Anlässlich des Concorso d’Eleganza Villa d’Este 2011 konnten die Anwesenden eine für eingeweihte sensationelle Premiere erleben: Das Coupé Talbot-Lago T26 Grand Sport mit der Chassis-Nummer 110111, eingekleidet im Jahre 1948 von Saoutchik, seit 20 Jahren nirgends mehr präsentiert, zeigte sich in seiner ursprünglichen Farbe als vermutlich originalster Talbot-Lago überhaupt dem staunenden Publikum.
Nur 32 Grand Sport gebaut
Das Chassis des Talbot Lago Grand Sport debütierte im Oktober 1947 auf dem Pariser Salon, die ersten vollständigen Fahrzeuge wurden im Salon des darauffolgenden Jahres präsentiert. In vier Jahren wurden nur 32 dokumentierte Chassis hergestellt, 29 mit 2,65 Metern Radstand, drei mit verlängertem Radstand von 2,8 Metern.
Die “Crème de la Crème” der französischen Karosseriebauer setzten individuell gestaltete Karosserien auf das Chassis, Saoutchik war der fleissigste, aber auch Chapron, Franay, Figoni, Dubos, Antem und andere erfreuten Kunden mit ihren Kreationen. Einige Chassis wurden auch exportiert und durch Pennock, Van den Plas, Graber und Stabilimenti Farina eingekleidet.
Sport und Luxus
Während einige Grand Sports als ziemlich erfolgreiche Renn- und Rallye-Fahrzeuge eingekleidet und genutzt wurden, wie es sich Antony Lago vorgestellt hatte, kamen andere als luxuriöse und ausschweifende Luxus-Fahrzeuge daher. Chassis 110111, aufgebaut auf dem kurzen Radstand, gehört zur zweiten Gruppe. Mit ihren extravaganten Designs und den ausladenden Formen nahmen diese Fahrzeuge an Concours d’Elégance Veranstaltungen in Frankreich und international teil und dies mit bedeutendem Erfolg. So gesehen, war Chassis 110111 beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este voll in seinem Element.
Nur für die Reichen
Derartig individuell gestaltete Fahrzeuge, aufgebaut auf dem rennerprobten Chassis von Antony Lago, waren damals extrem teuer und das hier beschriebene Saoutchik-Coupé ist keine Ausnahme. Nur die Reichsten konnten sich derartige Fahrzeuge leisten, entsprechend finden sich bei diesen Besitzern viele interessante Persönlichkeiten.
Erstbesitzer Tissot
Chassis 110111 wurde am 12. November 1948 ausgeliefert, als erster Besitzer wurde ein Herr oder eine Frau “Tissot” eingetragen. Es wird vermutet, dass es sich beim Käufer tatsächlich um ein Familienmitglied der schweizerischen Tissot-Uhrendynastie gehandelt hat. Diese Hypothese wird auch dadurch gestützt, dass die Firma mit einer Autoglas-Firma verbandelt war, die wiederum Lieferant bei Talbot und Saoutchik war. Da Antony Lago und seine Fabrik ständig beinahe pleite waren, kann man vermuten, dass hier ein Gegengeschäft gemacht wurde und Schulden mit der Lieferung des Fahrzeugs getilgt wurden.
In den höchsten Kreisen der französischen Gesellschaft
In den frühen Fünfzigerjahren wurde der Wagen dann auf den Namen Mlle. E.R.B. Vincent, Place Vendôme, Paris registriert. Gemäss verschiedenen Quellen war der Wagen ein Geschenk für die Dame, die sozusagen vis-à-vis vom Hotel Ritz wohnte. Mademoiselle Vincent unterhielt amouröse Liaisons mit Mitglieder in den höchsten Kreisen der französischen Gesellschaft, so soll sie auch die Geliebte eines berühmten Politikers gewesen sein, nachdem später ein grosser internationaler Flughafen benannt wurde ...
Von Blau nach Weiss
Ursprünglich war das Saoutchik-Coupé in zwei Blautönen bemalt gewesen, so wie es jetzt auch beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este präsentiert wurde. Irgendwann zwischen 1955 und 1960 aber wurde der Wagen in Crème-Weiss in einer Autolackiererei in Levallouis umgespritzt, während der Kühlergrill rot gestaltet wurde. Die Umwandlung des Fahrzeuges wurde durch Mr. Burgunda, dem Design-Chef von Saoutchik überwacht.
Um das Jahr 1964 kaufte Guido Bartholomeo, ein französischer Sammler und Händler, das Coupé. Vom wem Bartholomeo das Fahrzeug kaufte ist unbekannt, vielleicht übergab ihm Mlle. Vincent die Schlüssel, vielleicht waren auch drei Besitzer dazwischen.
Er behielt das Fahrzeug über viele Jahre, bis es Mitte der Neunzigerjahre nach Österreich gelangte.
Alles original geblieben
Bemerkenswert ist, dass das Fahrzeug bis heute in allen Aspekten original geblieben ist. Nicht nur das ursprüngliche Lederinterieur war noch vorhanden, sondern auch die Paris-Rhône-Batterie, die originalen Scheiben, der erste Auspuff und die gesamte Mechanik waren im und am Fahrzeug verblieben. Das gesamte Holz unter der Karosserie war gesund und unangetastet. Der Kilometerzähler zeigte 44’000 Kilometer an.
Langer Restaurationsprozess
In einer lange dauernden Restauration, vergleichbar mit dem Prozess, der bei alten gemalten Bildern angewandt wird, wurde die weisse Farbe entfernt und das Blau darunter wieder an die Oberfläche gebracht. Damit ist der Grand Sport 110111 vermutlich der einmaligste und rarste von allen und von bestechender Originalität.
Am Concorso d’Eleganza Villa d’Este begeisterte der wiederhergestellte Grand Sport die Besucher, Talbot-Lago insbesondere mit Saoutchik-Karosserie schaffen das immer. Wir können nur hoffen, dass die Betrachter auch realisierten, wie ausserordentlich dieses Fahrzeug im gezeigten Zustand wirklich ist.
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