Goodwood ist wie eine Zeitreise zurück in die Kindheit. Der erste Eindruck ist unglaublich. Kaum kommt man in die Nähe von Goodwood, sieht man auf der Strasse schon alles, was das Herz begehrt. Ein offener Alvis (mit Luzerner Kennzeichen), ein Rolls Royce Silver Ghost, oder ein Austin Seven, und überall sitzen die Passagiere mit den passenden Klamotten. Der Bus der Reisegruppe „Automobil Revue Leserreise“ steht plötzlich im Stau. Nein kein Berufsverkehr, alles Fans vom Goodwood Revival Meeting 2011.
Auf einem speziellen Oldtimer-Parkplatz stehen sie in Reih und Glied. Der Platz ist grösser als ein Fussballfeld, voll mit alten Autos aller Marken und Jahrgänge. Jetzt betreten wir das Gelände des Goodwood Circuit des Earl of March!
Es begann im Jahr 1948
Nach der Schliessung von Brooklands infolge des 2. Weltkrieges 1939, baute der 9th Duke of Richmond, Freddie March den Goodwood Circuit wo am 18. September 1948 85 Fahrer vor 15`000 Zuschauern, zum ersten profesionell organisierten Motorsport Event in England, starteten.
Mit der Zeitmaschine fünfzig Jahre zurück
Das Eingangstor zum Circuit Areal wirkt wie eine Zeitmaschine, welche den Besucher auf einen Schlag um rund 50 Jahre zurückversetzt. Alle Leute sind wie damals angezogen, alle noch so kleinen Accessoires stammen aus vergangenen Zeiten. Dazu kommen Frisiersalons, Filmstudios und Kleider-Shops aller Art. Zigarren werden im Tabak-Laden gedreht. Alles stimmt und natürlich sind sämtliche Fahrzeuge alt und noch älter.
Mit offenem Mund im Fahrerlager
Man kommt endlich ins Fahrerlager und steht mit offenem Mund vor einem Fahrerlager, einem richtigen Fahrerlager mit Holzüberdachung und Strohballen. Alle Overalls, ob von Fahrern oder Mechanikern getragen, passen zu den Rennwagen. Natürlich ist die Crème de la Crème der Autos vergangener Jahrzehnte vorhanden. Aber das absolut faszinierende sind nicht die einzelnen Autos, sondern der Gesamteindruck der ganzen Szenerie.
Hochkarätiger Rennsport mit ständig verbesserten Klassikern
Der Rennsport, der auf der Strecke geboten wird, ist absolut hochkarätig. Allerdings muss man zugestehen, dass die Autos abgesehen von Form und Aussehen teilweise leidlich wenig mit ihren originalen Vorgängern zu tun haben. Die Technik wird auch hier jährlich verbessert.
Adrian Newey, technischer Direktor bei Red Bull, stellte seinen Jaguar E-Type sogar in den Windkanal und brachte aerodynamische Verbesserungen an. Die eine resultierende Optimierung war der optisch sichtbar leicht geöffnete Kofferraumdeckel, welcher für mehr Abtrieb sorgen soll. Newey fuhr zusammen mit Gerhard Berger die „Fordwater Trophy“, ein Rennen zur Feier des 50. Geburtstages des E-Type. Berger zeigte keine Nachwirkungen vom Unfall mit der Cobra (siehe Blog vom Samstag) und fuhr vom ersten Startplatz aus ein souveränes Rennen.
Mit grossem Vorsprung übergab er das Auto an Adrian Newey. Das war, zum grossen Pech der beiden, etwas zu früh, da kurz nach dem Stop eine Pace-Car-Phase sowie ein Fahrfehler von Newey in der ersten Runde ihren Vorsprung zu Nichte machte. Als das Rennen wieder frei gegeben wurde, klebte Martin Stretton am Heck von Newey. Mit einzigartigen Drifts erfreuten die beiden die 130`000 Fans am Streckenrand und schenkten sich keinen Zentimeter. Stretton kam an Newey vorbei und konnte das Rennen für sich entscheiden.
Einmaliges Feld kleiner Formelautos
Ein grosses Feld von 500 ccm Formel 3 Autos stellte die Earl of March Trophy. Die Vielfalt dieser Rennwagen, in absoluter Leichtbauweise und meist von einem Motorradmotor angetrieben, war wohl einzigartig. Gewonnen wurde dieser Lauf von Sam Wilson auf einem Kieft-Norton CK52 von 1952.
100 Millionen Pfund am Start der Royal Automobil Club TT Celebration
Ein weiteres Highlight war das Rennen zur „Royal Automobil Club TT Celebration“. Das Startfeld wurde auf über 100 Millionen Pfund Wert geschätzt. Beim Fallen der Startflagge war der Wert des Wagens aber schon längst vergessen. Das Cobra-Daytona-Coupé mit Kenny Brack und Tom Kristensen lieferte einen heissen Dreikampf mit dem Ferrari 250 GTO von Martin Brundle/Mark Hales sowie dem wunderschönen weissen Maserati Tipo 151 von Joe Colasacco/Derek Hill. Auch die Sintflut Mitte des Rennens konnte die Kontrahenten nicht davon abhalten, weiterzufahren und stattdessen ihre sündhaft teuren Autos in die Garage zu fahren.
Schleuderlektionen der Vollprofis
Komplett auf nasser Strasse fand das Rennen, mit den Vorkriegs-Grand Prix Autos, zur „Goodwood Trophy“ statt. Für die Fans sah es aus wie ein Schleudertraining für Vollprofis. Was der Deutsche Frank Stippler mit dem Maserati 8CM von 1934 zeigte, könnte man ohne weiteres ins Hauptprogramm von „Art on Ice“ aufnehmen.
Ein Highlight im Vergleich mit rund 1’000 anderen Motorsportveranstaltungen
Über den absoluten Publikumsliebling, den Mini Cooper S in der „St. Marys Trophy“, kann man in der separaten Geschichte unter dem Titel „David gegen Goliath“ nachlesen.
Ich habe in meiner Karriere als Fotograf bereits rund 1’000 Veranstaltungen gesehen und erlebt. Darunter gibt es genau vier emotionale Highlights: Mein erstes Rennen überhaupt, der GP England in Silverstone von 1979, das mit dem Sieg von Clay Regazzoni auf Williams in die Geschichte einging, die 24 Stunden von Le Mans 1989 mit dem Sieg vom Sauber-Mercedes C9, der Doppelsieg des BMW-Sauber-F1-Teams in Montreal 2008, dann der erste GP-Sieg von Sebastian Vettel in Monza 2008. Goodwood gehört ab sofort auch auf diese Liste. Dieses Revival hat in mir den zweiten Motorsport-Frühling zum Erwachen gebracht. Schon lange war ich nicht mehr derartig fasziniert wie am vergangenen Wochenende. Es war Motorsport zum Anfassen und Bestaunen.