Das dritte Klausenrennen-Memorial von 2002 war zugleich mein letztes. Ich hatte keine Lust mehr alles dem Klausen zu unterordnen, hatte genug vom Kampf um Sponsoren und Finanzen, von misstrauischen Behörden und all den Neidern und Besserwissern aus der Oldtimerszene, die mit üblen Tricks das Klausenrennen beerdigen wollten. Zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im OK versuchten wir nochmals, neue Ideen zu verwirklichen und dabei erlebten wir nebst viel Arbeit auch gesellige, unvergessliche Stunden.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es in der Schweiz nicht unbegrenzt viele Liebhaber und Fans der historischen Rennszene gibt. Also blieb uns nichts anderes übrig, als vermehrt die Werbetrommel für das Klausenrennen-Memorial zu rühren, nach neuen Ideen zu suchen und sie zu verwirklichen. Und so brachte das 3. Klausenrennen-Memorial historische Formel 1-Wagen nach Linthal, dem Urnerboden ein neues Sicherheitskonzept und den Medien einen neuen Star. Der Engländer Bill Tuer schrieb zusammen mit seiner Frau die unglaubliche Geschichte eines Dreirades.
Formel-1-Autos unter Wasser auf der Rundstrecke in Linthal
Um den Zuschauern ein zusätzliches Spektakel zu bieten und neue Freunde für die Klausenrennen zu gewinnen, bauten wir in Linthal eine 1,2 km lange, aufwändige Rundstrecke, holten einige Formel 1 der neueren Generation an den Fuss des Klausens und hofften am Samstagabend auf schönes Wetter. Doch beinahe „versoff“ das ganze im Regen. Und da den drei Formel 1-Ferraris aus den späten 90er-Jahren nur Slicks zur Verfügung standen, starteten ihre Besitzer die teuren Boliden gar nicht. Es wäre auch nicht zu verantworten gewesen. Die Show retteten die alten. Trotz überschwemmter Piste liessen Georg Kaufmann, Carlo Vögele, Jo Vonlanthen und Co ihre historischen Grand Prix-Wagen um die Kurven driften und begeisterten das Publikum.
Auch unsere Freunde vom Gabelbach Bergrennen in Thüringen brachten ihre Formel 1 des Ostens aus den DDR-Zeiten nach Linthal und drehten ihre Runden – tropfnass im Gischtnebel der eigenen Kollegen.
Der absolute Star des Abends war der Schweizer Historic Racer Fredy Kumschick auf seinem Williams von Reutemann. Faszinierend wie er dieses Kraftpaket aus dem Jahre 1981 über den schmalen, teilweise überschwemmten Kurs „fliegen“ liess.
Einen weiteren Höhepunkt des Abends bescherte uns die SBB. Die smarten Manager hatten vergessen, die Züge für den Rücktransport der Zuschauer in Linthal bereit zu stellen. „Der Kluge fährt im Zuge!“ Einheimische Busunternehmen konnten nach einem fürchterlichen Chaos einen Teil der erbosten Zuschauer nach Hause bringen.
Der fehlende Draht zu Petrus
Und wenn wir schon beim Wetter sind noch folgendes: 1993 und 1998 regnete es in Strömen. Und 2002? Sie raten richtig. Es verregnete nicht nur das Formel 1-Spektakel, obwohl die hundertjährige Wetterstatistik das dritte Wochenende im September als das beste bezeichnet. In der Nacht vom Sonntag auf den Montag fiel sogar Schnee. Der Klausen musste geschlossen werden. Aber da waren die meisten Zuschauer und Teilnehmer schon zu Hause und ich wusste endgültig, dass ein Unbekannter den Draht zu Petrus gekappt hatte.
Schluss mit dem Urnerboden
1934 rasten die beiden Werksrennfahrer Hans Stuck und Rudolf Caracciola mit 200 km/h über den Urnerboden - ein Rennen auf dem hohen Seil, ohne Fangnetz dafür Schotter, Sand und Kies. 1998 kamen einige Piloten mit ihren Rennwagen mit über 180 km/h daher - eher geflogen als gefahren. Die Strasse mit ihren Senken und Buckeln liess die Starrachser abheben und beim Landen gar fürchterlich nach links oder rechts versetzen.
Da läuteten bei mir die Alarmglocken und 2002 wurde aus Sicherheitsgründen die 1000 Meter lange Gerade auf dem Urnerboden neutralisiert. Der Hochseilakt zwischen Clariden und Märchestöckli barg zu viele Risiken. Die Gesamtstrecke wurde in zwei Abschnitte aufgeteilt. Bleibt die Frage noch: Warum waren 1934 solche Horrorgeschwindigkeiten möglich? Die Antwort ist nicht ganz einfach. Stuck und Caracciola waren Weltklassepiloten und die Fahrwerke ihrer Boliden wurden speziell für Schotterstrecken vorbereitet. Die Strasse befand sich 1934 in einem sehr guten Zustand, keine Querrinnen, keine Sprunghügel. Während Tagen zuvor wurden die Löcher und Wasserrinnen auf der schnurgeraden Piste von Arbeitern des Strassenbauamtes Uri eingeschottert.
Mein Gott – dieser Tuer
Am Samstagabend sollte auch der Engländer Bill Tuer am Rundkurs für Stimmung sorgen. Doch schon in der ersten Runde knallte er sein Renndreirad in die Leitplanke. Übel sah er aus, der Threeweeler. Das Chassis krumm, die vordere Aufhängung im Eimer. Aus? Auch für das morgige Rennen? Doch am frühen Sonntagmorgen schlich Bill im Fahrerlager um seine demolierte Kiste herum, behutsam, als könnte er ihr noch weiteren Schaden antun.
