Wir können uns heute gar nicht mehr vorstellen, welche Vielfalt von Konstruktionsblüten der Rennwagenbau zwischen den 1920er und 70er Jahren hervortrieb, in einer Epoche, als es noch keine Computersimulationen gab. Manches würde heute gar nicht erst auf die Strasse gelangen, weil schon die Computerberechnungen und –Simulationen es als untauglich verworfen hätten. Dass sich im Rennwagenbau seit den achtziger Jahren in den meisten Bereichen zunehmend eine Design-Monokultur entwickelte, hat seinen Grund zum einen in der Digitalisierung, zum andern aber auch in den immer präziseren reglementarischen Vorgaben, die zu einem sehr hohen Sicherheitsstandard geführt haben.
Experimente auf Strasse und Rennstrecke
Lassen wir uns daher umso mehr faszinieren von den mutigen Experimenten, die vor Jahrzehnten als veritable Fahrzeuge auf die Strasse kamen, manchmal auf Anhieb sogar siegten, oft aber auch bald wieder verschwanden und, wenn wir Glück haben, heute noch im Museum oder gar bei einem historischen Rennanlass zu bewundern sind. Wobei: Auch früher gab es Entwürfe, die nie auf die Räder kamen - Phantome der Rennstrecken. Einer davon ist der Alfa Romeo P160.
Frontmotor mit Heckfahrer
Motor vorne, Fahrer in der Mitte, Tank dahinter- das war jahrzehntelang das Standard-Layout im Rennsport. Bis Auto- Union in den 30er Jahren den Motor in die Mitte und den Fahrer davor setzte. Das kam zwar wie beabsichtigt der Traktion zu gute, war zugleich aber wegen der Hecklastigkeit alles andere als einfach zu fahren.Auch Alfa Romeo hatte 1939 einen solchen Mittelmotorwagen gebaut, den 512 mit Zwölfzylinder-Motor. Der Fahrer sass hier noch weiter vorne als im Auto-Union - und das Auto war praktisch unfahrbar, weil der Fahrer die Hinterachse nicht spürte, und der Wagen fuhr (auch kriegsbedingt) nie in einem Rennen. Solche Rückschläge trugen dazu bei, dass nach dem Krieg das Mittelmotorkonzept vorderhand nicht weiterverfolgt wurde, mit ganz wenigen, ebenfalls nie im Rennen eingesetzten Ausnahmen wie dem Cisitalia 360. Dafür gab es bis Ende der 50er Jahre im Ein- und Zweisitzerbau immer wieder Versuche, dem Frontmotor- Layout noch neue Möglichkeiten abzuringen.
Regeländerung in der Formel 1 ab 1952
Nach dem Krieg dominierte Alfa Romeo die beiden ersten Formel 1 Jahre 1950 und 1951 mit seiner konventionellen, aber exzellenten Frontmotor- Konstruktion mit Kompressor, dem Alfetta (Tipo 158/159). 1952 trat ein neues Reglement in Kraft (Formel 2 Fahrzeuge - eine Steilvorlage für Ferrari), und die Firma zog sich offiziell vom Rennsport zurück, um sich auf die Strassenfahrzeuge zu konzentrieren - die erste, erfolgreiche Giulietta entstand. Aber das Rennvirus im Haus lebte weiter, und so war es möglich, dass sich in aller Heimlichkeit ein Team um Orazio Satta daran machte, im Hinblick auf das Reglement ab 1954 mit 2,5l- Saugmotoren den Rennwagen neu zu erfinden. Das Puzzle mit den Bausteinen Motor, Antrieb und Fahrer konnte doch noch nicht ausgereizt sein, und zwar auch ohne die heikle Zentralmotorlösung anzugehen.
Warum nicht zum Beispiel dies: Schön flacher Motor vorne, Fahrer erhaben auf der Hinterachse? Direkte Rückmeldung des Hecks von unten, alles bestens im Blick nach vorne - welche Anordnung könnte bessere Fahrzeugbeherrschung bieten?Gesagt getan. Pragmatischer Schritt 1 im Herbst 1952: Man nehme einen der erfolgreichen Alfetta 159, verlege die Fahrerposition provisorisch ganz nach hinten und fahre einen geheimen Test in Monza. Funktioniert gar nicht schlecht. Testfahrer Sanesi äussert, die Handhabung des Fahrzeugs in Kurven sei sehr gut und er sehe diese Bauweise schon als künftigen Standard im Rennwagenbau...
