Der Mercedes 300 SLR ist sicherilch der Rennsportwagen mit den grössten Höhen und Tiefen in seiner kurzen Karriere.
Zwei Zahlen - 10:07:48,000 und 84 - stehen symbolisch für den grössten Erfolg und die schlimmste Tragödie um dieses Auto.
Moss/Jenkinson fuhren die Mille Miglia 1955 in sagenhaften 10 Stunden 7 Minuten und 48 Sekunden - ein Sieg für die Ewigkeit. Im selben Jahr war Leveghs 300 SLR für die grösste Motorsport-Katastrophe aller Zeiten verantwortlich, als er bei den 24 Stunden von Le Mans am 11. Juni 1955 über den Austin-Healey von Lance Macklin in die Zuschauer flog und dabei insgesamt 84 Menschenleben forderte.
Der Unfall war nicht Leveghs Schuld, denn er musste dem kurzfristig zur Box fahrenden Jaguar von Hawthorn ausweichen und touchierte dabei den Austin-Healey.
Mercedes holte im selben Jahr noch den Konstrukteurs-Titel zog sich aber am Ende der Saison aus dem Rennsport zurück. Der Vorstandsbeschluss soll schon vor dem schicksalshaften Rennen gefällt worden sein, aber vermutlich wurde die Entscheidung durch den Unfall noch “erleichtert”.
Unschlagbarer Sportwagen
Der für die neue, ab 1954 geltende Formel 1 gebaute W196 erwies sich bald als nahezu unschlagbar und schon bei seiner Konzeption hatten sich die Ingenieure Rudolf Uhlenhaut und Hans Scherenberg Gedanken über einen möglichen Rennsportwagen auf der technischen Basis des Monopostos gemacht.
So wurde nur ein halbes Jahr nach dem W196 dessen Bruder names 300 SLR mit der internen Bezeichnung W196S präsentiert. Der Mercedes-Benz 300 SLR wurde 1955 als reiner Rennsportwagen mit dem Ziel gebaut, die Sportwagenweltmeisterschaft zu gewinnen. Obwohl es die Typenbezeichnung vermuten lässt, hatte er keine direkte Verwandtschaft mit den 300 SL Rennwagen (W 194) oder den 300 SL Strassensportwagen (W 198).
Vom Formel-1-Monoposto abgeleitet
Der W 196 S leitete sich vielmehr direkt aus dem ab 1954 eingesetzten Formel-1- Rennwagen, dem W 196 R, ab und übernahm vom Monoposto das Technikkonzept. Für den Einsatz bei den Sportwagenrennen waren allerdings Modifikationen notwendig. Dazu gehörte insbesondere die Ausführung als zweisitziges Fahrzeug und die Erhöhung des Hubraums von 2,5 auf 3 Liter (wobei die Sportwagenweltmeisterschaft ohne Hubraumbegrenzung ausgeschrieben war). Bohrung und Hub wurden deshalb von 76x68,8 mm auf 78x78 mm erhöht. Übernommen wurde ebenfalls die Benzineinspritzung.
Der Reihen-Achtzylinder M 196 und damit auch der im 300 SLR eingesetzte M 196.I bestand im Prinzip aus zwei Vierzylindermotoren, wobei die Kraft in der Mitte der Kurbelwelle abgenommen wurde. Die vier Nockenwellen wurden zwischen den beiden Blöcken über Zahnräder angetrieben.
Besonders zu erwähnen ist die Verwendung einer Zwangssteuerung der Ventile (desmodromische Ventilsteuerung). Sie erlaubte auch den Einsatz von zwei grossen Ventilen pro Zylinder. Die ganze Auslegung zielte auf eine Drehzahl von 10‘000 U/min. Die Kurbelwelle zeigte sich aber Drehzahlen über 8000 U/min nicht gewachsen, sodass im Renneinsatz die Limite auf 7600 U/min gesetzt wurde.
Der Block des M 196.I verzichtete auf die Stahlzylinder, stattdessen wurde der Motor in einem Stück aus reiner Leichtmetall-Legierung mit hohem Magnesiumanteil und angegossenem Zylinderkopf hergestellt, die Zylinderlaufbahnen wurden im Anschluss verchromt.
Der Rohrrahmen wurde grundsätzlich vom W 196 R übernommen, musste aber zusätzlich Platz bieten für einen zweiten Sitz, zwei Ersatzräder, einen Wagenheber und das Werkzeug für einen Radwechsel. Das Transaxle-Prinzip und die Eingelenk-Pendelachse mit tiefgelegtem Drehpunkt, Drehstabfederung und hydraulischen Teleskopstossdämpfern stammten ebenfalls vom Monoposto.
