Satte 46’900 Schweizer Franken oder 34’500 DM kostete in den frühen Fünfzigerjahren das sportliche Spitzenmodell aus dem Hause Mercedes-Benz. Einen VW Käfer gab es für weniger als 6000 Franken, ein kleines Einfamlienhaus lag für den Gegenwert eines Mercedes-Benz 300 S aber durchaus drin. Da waren natürlich die Erwartungen entsprechend hoch und der Käufer erhielt einen realen Gegenwert für das viele Geld.
Vorgestellt 1951 in Paris
Der neue 300 S war sicherlich eine der Hauptattraktionen des 38. Automobilsalons von Paris im Oktober 1951. Die ADAC Motorwelt widmete dem Neuankömmling denn auch eine umfangreiche Beschreibung:
“Besonderes Interesse fand der neue Mercedes-Benz „300 S", der aus dem bei der Frankfurter Ausstellung gezeigten Typ „300" hervorgegangen ist. Die Leistung des neuen 3,0-Liter-Motors, der mit drei Fallstromvergasern ausgestattet ist, wurde auf 150 PS gesteigert, so daß sich bei einem Wagengewicht von 1620 kg ein Leistungsgewicht von 10,8 kg/PS ergibt. Mit diesem Wagen, der vom Typ „300" das Fahrgestell unverändert übernommen hat und somit auch die gleiche hervorragende Federung und mustergültige Straßenlage besitzt, ist Deutschland nun endlich wieder in der internationalen Extraklasse bestens vertreten. Nicht nur hinsichtlich der Spitzengeschwindigkeit, die mit etwa 170 km/st angegeben wird, sondern auch hinsichtlich des Beschleunigungsvermögens — was bei der heutigen Fahrzeugdichte noch wichtiger ist — dürfte der „300 S" bei dem angegebenen Leistungsgewicht, abgesehen von den reinen Sportwagen, allen gleich großen Erzeugnissen der internationalen Spitzenklasse ebenbürtig sein.”
Vorgestellt wurde vorerst das Cabriolet und das Coupé der Baureihe W 188, der Roadster mit voll versenkbarem Verdeck (ohne Sturmstangen) konnte aber ebenfalls schon bald bestellt werden.
Gegenüber der Limousine 300 war der Radstand um 15 Zentimeter gekürzt, die Motorleistung des Reihen-Sechszylinders durch Erhöhung der Verdichtung und Bestückung mit drei Vergasern aber auf 150 PS gesteigert worden.
Das Werk gab 175 km/h als Spitzengeschwindigkeit an, ein Wert der damals aufhorchen liess, waren doch die meisten Automobilisten mit Geschwindigkeiten unter 100 km/h unterwegs. Die Serienproduktion der drei Varianten lief zwischen Juni und September 1952 an.
Optisch hatte man bei Mercedes keine Experimente gewagt. Man verzichtete bewusst auf neumodische Trends wie die Ponton-Karosserie. So hätte denn die Form des 300 S auch durchaus bereits vor dem Krieg entstehen können, aber dies störte damals niemanden.
Intensiv getestet
Über rund 3000 km Schweizer Mittellandstrassen sowie Autostrassen in Deutschland, Frankreich und England jagte die Automobil Revue im Jahr 1952 ein Mercedes-Benz 300 S Cabriolet A, um zu prüfen, ob der Wagen sein Geld wert sei. Akribisch wurden die Fahrleistungen notiert. 177 km/h betrug die Höchstgeschwindigkeit (gemessen aus vier Durchfahrten), den Spurt von 0 bis 100 km/h erledigte die fahrbereit 1755 kg wiegende Karosse (inkl. zweitem Reserverad und Radio) in 15,0 Sekunden. Dies mag heute bescheiden klingen, doch damals gab es kaum schnellere Autos. Nur gerade ein Ferrari Barchetta konnte dem Mercedes bei der Beschleunigung auf 120 km/h gefährlich werden. Eindrücklich, vor allem auch, weil diese Fahrleistungen mit “vornehmer Ruhe” aus dem Ärmel geschüttelt wurden.
Doch noch mehr als die Spurtkraft überzeugte die Tester die stupende Elastizität und Laufruhe:
“Es erscheint nach all dem fast unglaublich, dass der gleiche Wagen im Stadtverkehr auf Wunsch praktisch dauernd im vierten Gang gefahren werden kann, selbst den englischen Einheitstreibstoff ohne allzu starkes Klingeln ertrug und sich zwischen 600 und 6000 Umdrehungen pro Minute gleich gesittet verhielt. Mit Ausnahme des etwas zögernden Anspringens in warmem Zustand — ein schon bei anderer Gelegenheit erwähnter Schönheitsfehler der Motoren von Mercedes-Benz — kann diese Maschine, deren Leistung derjenigen von ausgesprochenen Rennsportwagen sehr nahe kommt, manchen fischblütigen Drosselmotor in Sachen Geräuscharmut und Schwingungsfreiheit als Vorbild dienen.”
