Zeuge 1: “Der Wagen war blau”. Zeuge 2: “Nein, der war doch anthrazit”. Zeuge 3: “Es war eine Limousine”. Zeuge 4: “Ein Mazda oder Datsun war’s”. Zeuge 5: “Vielleicht auch ein Subaru”. Zeuge 6: “Es war ein grosser Wagen mit vier Türen”. Zeuge 7: “Ich glaube, das Fahrzeug war kompakt, auf jeden Fall unauffällig”. Der Kommissar, der den Banküberfall aufklären musste, war nicht zu beneiden.
Die Zeugen waren nicht in der Lage, das Fluchtfahrzeug übereinstimmend zu beschreiben. Und genau dies hatten die Bankräuber bezweckt, als sie zum Toyota Cressida als Einsatzfahrzeug griffen in den Achtzigerjahren.
Dabei sprachen neben der Unauffälligkeit auch viele andere Qualitäten für den Japaner, denn der Cressida war robust, startete immer zuverlässig, wies ein genügend agiles Fahrverhalten auf und verfügte über einen 400-Liter-Kofferraum und 463 kg Zuladungskapazität. Die Beute in vielen Scheinen jedenfalls passte bestens rein, die drei Komplizen fanden ebenfalls Platz und an den Fahrer stellte der Wagen nur geringe Ansprüche, dank Automatik und übersichtlichem Cockpit.
Doch der Toyota Cressida war auch für andere Berufsstände eine interessante Alternative zu BMW 5-er, Opel Rekord und Ford Granada, denn er war vergleichsweise günstig und wies eine vollständige Ausstattung auf.
In den Wirrungen der griechischen Mythologie
Kalchas war der Sohn des Thestor, der wiederum als Folge der Bindung zwischen Apollon und Laothoe geboren wurde. Kalchas war der offizielle Seher der Griechen während des Trojanischen Krieges und ihm wurde eine Tochter geboren, die Cressida hiess. Ob Toyota diesen Namen wählte, weil man in die Zukunft sehen konnte/wollte oder weil er einfach hübsch tönte, bleibe dahingestellt, jedenfalls hiess so ein Modell, das im Frühjahr 1977 in Europa erschien und den (Corona) Mk II ablöste.
Mit amerikanisch-orientiertem Styling und Zweilitermotor wurde er hierzulande ins Rennen um die Gunst des Käuferpublikums geworfen, grössere Mengen liessen sich allerdings nicht absetzen, trotz “freundlichem Interieur”, “unkompliziertem Fahrverhalten” und “Servicefreundlichkeit”. Die Automobil Revue testete den Wagen im Sommer 1977 und meinte: “Der neue Cressida ist zwar aus bekannten mechanischen Teilen aufgebaut, doch in seiner äusseren Erscheinung ist er wesentlich stattlicher geworden. Sein unproblematischens Fahrverhalten und seine Familientauglichkeit, seine robuste Bauweise und die dadurch erreichbare hohe Zuverlässigkeit machen den Cressida bei einem empfohlenen Endpreis von 15’950 Franken oder 16’700 Franken mit Automat zu einem Konkurrenten in der Zweiliterklasse, den man nicht übersehen kann. Seine Stärke liegt im ausgewogenen Durchschnitt in allen Beurteilungskriterien für ein Gebrauchsfahrzeug dieser Grössenklasse.”
Rund vier Jahre wurde die erste Cressida-Generation gebaut, dann folgte ein geglätteter Entwurf.
Die zweite Generation
Im Januar 1981 konnte die Fahrzeugpresse hierzulande einen neuen Toyota Cressida vorstellen. Er kam deutlich “gestreckter” daher und wirkte harmonischer als sein Vorgänger. Es gab ihn als Deluxe und als GL, der Längenunterschied betrug imposante 14 Zentimeter, was an den unterschiedlich gestalteten Stossfängern lag. Im Gegensatz zum Vorgänger verzichteten die Japaner auf ein Coupé, weiterhin gab es den Cressida aber als Limousine und als Kombi mit umklappbarer Fondsitzbank.
Als Motor diente weiterhin der Zweiliter-Reihenvierzylinder mit 1972 cm3, der nun 105 PS (16 PS mehr als im Vorgänger) leistete. Fahrwerkstechnisch basierte das neue Modell ebenfalls auf dem Vorgänger, vorne sorgten McPherson-Federbeine, hinten eine Starrachse mit Längslenkern und Panhardstab für die Radführung. Gebremst wurde mit Scheiben vorne, Trommeln hinten.
In der Summe der Eigenschaften sehr preiswert
Thomas Fischer testete den neuen Cressida im Herbst 1981 für die Zeitschrift Auto Motor und Sport. Er empfand die neue Karosserie für hiesige Augen als attraktiver, auch wenn ihr die fernöstliche Abkunft anzusehen sei. Und er bescheinigte dem Toyota eine gute Raumökonomie. Es mangle weder an Kopf- noch an Kniefreiheit. Vor allem aber war Fischer beindruckt von der umfangreichen Serienausstattung des Modells Cressida GL, das in Deutschland DM 18’995 (in der Schweiz CHF 17’950) kostete. Verbundglas-Frontscheibe, getönte Rundumverglasung, heizbare Heckscheibe, Rückfahrscheinwerfer, Nebelschlussleuchten, H4-Scheinwerfer mit Waschanlage, ein höhenverstellbarer Fahrersitz, Automatik-Sicherheitsgurte vorne und hintensowie ein von innen verstellbarer Aussenspiegel gehörten genauso zur aufpreisfreien Ausstattung wie das Dreiwellenradio. Nur eine Metallic-Lackierung (DM 1200) oder das Automatik-Getriebe (DM 900) mussten zusätzlich bezahlt werden, da sah mancher Konkurrent trotz höheren Preisen alt aus.