Plötzlich borgte er sich eine Schweissanlage aus, bastelte auf dem Kiesplatz aus Zeltstangen und Holzleisten eine Lehre für das krumme Chassis und fing an zu messen, zu wärmen, zu schweissen, zu strecken, zu richten. Krumme Teile der Vorderachse konnte er mit intakten ersetzen.
Eine halbe Stunde vor seiner Startzeit lief die Kiste. Bill versorgte sein Werkzeug, seine Frau verkroch sich wie üblich zwischen Spritzwand und Rückenlehne und das Ehepaar Tuer raste los an den Start. Und es ist kaum zu glauben. Auf beiden Streckenabschnitten fuhr der verrückte Engländer die Tagesbestzeit aller Motorräder, Dreiräder und Rennwagen! Weder sein Crash, noch seine Gegner auf hochkarätigen Rennwagen und Rennmotorrädern konnten ihn auf seinem Teufelsritt beeindrucken.
Zu bemerken ist, dass 1998 Julian Majzub auf Bugatti den absoluten Streckenrekord von 13.49.08 auf der Gesamtlänge der Strecke erzielte, - also inkl. der langen Geraden auf dem Urnerboden. Ein Vergleich mit dem historischen Rekord Rudolf Caracciolas auf Mercedes W 25 hinkt somit. Anno 1934 fuhr der deutsche Weltklassefahrer in 15.22.20 den Berg hinauf – auf der teilweise noch sehr schmalen, geschotterten Strasse. Nur wenige Kurven waren betoniert oder mit Pflastersteinen versehen.
Auf Teufel komm raus
Nicht alle schonen ihre historischen Fahrzeuge. Nach den Reparaturkosten fragen sie sich erst nach ihren Teufelsritten. Sie setzen die Höhepunkte des Klausenrennen-Memorials, begeistern das Publikum, lassen die alten Zeiten aufleben. Den Tuer kennen sie schon, den Majzub ebenfalls.
Da war aber auch der Schweizer Hansruedi Portmann. Bremsen? Wozu? Hansruedi wollte 2002 gewinnen. Und schon in der Startkurve kamen die Zuschauer auf der prall gefüllten Tribüne zum einmaligen Spektakel. Portmann stellte den Lagonda Rapier mit der Schnauze vor der Rechtskurve leicht gegen den Kurveninnenrand und schon driftete er dank Vollgas mit heraushängendem Heck und gegensteuernd über die rutschigen Pflastersteine. Vor der anschliessenden Linkskurve ging er abrupt vom Gas, der Lastwechsel erfolgte schlagartig, das Heck schwenkte nach rechts und Portmann liess den Rapier durch die Linkskurve driften. Mit Vollgas brachte er das labile Vehikel auf Kurs und stürzte sich auf die kurze Gerade, bevor er von den Felsen verschluckt wurde.
Doch im 4. Lauf erwischte es den Portmann. Auf Teufel komm raus, wollte er den Tuer schlagen. Doch in der Jägerbalm explodierte der Motor förmlich. Nichts bewegte sich mehr, weder die Kurbelwelle, noch die Kolben. Einer guckte gar zum Motorblock hinaus!
Die Primadonna
Wenn es ein Auto gibt, das den Namen Primadonna verdient, ist es der Alfa Romeo 158. Kurz die Alfetta. Carlo Vögele brachte diesen wunderschönen Grand Prix-Rennwagen 2002 an den Klausen. Schon 1939 holte sich Alfa Romeo mit diesem Typ die ersten Siege. Anfangs der 50er-Jahre verhalfen diese 1,5-Liter-8-Zylinder den damaligen Stars Farina und Fangio zum Gewinn der Fahrerweltmeisterschaften. Dann wurden sie - hochoffiziell - von Alfa Romeo verschrottet! Unglaublich - aber wahr! Nur wenige Alfettas entgingen der Alteisenpresse. Carlo Vögele hatte weder Zeit noch Kosten gescheut, seine lebendig gebliebene Primadonna dem Klausen-Publikum zu präsentieren. Dass Vögele diesen Rundstreckenwagen nicht auf Teufel komm raus gefahren hatte, war selbstverständlich. Trotzdem – für mich der eindruckvollste Rennwagen, der je am Klausenpass fuhr. Noch heute läuft es mir kalt den Rücken hinunter, wenn ich an den Sound des 1,5-Liters denke und da kommt mir der ehemalige Rennarzt Dr. Rolf Diethelm mit seinem Spruch in den Sinn: „Verreckter als ä Sinfonie vom Bruckner.“
Dreimal hatte ich das Klausenrennen organisiert. Das war genug. Hunderte von Helfern, bis zum Umfallen belastete OK-Mitglieder, all die Funktionäre, die Sicherheitskräfte, die Zeitmesser, die Sponsoren…. Ohne sie hätte nichts funktioniert.
Doch Stress, das finanzielle Risiko, der stets latent lauernde Unfall, der Kampf um Sponsorengelder, die Trittbrettfahrer erleichterten mir den Entscheid zurückzutreten. Neue Kräfte waren gesucht. Die Pionierzeit war abgelaufen. Die Skepsis bei Behörden und Privaten war der Erkenntnis gewichen: das Klausenrennen-Memorial bringt etwas. „ARGUS“ die Medienbeobachtungsstelle der Schweiz stellte schon 1993 fest: „Kein Schweizer Anlass erhielt 1993 in den in- und ausländische Medien so viel Präsenz wie das Klausenrennen-Memorial“. Mit zehnjähriger Verspätung kam endlich diese Botschaft in Uri und Glarus an.
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