Dieser Grand Prix ging mit 3 Stunden und 45 Minuten als zweitlängster GP in die Geschichte ein, nur der GP Canada 2011 dauerte mit über vier Stunden noch länger. Der kleine Unterschied dabei ist aber, dass am Nürburgring durchgefahren wurde und in Canada ein heftiger Regen für einen längeren Rennstopp sorgte.
Schliesslich wurde Fangio im Jahr 1954 mit 42 Punkten Weltmeister. Er startete bei den neun Rennen mit drei verschiedenen Autos:
- GP Argentinien - Buenos Aires am 17.1.1954 mit Maserati 1. Platz
- GP Belgien - Spa-Francorchamps am 20.6.1954 mit Maserati 1. Platz
- GP Frankreich - Reims qm 4.7.1954 im Mercedes W196 Streamliner 1. Platz
- GP Grossbritannien - Silverstone am 17.7.1954 im Mercedes W196 Streamliner 4. Platz
- GP Deutschland - Nürburgring am 1.8.1954 im Mercedes W196 Monoposto 1. Platz
- GP Schweiz - Bern am 22.8.1954 im Mercedes W196 Monoposto 1. Platz
- GP Italien - Monza am 5.9.1954 im Mercedes W196 Streamliner 1. Platz
- GP Spanien - Pedralbes am 24.10.1954 im Mercedes W196 Monoposto 3. Platz
Tragische Saison 1955
Die Saison 1955 endete für den internationalen Motorsport mit verheerenden Folgen. In diesem Jahr verloren nicht nur Alberto Ascari und der zweifache Indy Sieger Bill Vukovich ihr Leben. Der 11. Juni 1955 veränderte den Motorsport genauso, wie es der 11. September 2011 für die ganze Welt tat.
An jenem Tag im Juni ereignete sich bei den 24 Stunden von Le Mans der schlimmste Unfall in der Geschichte des gesamten Motorsports. Der Mercedes 300 SLR von Pierre Levegh kollidierte mit dem Austin Healey von Lance Macklin, nachdem dieser dem zur Box abbiegenden Jaguar von Mike Hawthorn ausweichen musste. Durch die Berührung flog der Mercedes von der Strecke und tötete über 80 Zuschauer. Auch der Fahrer Pierre Levegh erlag seinen Verletzungen.
Daraufhin wurden vier der geplanten elf Rennen (Deutschland, Frankreich, Spanien und der Schweiz) abgesagt. Der Grosse Preis der Schweiz in Bern fand überhaupt niemals mehr statt, denn die Eidgenossen verabschiedeten kurz danach ein Rundstrecken-Rennverbot, das leider bis heute nicht wieder aufgehoben werden konnte.
Nochmals ein Weltmeistertitel für Mercedes und Fangio
Der Argentinier Juan Manuel Fangio holte sich trotz allen Tragödien einen weiteren Titel in seiner Karriere und dazu den letzten bis heute für die Stuttgarter. Mercedes zog sich am Ende des Jahres vom Rennsport zurück und es sollte viele Jahrzehnte dauern, bis das Werk zurückkehrte.
Fangio fuhr in der Saison 1955 ausschliesslich für Mercedes Benz:
- GP Argentinien - Buenos Aires am 16.1.1955, 1. Platz
- GP Europa - Monaco am 22.5.1955, Ausgefallen mit Hinterachsschaden
- GP Belgien - Spa-Francorchamps am 5.6.1955, 1. Platz
- GP Holland - Zandvoort am 19.6.1955, 1. Platz
- GP England - Aintree am 16.7.1955, 2. Platz
- GP Italien - Monza am 11.9.1955, 1. Platz (Streamliner)
Letzter Erfolg des Stromlinien-Silberpfeils
1955 kam der Streamliner nur einmal in Monza zum Einsatz, hier jedoch mit doppeltem Erfolg: Hinter Fangio belegte Taruffi den zweiten Platz und Stirling Moss fuhr noch dazu die schnellste Rennrunde. Es war das bis dahin schnellste Rennen der Formel 1 überhaupt. Der Schnitt lag bei 206,792 km/h, zum ersten Mal über der magischen Grenze von 200 km/h (nur die 500 Meilen von Indianapolis waren noch schneller und diese zählten von 1950-1960 zur F1-WM).
Keine Erfolge der Kopierer
Das Konzept vom Mercedes Streamliner wurde nur von Maserati kopiert. Dieses Auto kam jedoch zu keinem Renneinsatz, da es schon bei den Tests nie die Zeiten vom Monoposto erreichen konnte.