Infolge der schlechten Strassenverhältnissen, speziell bei der Mille Miglia und der Targa Florio wurde die Bodenfreiheit beim Sportwagen um sechs Zentimeter auf 175 mm vergrössert.
Neun Exemplare gebaut
Vom W 196 S wurden insgesamt neun Fahrzeuge gebaut, davon zwei als Coupé, die sogenannten Uhlenhaut-Coupés, die aber nie in den Rennen eingesetzt wurden.
Gebremst wurde nicht nur mit den vier Trommelbremsen, denn nach Le Mans kam man noch dazu mit einer Luftbremse. Sie bestand aus einer 0,7 m2 grossen Fläche über der Hinterachse, die hydraulisch dem Fahrtwind entgegengestellt werden konnte und so die Verzögerung der mechanischen Bremsen unterstützte.
Sechs Rennen
Mit dem W 196 S wurden 1955 sechs Rennen bestritten, von denen Mercedes fünf gewann: die Mille Miglia, das Eifelrennen, den Grand Prix von Schweden, die Tourist Trophy und die Targa Florio. Das sechste war das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, bei dem der W 196 S von Pierre Levegh, wie bereits erwähnt, in die Zuschauer geschleudert wurde. Mercedes zog noch während des Rennens die verbliebenen Autos zurück.
Als Fahrer wurden Juan Manuel Fangio (6 Einsätze), Stirling Moss (6), Karl Kling (5), John Fitch (3), André Simon (2), Peter Collins (1), Hans Hermann (1), Pierre Levegh (1), Desmond Titterington (1) und Wolfgang Graf Berghe von Trips (1) eingesetzt. Es war die mit Abstand internationalste Truppe in der damaligen Sportwagenweltmeisterschaft.
Die Mille-Miglia-Teilnehmer-Fahrzeuge
Die auf den Fotos gezeigten Autos tragen noch die Startnummern der Mille Miglia 1955, die auch gleichzeitig auf die damalige Startzeit verweisen. Die Nummer #658 wurde von Juan Manuel Fangio auf den zweiten Platz gesteuert und hat die Fahrgestell-Nummer 196.110- 00003/55. Die #722 ist das Siegerauto von Moss/Jenkinson mit der Fahrgestell-Nummer 196.110-00004/55.
Beide Autos gehörten zu den Schlachtrossen von Mercedes-Benz in der Saison 1955, wurden sie doch beide in allen Rennen eingesetzt, zu denen das Team mit den Sportwagen überhaupt antrat Auf 03/55 fuhr primär Juan Manuel Fangio, während Stirling Moss meist den 04/55 steuerte. Für die Tourist Trophy und die Targa Florio wechselte Fangio auf 05/55.
Der Wagen 04/55 war für alle Siege eines 300 SLR in den Läufen zur Sportwagenweltmeisterschaft 1955 verantwortlich. Bemerkenswert ist zudem, dass der erst 25jährige Moss an allen diesen Siegen beteiligt war (Mille Miglia, Tourist Trophy und Targa Florio).
Legendär ist sein Sieg an der Mille Miglia zusammen mit dem Journalisten Denis Jenkinson als Navigator. Sie durchfuhren die Strecke Brescia-Rom-Brescia in knapp über zehn Stunden mit einen Schnitt von 157,650 km/h. Ein Rekord, der nicht mehr gebrochen wurde.
Mit den drei ersten Plätzen gewann Mercedes-Benz die Sportwagenweltmeisterschaft 1955 gegen Jaguar mit zwei und Ferrari mit einem Sieg. Fangio siegte auf dem Wagen 04/55 bei den beiden „kurzen“ Rennen auf dem Nürburgring und in Schweden.
Stirling Moss zum Auto: "Der 300 SLR war das Auto, mit dem ich Fangio schlagen konnte. Deutlicher wie mit seiner siegreichen Fahrt bei der MM 1955 konnte er diese Aussage nicht unterstreichen.
Nach der aktiven Zeit verunfallt
Das berühmte Auto mit der grossen, roten Startnummer 722 erlitt 41 Jahre nach seinem letzten Einsatz am 17. Juli 1996 einen weiteren Unfall, zurückzuführen auf ein Missverständnis zwischen Klaus Seybold im 722 und Alexander Grau im C-Klasse-Tourenwagen. In der C-Klasse sass damals der Tennisstar und neu gewonnene Botschafter des Hauses Mercedes, Boris Becker auf dem Beifahrersitz. Der Unfall erfuhr natürlich gerade wegen Becker ein sehr grosses Medieninteresse. Der 300 SLR kam zur Reparatur nach Hinterzarten in den Hochschwarzwald, wo er von Hubert Drescher wieder auf Vordermann gebracht wurde.
