Fast 150’000 Besucher pilgerten am Wochenende des 12. bis 14. September 2014 nach Chichester, um im Süden Englands das Goodwood Revival mit eigenen Augen zu verfolgen. Sie nahmen dafür lange Anfahrtswege, Staus, Warteschlagen und nicht unerhebliche Eintrittspreise in Kauf. Und sie waren es sich nicht zu schade, sich in historische Kleider, von der Militäruniform über den strengen Anzug bis zum Rennoverall, zu werfen.
Wie erklärt sich der Reiz dieser Veranstaltung? Die Zugkraft des Goodwood Revivals fusst auf der liebevollen Rekonstruktion der Vergangenheit, dem Personenkult um alternde Rennlegenden, die Zuneigung zu historisch interessanten Automarken, die fast unerschütterliche Passion für Motorsport und nicht zuletzt auch dem Reiz an einem gut inszenierten Spektakel.
Die Liebe zum Detail
Es dürfte kaum einen anderen Anlass geben, der die Vergangenheit mit soviel Detailverliebtheit aufleben lässt. Am Goodwood Revival 2014 wurden zum Beispiel die Boxen des Motodromo di Monza wieder aufgebaut. Im und um den Goodwood Circuit gibt es eine halbe Kleinstadt mit Geschäften und Einrichtungen zu besuchen, die glatt als Ort der späten Fünfzigerjahre durchgehen könnte.
Die Besucher des Revivals fügen sich bruchlos in diese Umgebung ein, denn sie sind genauso historisch gekleidet wie die Verkäufer in den verschiedenen Geschäften, die Bedienung in den Restaurants oder die Komparsen, die mit Musik und allerlei anderer Unterhaltung für kurze Weile sorgen.
Auch die Fahrer, aber noch mehr die Mechaniker, rüsten sich historisch korrekt aus, soweit es aus Sicherheitsüberlegungen überhaupt machbar ist. Und speziell in den Demonstrationsfeldern fühlt man sich dann wirklich um Jahrzehnte zurückversetzt.
Nur dort, wo es dem Genuss der Rennen hilft, werden Kompromisse gemacht, etwa beim persönlichen Radio, dass jeder Besucher erhält und das man sich ans Ohr stecken kann und damit immer über das Renngeschehen informiert ist, oder der riesige Bildschirm, mit dem den Zuschauern auch die Aktion auf entlegenen Streckenteilen näher gebracht wird. Das Publikum selber lässt sich einerseits auf den Tribünen, andererseits aber auch auf den vielen Grünflächen rund um den Circuit nieder. Dort hat es Platz für Picknickdecke und Feldstuhl und wie kaum auf einer anderen Rennstrecke bieten diese Naturtribünen viel Platz und eine gute Sicht auf den Rundkurs.
Die Liebe zu legendären Persönlichkeiten
Jedes Jahr gibt es in Goodwood eine Persönlichkeit zu feiern, 2014 wird Sir Jackie Stewart gehuldigt. Und dieser dankt es denn auch mit vielen freundlichen Worten. Die “living history lesson” (ein lebendes Stück Geschichte) wurde mit einer fast kompletten Sammlung von Rennfahrzeugen dokumentiert, die Stewart in seiner Karriere gefahren ist, angefangen bei Ford Escort und Lotus Elan, bis zu den Tyrrell und Matra Formel 1 Fahrzeugen, dem Rover Turbinenauto oder dem Lola T70. Und auch die Fahrer machten mit. Mark Webber etwa setzte sich in einen Matra Formelwagen, John Surthees fuhr im Lola T70 in der Parade mit, Richard Attwood pilotierte einen BRM.
Auch Stirling Moss machte seine Aufwartung und Lord March fand lobende Worte für den mehrfachen Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart, der vor allem die Qualitäten seiner Mechanik und Konstrukteure lobte, so frei nach dem Motto “to finish first you need to finsih first” (um zuerst anzukommen, muss man zuerst ankommen) und für das Ankommen war natürlich die Zuverlässigkeit des Materials und dessen Zustandserhaltung zuständig. “My mechanics were better in what they were doing than me in what I was doing”, meinte Jackie Stewart (meine Mechaniker waren besser in ihrer Tätigkeit als ich in meiner). Und er einnerte sich auch an seine Testrunden im Matra Formel 2 Wagen, die er in Goodwood absolvierte.