Projekt P160
So wird das Projekt, Codename P160, gestartet. Auf einem weissen Papier erscheinen: Tragender, flacher 2,5l V12-180 Grad-Frontmotor mit 285 PS bei 10'000 U/M, angeflanscht die Kupplung und ein zentrales Chassisrohr von grossem Durchmesser, am hinteren Ende des Rohrs vor der Hinterachse das Getriebe und das Differential (Transaxle-Bauweise). Dazu gleich noch ein cleverer abschaltbarer Allradantrieb dank einer zusätzlichen Antriebswelle durch den Motor zur Vorderachse. Der Benzintank liegt hinter dem Motor über dem Chassisrohr, zum Teil direkt über den Füssen des Fahrers. Ein traditionelles Chassis in Form eines Rohr-Käfigs oder Ähnliches ist überflüssig-Motor, Verbindungsrohr und Getriebe bilden ein eigentliches Rückgrat des Fahrzeugs, an dem auch die Aufhängungen angeflanscht werden. Ein absolut revolutionäres Konzept mit einer ausgeglichenen Massenkonzentration zwischen den Achsen, bei der sich die Balance auch bei sich leerendem Tank kaum verschob. Und all dies wurde möglich, weil der Fahrer in diesem kompakten Gebilde nicht auch noch zwischen den Achsen untergebracht werden musste, sondern ganz hinten über der Hinterachse sass.
Die unabhängige Vorderradaufhängung bestand aus sehr langen Dreiecksquerlenkern, die hinten am Chassisrohr angelenkt waren. Längsliegende Torsionsstäbe dienten als Federelemente. Die Hinterachse war nach dem damals weit verbreiteten De Dion-Prinzip ausgebildet, und die Längslenker wurden am zentralen Chassisrohr angelenkt. Ihrer Zeit voraus waren die beiden schräg-vertikalen Spiralfederbeine mit innenliegendem Teleskopdämpfer. Da sich für diese wegen der Zentralrohr-Chassiskonstruktion keine oberen Anlenkpunkte ergaben, übernahmen zwei gebogene Halbjoche auf dem Getriebe diese Aufgabe. Die Trommelbremsen waren vorne und hinten nach innen verlegt, um die ungefederten Massen klein zu halten. Und der Fahrer: Er thronte direkt auf der Hinterachse, Schalthebel zwischen den Beinen, Panoramablick über das ganze Fahrzeug, ungefilterte Rückmeldungen ans Popometer. Waren das nicht perfekte Arbeits- Bedingungen für schnelle Rundenzeiten?
Wir werden es nie erfahren. Denn das Fahrzeug blieb ein Traum auf dem Papier. Das heisst: Teile für zwei Motoren wurden hergestellt und die Motoren auch zusammengebaut. Ob sie zumindest auf dem Prüfstand getestet wurden, ist unklar.
Was bleibt, ist ein Projekt, das in seiner Radikalität bis heute zu faszinieren vermag. Und die Frage, ob der P160 1954 und 1955 gegen die überlegenen Mercedes W 154 und die raffinierten, aber anfälligen Lancia D50 eine Chance gehabt hätte.

Der Fahrer sitzt auf der Hinterachse und hat alle 4 Räder im Blickfeld.
Flacher V12-180 Grad Motor und Getriebe-/Differentialeinheit, verbunden durch ein Rohr von grossem Durchmesser, bilden das Rückgrat des Fahrzeugs. Der Motor hat Mittelabtrieb; in der hohlen Antriebswelle läuft die Welle für den Frontantrieb durch den Motor hindurch.
Man beachte das Chassisrohr mit grossem Durchmesser zwischen Motor und Getriebe an der Hinterachse sowie die Lage der Pedalerie.
Links die Vorderachse, Man beachte die 4 innenliegenden Trommelbremsen am Ausgang der Differentiale
Die unabhängige Vorderradaufhängung ist direkt an Motor, Differentialgehäuse und Chassisrohr angeflanscht. Auffallend die langen oberen Dreiecksquerlenker und die nach innen verlegten Trommelbremsen mit Kühlrippen.
Die Hinterachse: Klassische De Dion- Konstruktion mit Gleitstein hinten am Differentialgehäuse zur Aufnahme der Seitenkräfte. Zwei Längslenker führen nach vorne ans zentrale Chassisrohr. Federung über Schraubenfedern mit innenliegenden Stossdämpfern. Innenliegende Trommelbremsen mit Kühlrippen.
