Dieser Bericht stammt aus dem 2. Band der beliebten Buchreihe “Hallo Fahrerlager“ von Rainer Braun aus dem Jahr 2008.
Flughafen Paris, Freitag, 10. Juni 1988. SAT 1-Sportkoordinator Peter Ramsauer wartet schon mit dem Leihwagen am Ausgang. Gemeinsam fahren wir nach Le Mans, wo ich zusammen mit Gustav Büsing mehrere Live-Einblendungen vom Langstrecken-Klassiker kommentieren soll.
Die Vorbereitungen sind hektisch, weil am Reporterplatz fast nichts funktioniert. Eine Mini-Kabine, rumhängende Kabelstränge, ein verdreckter Monitor, achselzuckende Techniker. Zu allem Überfluss sollen wir uns auch noch die Kabine mit „Screensport“ teilen.
Es geht drunter und drüber. Zum Essen bleibt kaum Zeit, hier ein Stück Käsekuchen, da eine Bratwurst, mehr ist nicht drin. Am Abend machen sich heftige Magenschmerzen bemerkbar, die sich nachts zu wüsten Koliken ausweiten. Ich versuche das Unheil mit „Metifex“ aus meiner Reiseapotheke zu stoppen, was zumindest bis Samstagvormittag noch einen Teilerfolg bewirkt. Kaum sind wir aufgeschaltet, wird mir schwarz vor Augen und ich sinke samt Kopfgeschirr zu Boden. Kollege Büsing, als Co-Kommentator vorgesehen, reagiert blitzschnell und übernimmt Begrüßung und Kommentar. Reporter Braun liegt derweil ohnmächtig am Boden, Sendeleiter Ramsauer steht kurz vorm Infarkt.
Nachdem die erste Schalte mit der Startphase über den Sender ist, schleift mich Gustav ins Porsche-Camp zu Doktor Georg „Schorsch“ Huber. Der besieht sich den angelieferten Patienten und wiegt nach kurzer Untersuchung das schüttere Haupt. „Das sieht nicht gut aus, der Mann muss an den Tropf. Verdacht auf Salmonellen-Vergiftung.“ Wahrscheinlich war’s der nicht mehr ganz taufrische Käsekuchen. Eilends lässt er in der Porsche-Wagenburg ein Wohnmobil frei räumen, packt mich in ein Bett und schließt den Tropf an. Alle 15 Minuten prüft er Puls und Blutdruck, führt mich zur Entleerung „oben und unten“ zur Toilette und verabreicht weitere Medikamente. Sogar auf dem kurzen Weg zwischen Toilette und Krankenlager muss ich mich übergeben, was Bob Wollek zu dem empörten Kommentar veranlasst, „dass sich jetzt hier bei Porsche schon die Besoffenen auskotzen“.
Der mir sonst eher freundschaftlich verbundene Franzose hat mich in der hereinbrechenden Dämmerung nicht erkannt und wendet sich angewidert ab. Mir geht es immer schlechter, gegen Mitternacht kommt der Tiefpunkt. Halb im Delirium höre ich, wie Doc Huber zu Gustav Büsing sagt: „Wenn der sich nicht bald stabilisiert, muss ich ihn ins Krankenhaus nach Le Mans schaffen.“
Porsche-Vorstand Branitzki sucht sein Bett
… Dann kriege ich mit, wie sich jemand empört darüber beschwert, dass da ein Fremder in seinem Bett liegt. Es ist der soeben aus Stuttgart eingeflogene Porsche-Vorstandsvorsitzende Heinz Branitzki, dem Pressemann Klaus Reichert geduldig erklärt, dass das Bett jetzt leider mit einem Notfall belegt ist und die Schlafstatt nicht zur Verfügung steht. Der Porsche-Chef ist nicht begeistert, wird aber anderweitig untergebracht. Gustav B. bedient auch in der Nacht die SAT 1-Zuschauer alleine, schaut aber zwischendurch regelmäßig bei mir vorbei. Als der Sonntag anbricht, ist das Schlimmste überstanden. Ich will zum Reporterplatz, aber Doc Huber bremst: „Das geht noch nicht, Sie sind zu schwach und fallen gleich wieder um.“ Wenigstens die letzte Stunde bis zur Zielankunft darf ich dann doch mitkommentieren, aber es fällt alles noch sehr schwer. Sicherheitshalber steht Huber mit dem Notfallkoffer neben mir, um jederzeit einzugreifen. Zumindest erlebe ich so bei vollem Bewusstsein den knappen Jaguar-Sieg des Trios Lammers, Dumfries und Wallace vor dem Werks-Porsche 962 von Ludwig und Stuck.