Die Beschädigungen am Fahrzeug befanden sich auf der rechten Seite zwischen den Rädern, wo auch der Seitenauspuff schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Natürlich bekam auch der Gitterrohrrahmen vom Einschlag der C-Klasse so einiges ab. Dieser wurde in Fellbach vom Mercedes-Benz Classic Center wieder auf Vordermann gebracht. Diverse Rohre aus dem ein Millimeter dicken Chrom-Molybdän-Stahl mussten neu eingeschweisst werden.
Bei Drescher wurde das Auto genau vermessen und dabei wurden grosse Abweichungen festgestellt. So befand sich die linke Frontseite ein Zentimeter vor der Rechten und die Kühleröffnung war im Vergleich zum Originalplan von 1955 um fünf Zentimeter tiefer. Alles Folgen diverser Ausritte bei der Mille Miglia, der TT in Dundrod und der Targa Florio. "Moss fuhr nicht gerade materialschonend" meint Seybold dazu. "Und das bis heute", meinte Dieter Ritter (damaliger Sprecher der Mercedes Benz Classic), "denn selbst bei der MM 1996 fuhr Moss auf einen Mitbewerber auf, so können wir nun gleich zwei Versicherungsfälle auf einmal begleichen".
Aufwändige Reparaturen
Das grösste Problem lag in der Beschaffung von Magnesium-Platten, dem federleichten Metall (rund ein Drittel leichter als Aluminium), um die Karosserie wieder herzustellen. Nachdem man weltweit nach den Platten Ausschau gehalten hatte, fanden sie sich vor der Haustür in Untertürkheim, wo Seybold einige originale Restplatten passender Dicke entdeckte. Selbst für Drescher war die Verarbeitung von Magnesium Neuland. Er informierte sich einerseits über Fachliteratur, anderseits kontaktierte er den damals 76-jährigen Karosseriebauer Meister Schüller, der schon in den 50er Jahren beim Aufbau der Silberpfeile mit dabei war.
Bevor die kaltverformte SLR-Karosserie beschnitten werden konnte, musste ein Hilfsrahmen gebaut werden. Mit einem Flächenbrenner wurden die Magnesiumteile auf rund 300 Grad erhitzt um sie dann auf der Press-Spanholzform mit einem Buchenholzhammer in ihre neue Form zu treiben. Nachdem bei autogenem Schweissen infolge des Flussmittels Korrosion auftrat, musste auf das "Wolfram-Innert-Gas-Schmelzschweiss-Verfahren" dem sogenannten WIG-Schweissen, ausgewichen werden.
Hubert Drescher legte beim Wiederaufbau grossen Wert auf die Ästhetik und den Charakter des Fahrzeugs. Am Silberpfeil sollte auch nach der Restaurierung noch sein wahres Alter sichtbar sein. 1955 legte man wenig Wert auf Perfektion im Detail. Hammerschläge wie Nieten waren sichtbar und sie sollten es auch weiterhin bleiben. Genauso beliess man die unterschiedlichen Spaltmasse, auch sie sollten nicht vereinheitlicht werden.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 20 / 1955 vom 27.Apr.1955 - Seite 21: Der Mercedes-Benz 300 SLR-Rennsportwagen
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Dort schreibt Neubauer u.a., daß Mercedes-Benz die Renntätigkeit 1956 nicht fortsetzen würde.
Also war es sowohl dem Vorstand als auch Neubauer schon Ende 1954 klar, daß es mit dem Motorsport seitens Mercedes ab Ende 1955 vorbei sein würde.
Sicher gaben dafür personelle und wirtschaftliche Gründe den Ausschlag wie die Weiterentwicklungen im PKW-Bereich bei einer damals begrenzten Zahl an qualifizierten Fachkräften und es mußte Geld verdient werden.
Anhand der Unterlagen stört mich jedenfalls die so oft erzählte "Geschichte", daß in Untertürkheim erst im Spätsommer 1955 der Beschluß zum Ausstieg gefasst wurde.
Ansonsten ist der 300SLR nach wie vor ein faszinierendes Fahrzeug.
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Moss konnte 1955 wohl nur zusammen mit Jenkinson die MM gewinnen. Der 300SRL des allein fahrende zweitplazierte Fangio hatte bereits in Rome Probleme mit der Einspritzung und war trotzdem nur etwas mehr als 30 Minuten langsamer als das Team Moss-Jenkinson. Für mich war Fangio der Beste.
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