Mittragender 2,5 l V12 180 Grad-Motor: Vier obenliegende Nockenwellen mit Mittelantrieb. Abtrieb ebenfalls mittig. Vorne im Bild der Flansch für das Chassisrohr, hinten das Gehäuse für das Frontdifferential.
Der Motor von vorn. Links das Gehäuse für das Frontdifferential.
Der Motor von hinten mit dem Flansch für die Kupplung und das Chassisrohr, das die Verbindung zum Getriebe gewährleistet.
Aus den Erinnerungen von Ingegnere Giuseppe Busso
Orazio Satta gab mir Ende Juni 1952, nachdem Gioachino Colombo gegangen war, den Auftrag, eine kleine Sportabteilung mit einem halben Dutzend Mitarbeiter aufzubauen. Was das Thema Einsitzer betraf, gab mir Satta freie Bahn für ein Experiment, an das ich schon seit einiger Zeit gedacht hatte, und zwar nach einer der vielen Diskussionen mit Sanesi (dem Testfahrer) über den Zentralmotor-Typ 512 von Ricart, den er 1941 in Monza getestet hatte. Da Sanesi moniert hatte, die stark nach vorne gerückte Fahrerposition sei der grösste Nachteil des 512, fragte ich Sanesi provokativ, ob er sich sogar einen Fahrersitz hinter der Hinterachse vorstellen könnte. Als der spontan antwortete „weshalb eigentlich nicht?“, glaubte ich zuerst, mich verhört zu haben, aber er versicherte mir, dass er es ernst meine.So wurde beschlossen, sobald wie möglich mit einem modifizierten Alfetta 159 in Monza einen Test zu machen. Das OK von oben kam schneller als gedacht, sicher auch dank der Unterstützung von Weltmeister Fangio und dem technischen Berater Hruska.
Die neue Monoposto- Formel für 1954 sah 2,5 l Saugmotoren oder 750 ccm- Kom-pressormotoren vor, und meine Idee war, ein Fahrzeug zu entwickeln, das auf einem 2,5l V12 180 Grad-Motor in zentraler Lage basierte, mit Vierradantrieb, Getriebe an der Hinterachse, einem Zentralrohr von grossem Durchmesser zwischen Motor und Getriebe als Chassis, einer klassischen unabhängigen Vorderradaufhängung, einer hinteren De Dion- Achse, vorne und hinten innenliegende Bremsen und dem Fahrersitz hinter der Hinterachse. Am 13. Juli 1952 besuchte ich mit einer einfachen Skizze Fangio, der wegen eines Unfalls im Spital lag, und gewann sofort seine Unterstützung für das Projekt. Hruska, der eben von dem abgebrochenen Cisitalia- Projekt kam (Typ 360 mit 1,5l 12 Zylinder- Zentralmotor vor der Hinterachse und Allradantrieb), war ebenfalls begeistert. Der modifizierte 159 war Mitte Oktober testbereit. Die wichtigsten Änderungen betrafen den Sitz, das Lenkrad, die Pedale und die Schaltung. Die kleine Windschutzscheibe blieb an ihrem angestammten Platz.
Der umgebaute Tipo Alfetta 159 (Fangios Weltmeisterwagen 1952) mit Testfahrer Sanesi in Monza. Man beachte die kleine Windschutzscheibe an der Originalposition des Tipo 159.
Die erste Testfahrt ergab eine Zeit von 1’59’’ und lag damit deutlich über dem Rekord von Fangio (1’53’’,4). Sanesi wischte unsere Enttäuschung aber schnell beiseite: Er habe diese Zeit grösstenteils einhändig gefahren, weil er wegen der originalen, viel zu weit vorne stehenden und damit unwirksamen Windschutzscheibe mit der anderen Hand die Brille habe festhalten müssen (!). Er war so sehr überzeugt, dass wir den Rennwagen der Zukunft bauen würden, dass er sogar auf einen weiteren Test mit einer zurückversetzten Scheibe verzichtete - die Verbundenheit des Fahrers mit dem Fahrzeug sei unvergleichlich. Die gleichzeitige Arbeit am Giulietta- Projekt brachte dann aber das Projekt 160 in Verzug. Im November 1955 erfolgte noch der erste Prüfstandstest für den 12- Zylinder Motor, und danach kam das Aus. Die Giulietta hatte absolute Priorität für die Zukunft der Marke.
Übersetzung aus dem Italienischen: Gerhard Schütz
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Ueli E. Adam
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