Fahreindrücke der Neuzeit
2011 wurden die beiden W-196-Varianten am Nürburgring 2011 von den damaligen Mercedes F1-Piloten Michael Schumacher und Nico Rosberg gefahren. Am meisten beeindruckte die beiden die Sitzposition. Einerseits überraschte die extrem gespreizte Beinstellung durch das in der Mitte liegende Getriebe, bei der der linke Fuss die Kupplung, der rechte Gas und Bremse rechts bediente. Andererseits faszinierte die beiden das mächtige Lenkrad und die aufrechte Sitzstellung.
Leider konnten die beiden Rennfahrer wenig über Power oder Strassenlage sagen, da das Ganze nur für eine kurze Medienshow diente. Immerhin entstanden dabei aber einige einmalige Bilder, denn im historischen Rennumfeld fuhren die beiden W-196-Varianten nie gegeneinander.
Vergleich der technischen Daten
W 196 mit freist. Rädern 1954 | W 196 1954 Stromlinie | W 196 1955 Stromlinie | |
---|---|---|---|
Motortyp | M 196 R | M 196 R | M 196 R |
Zylinder | 8 in Reihe | 8 in Reihe | 8 in Reihe |
Kurbelwelle | 10-fach gelagert | 10-fach gelagert | 10-fach gelagert |
Bohrung x Hub | 76 x 68.8 mm | 76 x 68.8 mm | 76 x 68.8 mm |
Hubraum cm3 | 2496 | 2496 | 2496 |
Verdichtungsverhältnis | 1:12 | 1:12 | 1:12 |
Leistung PS | 256 | 256 | 290 |
bei U/min | 8260 | 8260 | 8500 |
Kraftstoffverbrauch | 30-40 Liter | 30-40 Liter | 30-40 Liter |
Höchstgeschwindigkeit | über 300 km/h | weit über 300 km/h | weit über 300 km/h |
Radstand mm | 2210 | 2350 | 2350 |
Spur vorne mm | 1330 | 1330 | 1330 |
Spur hinten mm | 1358 | 1348 | 1348 |
Länge mm | 4025 | 4360 | 4360 |
Breite mm | 1625 | 1680 | 1680 |
Höhe mm | 1040 | 1020 | 1020 |
cw-Wert | 0.62 | 0.43 | 0.43 |
Gewicht kg | 835 | 829 | 829 |
Gewicht Motor kg | 204 | 204 | 204 |
Anzahl Vorwärtsgänge | 5 | 5 | 5 |
Achsantriebsübersetzung | 2222 | 2222 | 2222 |
Lenkung | Schneckenlenkung | Schneckenlenkung | Schneckenlenkung |
Reifen vorne | 6.00 x 16 | 6.00 x 16 | 6.00 x 16 |
Reifen hinten | 7.00 x 16 | 7.00 x 16 | 7.00 x 16 |
Vorderachse | Doppelquerlenker, Drehstabfedern, Teleskopstossdämpfer | Doppelquerlenker, Drehstabfedern, Teleskopstossdämpfer | Doppelquerlenker, Drehstabfedern, Teleskopstossdämpfer |
Hinterachse | Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt, längsliegenden Drehstabfedern, Teleskopstossdämpfer | Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt, längsliegenden Drehstabfedern, Teleskopstossdämpfer | Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt, längsliegenden Drehstabfedern, Teleskopstossdämpfer |
Bremsen | Duplex-Trommelbremsen v/h | Duplex-Trommelbremsen v/h | Duplex-Trommelbremsen v/h |
Information
Kostenlos anmelden und mitreden!
Mit einem Gratis-Login auf Zwischengas können Sie nicht nur mitreden, sondern Sie profitieren sofort von etlichen Vorteilen:
Vorteile für eingeloggte Besucher
Dazu wurden bei Professor Kamm in Stuttgart schon ab 1938 umfangreiche Windkanalversuche unternommen.
Eine Version dieser vollverkleideten Windkanalmodelle ähnelte bereits sehr stark der Karosserie des W 196 von 1954.
Und da gab es Ende 1938 noch ein vollverkleidetes Rekordfahrzeug mit 3-Liter-Maschine welches 1939 die Rekorde z.B. über 10 Meilen brechen sollte.
Bilder dieses Fahrzeugs habe ich vor "Corona" dem Daimler-Archiv übermittelt und tatsächlich tauchten diese in deren Bildarchiv nach längerer Suche auch auf.
Mal sehen was sich daraus noch so ergibt ......
Information
Kostenlos anmelden und mitreden!
Mit einem Gratis-Login auf Zwischengas können Sie nicht nur mitreden, sondern Sie profitieren sofort von etlichen Vorteilen:
Vorteile für eingeloggte Besucher
Der Technikvorstand war Hans Scherenberg, der Plural von Monoposto ist Monoposti.
Martin Schröder
Dann melden Sie sich an (Login).