Die Baureihe 124 von Mercedes-Benz kennt fast jedermann. Kaum einer, der noch nie in einer dieser Limousinen gesessen ist, wenn auch meist hinten, dominierten diese Autos doch über rund ein Jahrzehnt die Taxistände. Beige lackiert und mit einem Zweiliter-Dieselmotor ausgerüstet absolvierten sie eine Erdumrundung nach der anderen.
Doch die Baureihe 124, die erste E-Klasse, konnte auch anders.
Sportwagen mit vier Türen
Im Oktober 1990 wurde am Pariser Autosalon der Mercedes-Benz 500 E präsentiert, eine Limousine der sportlichen Spitzenklasse. In Zusammenarbeit mit Porsche hatte man den V8-Fünfliter-Motor aus dem 500 SL soweit nach hinten wie möglich in den Bug der Mittelklasse verbaut, die Umbauarbeiten sollen beträchtlich gewesen sein. Mit diesem 4973 cm3 grossen Achtzylinder mit 32 Ventilen und vier per Kette bewegten Nockenwellen eröffnete sich für den 124-er eine neue Leistungsdimension.
326 PS standen bei 5700 Umdrehungen an, das Drehmoment erreichte 480 Nm bei 3800 U/min.
Ein Hammer auf Rädern
Was auf dem Papier im Zeitalter der Turbodiesel-Drehmomentriesen nicht mehr wirklich beeindruckt, überzeugt auch heute noch am Lenkrad. Kein Wunder, denn von knapp 1000 bis über 6000 Umdrehungen liegen nie weniger als 360 Nm an und dies bedeutet, dass man praktisch in einem Gang alle Fahrsituationen zwischen 40 und abgeregelten 250 km/h bewältigen kann und jederzeit mit Vortrieb der Extraklasse verwöhnt wird.
Den Spurt von 0 bis 100 km/h absolvierte die von der Zeitschrift Auto Motor und Sport gemessene Limousine in 6,8 Sekunden, womit allerdings die Werksangabe von 6,1 Sekunden nicht erreicht werden konnte.
Mitschuldig daran dürfte die meist üppige Ausstattung und damit das Mehrgewicht gegenüber den werksmässigen 1700 kg gewesen sein. Jedenfalls wog die AMS-Limousine 1780 kg.
Luxusschlitten
Tatsächlich war bereits die Serienausstattung der DM 134’520 oder CHF 134’200 teuren Sportlimousine weitgehend komplett. ABS, Automatik, Radio-/Tonband (Becker Mexico 2000), elektrische Sitzverstellung, elektrische Fensterheber, Tempomat oder hintere Niveauregulierung waren immer an Bord, bei der Schweizer Ausführung zählten sogar das elektrische Schiebedach und Airbags für Fahrer/Beifahrer sowie Sitzheizung zur Basis. Was man auch erwarten durfte, denn tatsächlich kostete der Über-Benz 2000 Franken mehr als die S-Klasse 560 SE und war auch nur unwesentlich günstiger als das Cabriolet 500 SL (R 129).
Porsche-Kooperation
Die Firma Porsche half nicht nur bei der Entwicklung und der Feinabstimmung der Mercedes-Sportlimousine mit, sie verantwortete auch die Produktion (und damit wohl teilweise für den hohen Preis).
Während der Rohbau der Wagen in Sindelfingen bei Mercedes entstand, wurden die Karosserien dann aufwändig bei Porsche verbreitert und am Vorbau für die Aufnahme des V8-Motors modifiziert. Zurück bei Mercedes wurden die fertigen Rohkarosserien dann rostgeschützt und lackiert, um hinterher wieder zu Porsche verfrachtet zu werden, wo sie im Rössle-Bau, also dort wo vorher die Porsche 959 (und später die Audi RS 2) entstanden waren, fertigmontiert und vervollständigt wurden. Endkontrolle und Auslieferung erfolgte dann wieder bei Mercedes. Ein aufwändiger Prozess, der aber für Porsche zu einem überlebenswichtigen Fertigungsauftrag führte, allerdings auch einen Kapazitätsengpass für das Modell heraufbeschwor.
Trotz des hohen Preises brummte nämlich die Nachfrage, Porsche konnte aber ursprünglich nur 12 Autos pro Tag bauen, mehr als knapp 3000 lagen also pro Jahr nicht drin. Immerhin gelang dann ein Kapazitätsausbau, so dass nach rund fünf Jahren Bauzeit 10’479 500 E (und ab 1994 E 500) als Porsche-Typ “2758” die Hallen verlassen hatten, die letzten 120 im Jahr 1995.
Auf einer aufwändig konstruierten Basis
Die Baureihe 124 war bereits im Dezember 1984 als Nachfolgerin der neun Jahre produzierten Modellreihe 123 erschienen. Bei der Entwicklung war viel Gewicht auf Sicherheit und Sparsamkeit gelegt worden, entsprechend ausgeklügelt waren die Deformationszonen gestaltet und entsprechend austariert war die Aerodynamik mit einem cw-Wert von 0.31.
Dabei hatte man keinesfalls Funktionalität opfern wollen und sich viele Detaillösungen ausgedacht, die das Leben des Fahrers einfach machen sollten. So waren beispielsweise beheizte Scheibenwaschdüsen serienmässig und der Einarmwischer erhöhte mit (im Wageninnern spürbaren) Hubbewegungen das Wischfeld auf 86% der Frontscheibe.