Rücktransport und Genesung
Freund Gustav hat derweil schon meinen schnellen Rücktransport nach Hause organisiert – eine Stunde nach Zieldurchfahrt sitze ich als Gast von Bilstein im Arcus Air-Flieger nach Köln. Start ist gleich neben der Rennstrecke auf dem Flugfeld, das man in ein paar Minuten zu Fuß erreicht. Vorm Abflug hat mich Huber noch eindringlich ermahnt. „Essen Sie heute nichts mehr, das kommt alles gleich wieder raus. Und am Montag stellen Sie sich bitte sofort bei Ihrem Hausarzt vor, denn die Salmonellen-Vergiftung muss unbedingt weiter behandelt werden. Wenn nicht, behalten Sie einen dauerhaften Leberschaden.“ In den Tagen danach wird mir schon schlecht, wenn ich nur was Essbares sehe, erst Tage später kommen Appetit und Wohlbefinden zurück.
Nach zwei Wochen sind die Blutwerte endlich wieder in Ordnung, der Hausarzt verordnet aber sicherheitshalber noch für einige Zeit strenge Diät und striktes Alkoholverbot. Schon nach meiner Rückkehr aus Le Mans habe ich telefonisch Kontakt mit Doc Huber in der Uniklinik Freiburg aufgenommen. Erst jetzt rückt er mit der ganzen Wahrheit raus: „Ihr Zustand war phasenweise lebensbedrohlich und ich war mir keineswegs sicher, ob der Verbleib im Notquartier an der Rennstrecke noch zu verantworten war. Der Käsekuchen muss uralt gewesen sein.“
Als Dankeschön für seine schnelle Hilfe bringe ich eine Kiste mit sechs Flaschen französischem Rotwein auf den Weg.
Eine ganze spezielle Le-Mans-Tradition
Doktor Huber, Porsche, die Patienten und ihre Wehwehchen – das ist eine der ganz speziellen Le Mans-Geschichten. Schon seit 1973 betreut der Sportmediziner aus dem Team von Professor Keul die Porsche-Werksmannschaft bei ihren Einsätzen in Le Mans und anderswo. Später wird er zusätzlich durch den Düsseldorfer HNO-Arzt Dr. Jürgen Lindemann unterstützt.
Huber ist ein Schwarzwälder Original, unaufgeregt, witzig, kumpelhaft. Zwölf Olympische Spiele hat er als offizieller medizinischer Betreuer begleitet, war DSV-Mannschaftsarzt der Ski-Rennläufer, wurde zum „Sportarzt des Jahres“ gekürt und bekam 2003 das Bundesverdienstkreuz. Die Ausflüge mit Porsche nach Le Mans sind für ihn mehr Hobby und Spaß.
Seine Hilfsbereitschaft ist grenzenlos, er kuriert alles, was ihm in der Rennwoche an der Sarthe so zugeliefert wird. Egal, ob Werkspilot oder Porsche-Privatfahrer. Selbst Patienten, die mit Porsche nichts zu haben, weist er nicht ab. Ob die verletzte Hand eines Mechanikers, die Angina des Teamchefs, der eingeklemmte Rückennerv des Rennfahrers, den verstauchten Fuß des Journalisten, den labilen Kreislauf des Technikers oder eben die Salmonellen des Reporters. Wen es in Le Mans irgendwo zwickt, der rennt zu Doc Huber.
Porsches ehemaliger PR- und Sportchef Manfred Jantke glaubt sogar, dass allein der väterlich-sanfte Blick des Freiburger Medizinmannes eine Art „Placebo-Effekt“ bewirkt hat. „Der brauchte dich nur anzugucken und du hast dich schon wieder gesund gefühlt.“
„Ein Sportarzt aus Leidenschaft“
Schon Mitte der Siebziger Jahre macht Huber auch das regelmäßige Fitness-Training für die Porsche-Werksmannschaft zum Pflichtprogramm. Vor Saisonbeginn müssen alle Werksfahrer in Freiburg antreten und sich auf ihre Belastungswerte testen lassen. Wer schlapp macht, bekommt ein spezielles Aufbauprogramm verordnet. Gerne erinnert sich Fitness-Freak Jantke noch an den rennfreien Freitag in Le Mans, wo er und ein paar Porsche-Freunde in den 80er Jahren traditionell mit Huber um den damals noch 13 km langen Kurs gerannt sind. „Wir haben jedes Mal versucht, das das unter einer Stunde zu hinzukriegen. Aber nur der DSV-Trainer Heinz Mohr und Slalom-Künstler Frank Wörndl haben die angepeilte Marke als einzige knapp geschafft.“
Natürlich sorgt der Doc auch dafür, dass die Piloten nur essen und trinken, was ihnen im Hinblick auf die Rennstrapazen zuträglich ist. Selbst in den Jahren, in denen Porsche auf eine Werksteilnahme in Le Mans verzichtet, ist er vor Ort und hilft, wo er kann. Zwischendurch sprintet er auch mal durch den schmalen Tunnel unter den Boxen durch auf die andere Seite in die Reporterkabine zu Eurosport oder Motors TV, um Rede und Antwort zu den Belastungen des Rennfahrer-Organismus über eine solche Mammut-Distanz zu stehen.
