Nachdem der Staatskonzern Alfa Romeo im November 1986 durch die Fiat Gruppe übernommen wurde, musste sich Alfa Romeo auf den Tourenwagensport konzentrieren, die Formel 1 “gehörte” im Konzern natürlich Ferrari.
Neuanfang gesucht
Als es sich abzeichnete, dass Alfa Romeo im Jahr 1987 in der Tourenwagen-WM mit den Alfa 75 Turbo relativ wenig Chancen hatte, wurde von der Konzernleitung der komplette Rückzug angeordnet. Die aus der ehemaligen Sportabteilung Auto Delta entstandene Alfa Corse, sollte sich statt dessen auf die von der FIA neu ausgeschriebene ProCar-Serie konzentrieren. Die ProCar-Serie wiederum war ein Kind des FOCA-Bosses Bernie Ecclestone, der in der Vergangenheit durch den Einsatz von Alfa-Romeo-Motoren in seinen Brabham-Formel-1-Boliden nachwievor beste Kontakte zu Alfa Romeo unterhielt.
Formel-1-Rennwagen im Limousinengewand
Diese ProCar-Fahrzeuge sollten in der neuen Gruppe "S" (S=Silhouette) homologiert werden und als Tourenwagen mit Formel-1-Technik antreten. Vorgeschrieben war einzig eine Limousine die mindestens 25`000 Mal pro Jahr gebaut wurde und abgesehen von Reifenabmessungen und Felgendimensionen keine weiteren Einschränkungen aufwies. Somit wurden den Konstrukteuren kaum Grenzen gesetzt, bis auf das Mindestgewicht von 750 kg.
Ecclestones Ziel war es, für diese neue Rennserie möglichst viele Grossserienhersteller zu begeistern - um hiermit vor allem neue Motorenhersteller für die Formel 1 zu gewinnen.
Für die in der Gruppe "S" vorgeschriebenen Motoren galten nämlich die genau gleichen Eckdaten, wie sie damals in der F1 definiert waren: Saugmotoren mit 3,5 Liter Hubraum. Und einen derartigen Motor hatte Alfa Corse bereits fertig entwickelt.
Auch die übrige Technik, wie etwa Monocoque-Bauweise oder Kohlefaser-Bremsscheiben entsprach weitgehend der Königsklasse. Die Optik der Karosserie allerdings musste mit dem entsprechenden Serienwagen identisch sein. Aerodynamische Hilfsmittel waren mit Ausnahme eines riesigen Heckflügels im Sichtbereich verboten.
Konzentrierte Entwicklungsarbeit
Alfa Romeo versuchte nun, alle frei gewordenen Kapazitäten der Rennabteilung auf das Projekt ProCar zu fokussieren. In Zusammenarbeit mit dem britischen F1-Rennstall Brabham, der sich zu dieser Zeit noch im Besitz von Bernie Ecclestone befand, entstand der Alfa Romeo 164 ProCar.
Chassis und Karosserie entstanden als Aluminium-Nomex-Honeycomb Monocoque in Verbindung mit Kevlar und Kohlefaser. Die Aussenhaut war in drei Teile geteilt: vorne bildeten Motorhaube und Kotflügel eine Einheit, hinten waren es das Dach ab B-Säule, die hinteren Türen, der Kofferraumdeckel sowie die Kotflügel. Der Mittelteil bestand aus der Fahrgastzelle des Fahrzeuges mit Türen, Windschutzscheibe, A- und B-Säulen sowie dem vorderen Teil des Daches.
Vorder- und Hinterteil der Karosserie konnten komplett demontiert werden und waren nur mit den im Rennsport üblichen Schnellverschlüssen am Chassis fixiert. Beide Türen entsprachen in Grösse und Funktion, nicht aber bezüglich Material der Serie. Selbst Lichter, Stossfänger, Rückspiegel sowie das Armaturenbrett sahen aus wie beim Serien-Auto.
Renntechnik vom Feinsten
Die Technik hatte es aber in sich. Die gesamte Bremsanlage entsprach dem Formel-1 Standart und wies unter anderem Monoblock-Bremssättel mit Mehrkolbentechnik und Kohlefaser-Bremsscheiben auf.
