Ohne je ein Rallye gefahren zu haben, ist Franz Xaver Nager aus Uri (späterer Sieger der Gruppe 1 am EM-Lauf im Saarland) ins ferne Livorno gereist mit dem Auftrag, ein genaues Gebetbuch von allen Spezialprüfungen der Coppa Liburna zu schreiben. So geschehen anno 1976. Wir die Fahrer, Beifahrer und Helfer aus der Innerschweiz, können uns aus beruflichen Gründen erst kurz vor der Wagenabnahme einfinden.
FX – so nennen wir den heutigen Musikwissenschafter - kurvt Tage vorher mit seinem 2 CV auf den Spezialprüfungen herum, macht fleissig Notizen von der „Sassetta“, der „Traversa-Livornese“, der „Bibbona“ oder der „Marmorosa“.
Gross ist das Vertrauen in unseren Teamneuling! So soll er selbstsicher all die Kurvenkoeffizienten 1-5, die Zwischendistanzen, die Kuppen, Löcher und mögliche Gefahren zum Beifahrersitz hin diktiert haben. Vrony, die Frau unseres Equipenchefs, schreibt alles haargenau auf: L2+, 50m, R4, 180m, Kuppe rechts, 50m, Brücke!, L1, usw. So weit, so gut. Doch ein aussergewöhnlicher Zwischenfall sollte kurz nach Rallyebeginn eintreten.
Beinbruch und Marterei 1976
Beim Vorbereiten des Assistenzplatzes des Rallye Team Uri trifft er ein, der aussergewöhnliche Vorfall. Equipenchef Orlando Betschart - seines Zeichens Polizist aus dem bergigen Gotthardkanton - stolpert, stürzt in stockdunkler Nacht auf der topfebenen, historischen Via Aurelia.
Diagnose unseres Mechanikers: gebrochenes Bein. 15 Stunden harrt Orlando mit gröbsten Schmerzen auf einem Feldbett aus, zugedeckt mit einer Alu-Rettungsdecke. Niemand hat Zeit, den Allerärmsten in ärztliche Betreuung zu fahren. Die Serviceleute müssen die fünf Equipen des Rallye Teams Uri betreuen! Jedes Mal wenn ich zum Service komme, jammert Orlando erbärmlich. Hilfe will er aber keine!
Nach meiner Zieleinfahrt und einer passablen Rallye betten wir ihn vorsichtig in einen VW-Bus und ich fahre ihn unverzüglich in die Schweiz zurück. Er will unter keinen Umständen in ein toskanisches Spital. Nach 10 Stunden Marterei erreichen wir Altdorf. Der Arzt im Kantonsspital schüttelt ungläubig den Kopf bei unserem erbärmlichen Anblick: Orlando, weiss vor Schmerz, ich grau vor Übermüdung.
Nachspiel im Strassengraben bei der Coppa die Liburna 1977
Doch noch ein Nachspiel. Das Gebetbuch von FX mit leichten Anpassungen verwenden wir auch im kommenden Jahr 1977. Kurz nach dem Start auf der durchgehend asphaltierten „Sassetta“ schmeisse ich den Opel Kadett GTE seitwärts in einen kaum autobreiten Graben. Im Stress find ich den Hauptschalter nicht, drehe an der Fensterkurbel in die falsche Richtung – wir können nur durch ein Fenster ins Freie gelangen - fluche über meinen idiotischen Fahrfehler.
Und Edy Schaller, mein Co-Pilot? Er rapportiert von klemmenden Gurtschlössern und der tickenden Benzinpumpe. Sonst sei bei ihm aber alles ganz geblieben! Dem Verfasser des Gebetbuches vom Vorjahr trifft keine Schuld. Verjährt! Mein Fehler!
Und zum Schluss noch die Geschichte mit dem Pferd
Natürlich ging es schon damals nicht ohne Training. Eine abgelegene Strasse, eine fein geschotterte Kiesgrube schien uns gut genug. Anwohner waren nicht ausfindig zu machen, dafür Kurven aller Art, übersichtliche, lang und kurze Geraden, hie und da etwas Sturzraum, wenig Steigung. Natürlich verrate ich unsere damalige Trainingsstrecke nie und nimmer. Geschockte Wanderer im Sommer, Skilangläufer im Winter könnten sich erinnern und ihre damals geäusserten Drohungen wahr machen! Keine Unfälle, keine, bösen Ausritte - nur ein Crash in nie erwarteter Form.
Eines späten Abends, das Training hatten Hugo Müller und ich abgeschlossen, tuckerten wir langsam das Tal hinaus. Die Alpine voraus, der Gordini hinterher. Abstand 20 Meter. Die Strasse schneebedeckt. Die Landschaft tief eingeschneit. Ein friedlicher Abend.
Und da steht wörtlich in meinem Rallye-Tagebuch: „Plötzlich galoppiert ein Pferd daher, stutzt vom Licht geblendet einen kurzen Moment, überspringt den Holzzaun beim Haus der Familie Z. und landet krachend auf der Fronthaube der Alpine. Hugo zieht den Kopf ein, bremst und im gleichen Moment rutscht das Pferd auf die Strasse hinaus, steht auf und verschwindet wie gekommen in der dunklen Nacht. Spuk oder Wirklichkeit? Wir starren uns beide wortlos an? Die ersten Verhandlungen mit dem Hobbypferdehalter dauern bis tief in die Nacht. Keine Vorwürfe, kein Streit - zwei, drei „Kafi Träsch“ waren aber schon nötig“.
Der Haflinger konnte eingefangen werden, unverletzt. Eine Haftpflichtversicherung des Pferdehalters war vorhanden. Die Alpine, gerade 3 Wochen alt, ging nach Dieppe zur Kur und mit neuem Häuschen kam sie rechtzeitig zurück an den Start zur Rallye-Schweizermeisterschaft.