Die Liebe zu berühmten Marken
England hat eine reiche Automobilgeschichte, viele legendäre Marken nahmen in England ihren Anfang. Aber Lord March, der Initiant des Goodwood Revivals, reduziert sich und seinen Event nicht auf England und deshalb wurden im Jahr 2014 nicht nur die Jaguar D-Types mit einem eigenen Demolauf und einem exklusiven Rennen gefeiert, sondern auch die berühmten Maserati 250 F, denen ebenfalls fast komplett ein Rennfeld gewidmet wurde und die auch in Demonstrationsrunden bewundert werden konnten.
Und so kamen die Zuschauer in den Genuss, ein Rennen mit 19 Jaguar D-Types und XKSS verfolgen zu können, dem Gary Person auf seinen Long Nose D-Type aus dem Jahr 1955 den Stempel aufdrückte, denn er war sowohl im Training als auch im Rennen der Schnellste. Christian Glasel wurde Zweiter, Gregor Fisken Dritter und Derek Bell Vierter. Lukas Hüni schied in der vierten Runde aus.
Im Rennen um die Richmond Trophy, in dem fast ein Dutzend Maserati 250 F teilnahmen, konnten sich die Wagen mit dem Dreizack nicht wie gewollt in Szene setzen. Sieger wurde Roger Wills auf einem Lotus-Climax 16 aus dem Jahre 1958.
Die Liebe zum Motorsport
Was die 150’000 Besucher natürlich auch vereint, ist ihre Liebe und Zuneigung zum Motorsport. Die Massen lieben den harten Rad-an-Rad-Kampf und diesen bekommen sie auch geboten. Dafür bürgen nicht zuletzt die professionellen Fahrer, die meist gleich in mehreren Cockpits antreten. Die alten Haudegen wie Jochen Mass, Derek Bell oder Jackie Oliver treten genauso an wie die moderne Generation des Porsche-Werkfahrers Mark Webber oder des Sauber-Testfahrers Giedo van der Garde. Diese Leute verstehen ihr Handwerk und sie bieten reichhaltig Rennaction auf dem Circuit.
Im Rennen um den Shelby-Cup, der mit amerikanischen Tourenwagen, die mit dem berühmten V8-Small-Block (289) ausgerüstet wurden, der auch in der kleinen Shelby Cobra ihren Dienst tat, etwa traten Emanuele Pirro, Jackie Oliver, Jochen Mass, Steve Soper, Max Chilton, Rowan Atkinson und viele andere mehr oder weniger grosse Berühmtheiten an, um sich mit den muskulösen Amerikanern zu vergnügen.
Emanuelle Pirro, der “seinen” Mercury Comet Cyclone aus dem Jahr 1964 schliesslich auf den dritten Platz brachte, meinte lachend, dass er zuerst italienisch mit dem Wagen gesprochen habe, was überhaupt nicht funktioniert hätte. Erst mit der Zeit begann er sich mit dem für seine Begriffe riesigen Auto anzufreunden. Er hätte Platz für alle seine Freunde gehabt im Auto, meinte der gut gelaunte Italiener nach dem Rennen.
Die Hatz um den Shelby Cup wurde in der ersten Phase durch Hall/Mindshaw auf dem Ford Falcon Sprint von 1964 dominiert. Ein Dreher und Folgekollisionen im ersten Rennzweitel führte zu überstürzten Boxenstopps und zu einer veränderten Reihenfolge, die sich aber bald wieder normalisierte. Am Schluss stürmten Faulkner/Gardiner auf einem weiteren Ford Falcon Sprint von 1965 als Erste durchs Ziel, gefolgt von Jackson/Mann auf einem Ford Mustang aus dem Jahr 1965.
Auch das Rennen der 1,5-Liter-Formel-1-Autos um die Glover Trophy war an Dramatik kaum zu überbieten. In einer Runde sah man am Goodwood Circuit mehr Überholmanöver als während eines modernen Grand Prix insgesamt. Mindestens kam es einem so vor.