Beim Motor handelte es sich um einen nach dem neuesten Formel 1-Reglement aufgebauten 73° V10 Motor mit vier obenliegenden Nockenwellen und vier Ventilen pro Zylinder. Er wurde als Mittelmotor in das Chassis eingebaut und an ein dahinterliegendes Sechsgang-Getriebe (mit Rückwärtsgang) angeflanscht. Die komplette Antriebseinheit wurde als tragendes Teil in das Chassis integriert.
Von der Firma Bosch kam das digitale Zünd-Einspritzsystem. Der Motor entwickelte eine Leistung von über 600 PS. Diese Pferdestärken hatten mit dem geringen Leergewicht von 750 kg leichtes Spiel. Aus dem Stand waren 100 km/h in etwa 2 Sekunden erreicht. Die Höchstgeschwindigkeit betrug rund 340 km/h. Verglichen damit war der Serien-164 ein lahmer Gaul, denn mit seinem 3,0 Liter SOHC V6 Motor entwickelte er gerade einmal 192 PS, womit natürlich der Sturm auf die 100-km/h-Marke rund 6 Sekunden länger dauerte. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von knapp 230 km/h war die Serienlimousine gute 110 km/h langsamer. Das waren Welten!
Aber trotz dem Ringen um jedes Kilogramm schafften es die Ingenieure, ein serienähnliches Cockpit zu verbauen, zumindest die Mittelkonsole scheint direkt aus dem Serien-Alfa zu stammen.
Aufwändige Entwicklung
Alfas Rennabteilung Alfa Corse hatte es in Zusammenarbeit mit Brabham geschafft, innert kürzester Zeit eine ernst zunehmende Studie auf die Rennstrecke zu stellen und setzte dabei das neue Reglement mit einer bemerkenswerten Konsequenz um.
Nicht nur die Technik sondern auch die Kosten lagen beim 164 ProCar auf damaligem F1-Niveau. Man sprach von rund 350’000 US-Dollar für Entwicklung und Produktion dieses Rennwagens, was für damalige Verhältnisse (1987) eine ganze Menge Geld bedeutete!
Während die Endgeschwindigkeit des 164 ProCar aufgrund der besseren Aerodynamik über dem F1-Niveau lag, musste man anderswo Kompromisse eingehen. Rad- und Reifendimensionen waren deutlich eingeschränkt und erreichten nicht ganz die Grössenverhältnisse der damaligen Formel 1. Laut Reglement durfte die maximale Reifenbreite je Fahrzeugseite (Summe aus Vorder- und Hinterrad) 24 Zoll nicht überschreiten. Beim 164 ProCar bedeutete das vorne 9" x 17" und hinten 13,5" x 17". Auf diesen Felgen waren profillose Rennreifen von Michelin in den Grössen 23/66-17" vorne und 35/66-17" hinten aufgezogen.
Michelin hatte übrigens schon für die Testfahrten des ProCars einen Exklusivvertrag mit Alfa Romeo abgeschlossen. Wenn es zu einem Start gekommen wäre, hätte dies mit Sicherheit substantiell einen Vorteil bedeutet.
Die Hauptschwierigkeit bestand darin, dem unter einer riesigen Abdeckung liegenden Mittelmotor genügend Kühlung zukommen zu lassen. Der damalige Versuchsingenieur Giuseppe Petrotta musste mehrmals nach England reisen bis das Honeycomb-Monocoque von Brabham die passenden Luftkanäle zum Alfa-Motors freisetzte. Unter der eigentlichen Motorhaube des 164 befanden sich einzig Wasser- und Oelkühler. Die Aerodynamik befand sich damals noch in den Kinderschuhen.
So Giorgio Pianta (damaliger Sportchef von Alfa Romeo): "Vor der Vorder- und hinter der Hinterachse haben wir eine kontrollierte Luftführung durch verkleidete Unterböden erreicht, damit sich die Auftriebswerte in Grenzen halten." Petrotta weiss: "Der Unterboden hinten hat genauso viel Abtrieb gebracht hat wie der keck aufragende Heckspoiler." So wurde dafür gesorgt, dass der Alfa auch bei hohem Tempo am Boden blieb.
Leider nie im Renneinsatz
Schade, konnte sich der Alfa 164 ProCar nie auf der Rennstrecke mit Konkurrenz messen. Kein anderer Hersteller war damals bereit, das hohe Kosten- und Entwicklungsrisiko eines solchen Autos auf sich zu nehmen. Daher starb die ProCar-Serie, noch bevor sie wirklich geboren wurde.