Zudem überzeugten die Fahreigenschaften und die vergleichsweise guten Fahrleistungen (0-100 km/h in 12,3 s, Höchstgeschwindigkeit 173,9 km/h) der handgeschalteten Variante.
Weniger glücklich war Fischer mit dem unkultivierten Motorlauf, dem mässigen Fahrkomfort und den Trinksitten. Auf Eilfahrt genehmigte sich der Toyota durchaus auch einmal 16 Liter pro 100 km, im Schnitt waren es 12,6 Liter Super.
“Dennoch bleibt festzustellen, dass die neue Cressida als solide verarbeitete und reichhaltig ausgestattete Limousine in der Mittelklasse eine interessante Alternative darstellt, zumal sie mit einem Anschaffungspreis von 18’995.- Mark zu den wenigen japanischen Wagen zählt, die gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz noch einen deutlichen Preisvorteil verbuchen können”, fasst Thomas Fischer seine Eindrücke zusammen.
Langlebig
“Ein langlebiges Auto ist oft wirtschaftlicher als ein kleineres Auto”, schrieb Toyota 1981 selber in der Werbung für den Cressida. Tatsächlich hatten die Japaner Vorkehrungen für ein langes Leben getroffen. So wurde bei der Verarbeitung und beim Korrosionsschutz nicht gespart. Auch die Technik wurde langlebig ausgelegt, die Japaner verzichteten selbstbewusst auf eine km-Begrenzung bei der Einjahres-Neuwagengarantie.
Bereits Ende 1982 wurde der Cressida überarbeitet und erhielt hinten Einzelradaufhängungen und Scheibenbremsen, der Supra stand dabei Pate.
Bis zum Herbst 1985 wurde die zweite Generation des Cressida verkauft, dann folgte eine weitere Baureihe, die an den Camry V2 angelehnt war. Ihr folgte im Frühjahr 1989 noch die letzte Generation, dann verschwand Ende 1992 der Name Cressida aus den hiesigen Prospekten und Preislisten.
Ein klassischer Japaner
Wer sich heute in den – typischerweise unrestaurierten – Toyota Cressida 2000 GL von 1982 setzt, der hat einen typischen Japaner der Achtzigerjahre um sich. Übersichtliche Instrumente, ein serienmässiges Mehrwellen-Autoradio, weiche Sitze mit nicht allzu viel Seitenhalt, viel Kunststoff und eine ingesamt schlichte Atmosphäre lösen nicht unbedingt die grosse Begeisterung aus, aber die Käufer wollten damals ja auch keinen Charakterdarsteller kaufen, sondern ein zuverlässiges Auto, das sie von A nach B brachte. Und dies tat und tut der Toyota mit Bravour.
Er startet auf Anhieb und setzt sich anspruchslos in Bewegung. Die Hände können dank Automatik am Lenkrad bleiben, die Zahnstangenlenkung gibt die Richtung wunschgemäss vor, der grosse Wendekreis von rund 12 Metern wurde schon damals zu Recht kritisiert. Selbst den Lichtschalter ertastet man ohne viel Nachdenken und die Übersichtlichkeit nach allen Seiten flösst Vertrauen ein. Vom Motor hört man, zumindest bei niedrigen Drehzahlen, wenig. Der Klang wirkt allerdings wenig inspirierend. Die Bremsen reagieren zuverlässig auch ohne massiven Pedaldruck.
Vorne wie hinten bietet der Viertürer genügende, für eine Länge von 4,64 Meter allerdings nicht gerade opulente Platzverhältnisse. Auch in der Breite wirkt der Toyota kompakter, als es die 1,69 Meter Aussenbreite vermuten liessen.
Der Toyota Cressida ist ein Auto, das man ohne Gewissensbisse einmal ausleihen kann und dem man fast jede Aufgabe zutraut. Notfalls auch die Rolle eines Fluchtfahrzeugs in einem Banküberfall. Auch heute noch, über 30 Jahre nach seinem Bau.
Wir danken der Oldtimer Galerie für die Gelegenheit zur Probefahrt.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 33 / 1977 vom 11.Aug.1977 - Seite 17: Test Toyota Cressida
- AR-Zeitung Nr. 2 / 1981 vom 15.Jan.1981 - Seite 19: Eleganter gekleidet - Toyota Cressida
- ADAC Motorwelt Nr. 4 vom 1. April 1981 - Seite 15: Vorstellung Toyota Cressida (Modellwechsel)
- AR-Zeitung Nr. 51 / 1984 vom 13.Dez.1984 - Seite 19: Überarbeitet und aufgewertet: Toyota Cressida
- Auto Motor und Sport Heft 11/1981, ab Seite 150: Test Toyota Cressida GL
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Die Fernseher, Videorecorder etc. waren fast nur noch aus Asien, aber bei
en Autos war man in den 80ern noch sehr zurückhaltend.