Auch fahrwerkstechnisch wurde investiert. Vorne führten Dreiecks-Querlenker mit Bremsnick-Abstützung die Räder, im Heck hing jedes Rad an fünf unabhängigen Lenkern der Raumlenker-Hinterachse. Die Motorenpalette reichte ursprünglich vom Zweiliter-Diesel bis zum Dreiliter-Benzin-Reihensechszylinder.
Im September 1989 wurde auf der Frankfurter IAA eine komplett überarbeitete “E-Klasse” - noch hiess sie nicht so - präsentiert. Die von Bruno Sacco gestaltete Karosserie war sichtbar umgestaltet worden und zeigte nun massive Flankenschutz-Leisten, die schon bald den Übernamen “Sacco-Bretter” erhielten. Auch im Innern hatte man die mittlere Baureihe überarbeitet, in dem man u.a. verbesserte Sitze einbaute.
Diese überarbeite Limousine, die inzwischen auch als Coupé- und Kombi-Varianten sowie mit Allradantrieb gab, bot die Basis für den 500 E.
Fahrwerksqualität erster Güte
Am eindrücklichsten am 500 E war sicherlich die Kombination eines sportlichen Fahrwerks ohne wesentlich Schmälerung des Komforts, den Ingenieuren war schon fast die Quadratur des Kreises gelungen. “Gutmütig wie ein Märchenonkel, agil wie ein flinker Sportwagen und etwa auch noch komfortabel? Jawohl, das ist die überraschendste Komponente des Fahrwerks. Trotz straffer Abstimmung absorbieren Federn und Dämpfer Unebenheiten so manierlich, dass selbst verwöhnte Zeitgenossen wenig Grund zum Nörgeln finden ...”, schrieb Werner Schruf in seinem Testbericht für die Zeitschrift Auto Motor und Sport.
Noch immer ein Genuss
Manches modernes Auto könnte sich an diesem inzwischen rund 25-jährigen Youngtimer eine Scheibe abschneiden. Auch heute noch überzeugt das Fahrwerk und bezüglich Komfort sind heutige Autos dem zum Klassiker gereiften Über-Benz sowieso nicht gewachsen, selbst unter Zuhilfenahme elektronisch gesteuerter Fahrwerkskomponenten nicht.
Auch der 500 E nahm Elektronik zur Hilfe, um die Fahrer bei schlechtem Untergrund nicht vor unlösbare Aufgaben zu stellen. Bei Traktionsverlust starbilisierte das serienmässige ASR (Antischlupfregelung) den Wagen gezielt durch Gasrücknahme oder Bremseingriff. So konnten feuchte Handflächen vermieden werden.
Die mit 4,75 Metern Länge und 1,79 Metern breite Limousine wirkt am Lenkrad deutlich zierlicher und kompakter, als sie es eigentlich mit ihren rund 1,8 Tonnen ist. Mit geringer Seitenneigung umrundet der Wagen kontrolliert Biegungen aller Art und offeriert bedingungslos Leistung, sobald die Strasse wieder gerade gibt. Dabei gibt die Bedienung genausowenig zu denken wie in jedem anderen Mercedes der Neunzigerjahre, als es noch keine anspruchsvollen Bordcomputer, Drehteller, Tiptronic oder Multifunktionslenkräder gab. All dies braucht man auch nicht, denn den 500 E kontrolliert man alleine durch sanfte Lenk- und Gasfussbewegungen. Und zwar mit Hochgenuss!
Als Taxi nur bedingt geeignet
Auch Taxifahrer wären mit dem 500 E problemlos zurechtgekommen. Trotzdem gab es neben dem Preis ein paar Gründe, die gegen diese Verwendung sprachen. Erstens hatte man die Fondsitzbank auf zwei Einzelsitze reduziert und zweitens langte der mächtige V8-Motor bedenkenlos zu, wenn es um die Verarbeitung des bleifreien Benzins ging. Im Test genehmigte sich die Limousine 17,2 Liter pro 100 km, Werte unter 15 Litern seien kaum zu erreichen, meinte Werner Schruf damals. Sportlich bewegt und auf Kurzstrecken konnten daraus sogar über 20 Liter pro 100 km werden, zuviel für das Budget eines Taxifahrers, da half auch der auf 90 Liter vergrösserte Tank nichts.
So waren es dann vor allem Geschäftsleute, die sich gerne selber vorne links in den sportlichen Mercedes setzten und meist mit anonymisiertem Heck, sprich ohne Typenbezeichnung zu ihren Kunden fuhren, ohne dabei viel Zeit zu verlieren.
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen , die uns den Mercedes-Benz 500 E von 1992 für eine Probefahrt überliess.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 46 / 1990 vom 08.Nov.1990 - Seite 27: Vorstellung Mercedes-Benz 500 E
- Auto Motor und Sport Heft 22/1990, ab Seite 40: Fahrbericht Mercedes-Benz 500 E
- Auto Motor und Sport Heft 25/1990, ab Seite 86: Test Mercedes-Benz 500 E
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Eine glückliche Fügung dabei ist, dass es die Autos bereits im Modelljahr 1992, also vor der Einführung der wasserbasierten Lacke gab. Diese sind den E400 ab Modelljahr 1993 klar vorzuziehen, denn ab 1993 konnten die Wagen super rosten. In Deutschland findet man 400er zu vernünftigen Preisen, die sich auch ein Einsteiger leisten kann. Und der 400er hat auch alle V8 Talente seines grossen Bruders, nur der breitschultrige Auftritt fehlt.
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