An der Spitze kämpften vier Marken um die besten Positionen: Lola, Brabham, Lotus und Ferrari. Aus dem Vierkampf wurde dann später ein Zweikampf, als sich Joe Colascacco im Ferrari 1512 beim Überrunden vertat und die Schikane bei Start und Ziel abräumte.
Nach der Safety-Car-Phase kämpfte King im Brabham BT7 gegen Middlehurst im Lotus 25. King versuchte alles, konnte Middlehurst sogar einmal überholen, musste aber in der folgenden Kurve Platz für einen Konter lassen. Am Schluss blieb ihm nur Platz 2 nach einem Finale, das wie einst Dan Gurney gegen Jim Clark ausgesehen hatte.
Genau so lieben die Engländer den historischen Motorsport.
Die Liebe zum Spektakel
Und Motorsport wird noch besser, wenn dem Spektakel ein wenig nachgeholfen wird. Durch ein zielführendes Reglement beispielsweise und durch leistungsoptimierte Fahrzeuge. Wie etwa in der St. Mary’s Trophy, die jedes Jahr mit Tourenwagen bestimmter Epochen in zwei Läufen ausgetragen wird. 2014 waren die Tourenwagen der Fünfzigerjahre dran und so standen Fahrzeuge wie der Austin A40, der Jaguar Mk 1, der Austin 95 Westminster, die Alfa Romeo Giulietta TI, der Riley 1,5, der BMW 700, der Jaguar Mk VII, der Standard Pennant, der Morris Minor, die Borgward Isabella, der BMW 502, der Ford Prefect, der Standard Ten oder der Vauxhall Cresta am Start.
Während im ersten Lauf die Profirennfahrer am Lenkrad drehen durften, mussten sie das Volant für den zweiten Platz den “Amateuren” übergeben. Siegreich war die Paarung, die in der Addition am schnellsten war. Am überzeugendsten schlugen sich Reid/Law im Jaguar Mk 1 von 1959, die Paarung Jordan/Jordan im Austin A40 musste sich in der Schlussabrechnung um gut vier Zehntel geschlagen geben, so knapp ging es hier zu.
Spektakel wurde dabei jede Menge geboten, etwa Emanuel Pirro, der mit wild heraushängendem Giulietta-Heck den zweiten Platz im ersten Rennen errang oder Jordan im A40 auf zwei Rädern bei seiner Aufholjagd. Gerade der Zweikampf David gegen Goliath drückte den Rennen einmal mehr seinen Stempel auf und die Exoten im Feld machten das Geschehen noch interessanter.
Auch in der RAC Tourist Trophy Celebration wurde dank dem sehr vielseitigen Fahrzeugfeld viel Rennaktion gezeigt. Das erbarmungslose Fahren im Grenzbereich war für manchen Dreher und auch einige Blechschäden verantwortlich und gerne hätte man den Bizzarrini oder den Maserati Tipo 151 siegen gesehen. Doch am Schluss hatten zwei Cobras die Nase vorne und zeitweise sah es gar nach einem Sieg der rot-goldenen Cobra von Smith/Bryant aus, aber technische Probleme verhinderten den erfolgreichen Schlusskampf. Es gewannen Hart/Van der Garde auf der 63-er AC Cobra vor Colasacco/Hill auf dem Maserati Tipo 151 und Nicoll-Jones/Liddell auf einem E-Type mit ganz besonderer Geschichte, denn Liddells Vater hatte den Wagen einst von Jackie Stewart gekauft. Die Ferrari GTO hatten mit der Ausmachung an der Spitze genauso wenig zu tun wie die Sunbeam Lister Tiger oder die Chevrolet Corvette. Für gute Laune und eine brachiale Tonspur waren sie aber trotzdem zuständig.
Und, werden sie wiederkommen im nächsten Jahr, die 150’000 Zuschauer? Sicherlich, sofern sie rechtzeitig ein Eintrittsticket ergattern können. Am korrekten Outfit jedenfalls wird es nicht liegen, denn dieses konnten sie ja bereits dieses Jahr in einem der Kleidergeschäfte kaufen. Und wer möchte schon auf ein gemütliches Picknick direkt an der Rennstrecke verzichten?
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