Einer nach dem anderen
Feste Sprechzeiten gab es bei Schorsch Huber nie. Am Eingang seines Container-Hospitals haben Witzbolde mal ein Schild angebracht: „Die Schwarzwaldklinik ist 24 Stunden geöffnet, bitte einzeln eintreten. Gynäkologische Untersuchungen nur nach Voranmeldung.“
Vor der Tür standen oft bis zu zehn Leidende und warteten auf Einlass. Die Audienz funktionierte ganz einfach. Man guckte durchs Plexiglasfenster, saß nur der Doc drin, ging man rein. Wurde gerade jemand behandelt, wartete man eben geduldig draußen. Und das alles auch noch ohne Krankenschein, Versicherungsnummer und Kostenrechnung. Man munkelt auch von ein paar ganz schlauen Zeitgenossen, die Hubers Anwesenheit in Le Mans regelmäßig dazu genutzt haben, um sich kostenlos alle im Laufe eines Jahres angefallenen Gesundheitsprobleme behandeln und mit Medikamenten ausstatten zu lassen.
„Zwar haben wir ihn mit einer eher bescheidenen Pauschale bezahlt“, sagt Jantke, „aber der hätte das wahrscheinlich auch umsonst gemacht. Der Schorsch ist Sportarzt aus Leidenschaft, selten habe ich so einen fürsorglichen Mediziner erlebt.“ Das war zumindest bis 2006 so. Da hat er mir zum letzten Mal den Hals ausgepinselt und ein Grippe-Mittel verabreicht. „Nehmen Sie zwei Tabletten nach dem Essen und kommen morgen wieder vorbei“, hat er gesagt und sich dem nächsten Fall zugewandt.
Ab 2007 ohne guten Geist von Le Mans
Leider müssen Fahrer und Journalisten seit 2007 auf Schorsch Huber in Le Mans verzichten, seine über 30jährige Dauerpräsenz ist abrupt zu Ende gegangen. Der Container mit dem Schild „Schwarzwaldklinik“ existiert nicht mehr. Offiziell will man das bei Porsche zwar nicht näher kommentieren. Inoffiziell verlautet jedoch, dass man Huber gebeten habe, seine bis dahin segensreiche Arbeit als Porsche-Arzt zu beenden, weil er zusammen mit einigen Kollegen der Freiburger Uni-Klinik in den Doping-Affärenstrudel der Radfahrer verwickelt ist.
Wer künftig schnell und unkompliziert verarztet werden will, muss sich an Doktor Lindemann halten. Der weilt zwar mehr als Schlachtenbummler als in offizieller Mission in Le Mans, steht aber jedem stets gerne und unkompliziert mit medizinischem Rat zur Seite. Der Rheinländer ist ausgemachter Rennsport-Fan und hat zumindest die „Leidenschaft des Helfens“ mit seinem Kollegen Huber gemeinsam.
Was immer im Zusammenhang mit der Doping-Affäre über Georg Huber (65) an Negativem gesagt oder geschrieben wurde – ich werde ihm ewig dankbar dafür sein, dass er in meinem Fall eine Art Lebensretter war. Nicht nur für mich ist und bleibt er der „gute Geist von Le Mans“. Wir werden den Mann vermissen, der seine Renn-Kundschaft mit Hingabe und Herzblut begleitet hat.
Diese Geschichte stammt aus Band 2 (2008) der dreiteiligen Buchreihe "Hallo Fahrerlager" von Rainer Braun. Derzeit sind noch Restbestände der Bände 1, 2 und 3 als Paket im Schuber verfügbar, solange der Vorrat reicht. Aktuell ist die Sonderedition „Hallo Fahrerlager Classic“ im Großformat mit 300 Seiten und vielen neuen Episoden im Handel. Weitere Infos dazu und Bestellungen auf der Website von “Hallo Fahrerlager” oder dem Racing-Webshop .
Weitere Beiträge von Rainer Braun sind im Themenkanal "Hallo Fahrerlager" zu finden.
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Herzlichen Glückwunsch zur 300sten Ausgabe.....unglaublich..
Die Story von Dr. Huber brilliant, wie immer von Rainer Braun.
Den Dr. Huber hatte ich kurz so um 1977 kennengelernt, da hatte er eine Studie zur Belastung von Motorradfahrern im Gegensatz zu Autofahrern beim Schauinsland Bergrennen gemacht.
Motorradfahrer hatten immer eine größere Anspannung ,auch in der Vorbereitung, als Autofahrer. Ich war damals Projektgruppenmitglied für das ADAC Motorrad Sicherheitstraining und dies war eine wichtige Botschaft.
Damals wollten alle Motorradfahrer auch große Tanks haben, um weniger anhalten zu müssen. Dr. Huber: " Der Tank kann nicht klein genug sein, denn dann müssen die Jungs mehr Pause machen, denn diese brauchen sie.....weil nicht trainiert...
Schöne Grüße aus Nürtingen
Bernd Wolfer
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