Der Alfa 164 ProCar blieb das einzige Fahrzeug für diese Serie.
Pianta sah das Problem der mangelnden Beteiligung am Image der neuen Rennformel folgendermassen: "Der technologische Aufwand für ein Silhouetten-Auto ist genauso gross wie für ein F1-Auto. Deshalb sind die Konkurrenten nur zögernd vorgegangen. Aber soviel steht fest: Ein Rennen mit 20 ProCar Autos von Mercedes, BMW, Alfa und allen anderen wäre bestimmt eine gute Show geworden und der Sound hätte wohl auch gestimmt."
Bei Testfahrten in Balocco und Monza muss den Fahrern (Francia und Patrese) Angst- und Bange gewesen sein, da gemäss Reglement auf Abtrieb produzierendes Flügelwerk verzichtet werden musste. So konnten zwar haarsträubende Höchstgeschwindigkeiten erreicht werden, der Geradeauslauf war aber wegen des fehlenden Anpressdrucks genauso abenteuerlich wie das Fahrverhalten in den Kurven.
Die Rennen mit diesen Ungetümen wären sicherlich höchst unterhaltsam für die Zuschauer gewesen und auch bei den Fahrern hätte sich der Spreu vom Weizen getrennt. Schade, dass es nie dazu kam.
Technische Daten (wie abgedruckt im Heft Sport-Auto 10/1988)
- Motor:
Zehnzylinder V-Motor mit 72 Grad Zylinderwinkel, vor der Hinterachse längs eingebaut, ca. 3,5 Liter Hubraum, um jeweils 180 Grad versetzte Hubzapfen für die benachbarten Zylinder, Wasserkühlung. Ventiltrieb über Zahnrad-Vorgelege, Zahnriemen, jeweils zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinderreihe, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstössel. - Kraftübertragung:
Hinter der Hinterachse längs eingebautes Sechsgang-Getriebe mit Rückwärtsgang, wahlweise Hewland- oder Brabham-Getriebe, Kegelrad-Differential, Titan- Antriebswellen auf die Hinterräder. - Fahrgestell:
Honeycomb-Monocoque aus Aluminium-Waben im Kevlar-Kohlefaser-Verbund, Aluminium-Rohrverstrebung über dem Motorraum, Kohlefaser-Karosserie und -verkleidung für die Bodengruppe. - Fahrwerk:
Vorn und hinten doppelte Querlenker, Stabilisator und über Kipphebel beaufschlagte Feder-Dämpfereinheiten (Kong-Dämpfer) - Bremsen:
Vorne und hinten innenbelüftete Kohlefaser-Bremsscheiben, wahlweise AP- oder Brembo-Aluminium-Bremssättel.
Gegenüberstellung Serien- und Rennversion Alfa Romeo 164
Alfa Romeo 164 3,0 V6 | Alfa Romeo 164 ProCar | |
---|---|---|
Jahr | 1987 | 1987 |
Motortyp | 3,0 Liter Viertakter | 3,5 Liter Viertakter |
Zylinderzahl | V 6 - 60 Grad |
V 10 - 72 Grad |
Hubraum | 2959 cm3 | 3500 cm3 |
Bohrung x Hub | 93 x 72,6 mm | keine Angabe |
Leistung PS | 192 | über 600 |
bei U/min | 5600 | 11700 |
Drehmoment | 261 | keine Angabe |
bei U/min | 4900 | keine Angabe |
Anzahl Nockenwellen | 2 (SOHC) | 4 (DOHC) |
Anz. Ventile pro Zylinder | 2 | 4 |
Getriebe (Anzahl Gänge) | 5 V 1 + 1 R | 6 V + 1 R |
Felgen/Reifengrösse (vorne) | 6 x 15 / 195/60 15 oder 205/55 15 | 9 x 17 / 23/66-17 |
Felgen/Reifengrösse (hinten) | 6 x 15 / 195/60 15 oder 205/55 15 | 13,5 x 17 / 35/66-17 |
Leergewicht kg | 1400 | 750 |
Länge mm | 4555 | rund 4555 |
Breite mm | 1760 | rund 1760 |
Höhe mm | 1390 | rund 1330 |
Tankinhalt Liter | 70 | 100 |
Fahrleistungen 0-100 km/h in s | 8.1 | |
Fahrleistungen 0-96 km/h in s | 2.1 | |
Höchstgeschwindigkeit km/h | 230 | 340 |
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