Gelobt wurden auch Fahr- und Bremsverhalten des schnellen Sport-Cabriolets, wobei dringlichst empfohlen wurde, Kurven unter keinen Umständen stark bremsend zu befahren.
18,1 Liter brauchten die AR-Testfahrer über 2000 km Fahrstrecke, angesichts der hohen Fahrleistungen ging das völlig in Ordnung.
“Mit dem Mercedes-Benz 300 S hat sich sein Hersteller wieder einen der allerhöchsten Ränge erobert, die der internationale Automobilbau zu vergeben hat”, summierten die Schweizer ihre Eindrücke.
Der Fortschritt wartet nicht
Bereits 1955, rechtzeitig zur IAA in Frankfurt, konnte Mercedes-Benz die nächste Evolutionsstufe des 300 S vorstellen. Dieser hiess nun 300 Sc und konnte mit einem Einspritzmotor aufwarten, der nun 175 PS leistete.
Gleichzeitig war die Hinterachsaufhängung überarbeitet worden, die nun als Eingelenk-Pendelachse mit tiefliegendem Drehpunkt aufwarten konnte. Im Vergleich zu diesen umfangreichen technischen Anpassungen fielen die optischen Änderungen, u.a. grössere Blinkerleuchten, Ausstellfenster, modifizierte Chromapplikationen, weniger ins Gewicht. Mehr zu diskutieren gab sicherlich die gleichzeitige Erhöhung der Verkaufspreise um 2000 DM.
Interne Konkurrenz
Ein kommerzieller Erfolg waren Cabriolet, Roadster und Coupé wohl nicht, die Stückzahlen waren bescheiden. Bis 1955 wurden vom Cabriolet 203, vom Coupé 216 und vom Roadster gerade einmal 141 Exemplare gebaut, der Nachfolger Sc war aber nicht erfolgreicher, er brachte es auf gerade einmal 200 Exemplare über alle drei Bauformen.
Was ihm neben dem hohen Preis zu schaffen machte, war die interne Konkurrenz durch den 300 SL. Wer wirklich sportlich fahren wollte, kaufte sich den Flügeltürer. Wer den Komfort suchte, zog die günstigere LImousine dem Coupé oder dem Cabriolet vor.
1957 beendete Mercedes die vorwiegend in Handarbeit erfolgte Herstellung des 300 Sc. Einen direkten Nachfolger gab es vorerst nicht.
Unterwegs als Herrenfahrer
Wenn man sich hinter das grosse Lenkrad des 300 S klemmt, kann man nicht anders, als beeindruckt sein. Dieses handwerklich hochwertige Interieur lässt niemanden kalt. Viel Leder und schöne Holzfurniere sorgen für einen gediegenen Eindruck.
Zuverlässig startet der vergaserbestückte Sechszylinder, das Vierganggetriebe am Lenkrad bereitet keinen Kummer. Natürlich spürt man das erhebliche Gewicht, aber der Roadster zieht ohne grosses Aufheben vorwärts und lässt sich schaltarm fahren. Froh ist man über das grosse Lenkrad, denn die Steuerung muss ohne Servohilfe auskommen.
Die Leute am Strassenrand reagieren positiv auf den heute doch recht altertümlich aussehenden Luxussportwagen. Dass man damals fahrleistungsmässig durchaus mit einem Maserati oder Ferrari konkurrieren konnte, könnte sich kaum einer der Betrachter vorstellen. Und dass dieses Auto gar noch teurer war als der heute millionenschwer gehandelte Flügeltürer, ist kaum jemandem bekannt.
Die relativ weiche Federung bügelt zusammen mit der eigenen Masse Strassenunebenheiten weg, sportliche Fahreigenschaften erwartet heute niemand mehr von der mit 4,73 Meter Länge und 1,91 Meter Breite recht grossen Karosse. Lieber bremst man rechtzeitig und geniesst die Annehmlichkeiten des schönen Wagens, etwa das Radio, das damals 1300 Franken genauso Aufpreis kostete wie das zweite Reserverad, das man im Heck stehend unterbringen konnte.
Wir danken der Galerie Fischer und Franks Originale für die Gelegenheit, den wunderschönen braunen 300 S Roadster von 1953 in Augenschein nehmen zu können.
Weitere Informationen
- ADAC Motorwelt Nr. 11 vom November 1951 - Seite 15: Pariser Autosalon
- AR-Zeitung Nr. 43 / 1951 vom 03.Okt.1951 - Seite 9: Vorstellung Mercedes-Benz 300 S
- AR-Zeitung Nr. 54 / 1952 vom 24.Dez.1952 - Seite 9: Langstreckenprüfung Mercedes-Benz 300 S
- Oldtimer Markt Heft 7/1996, ab Seite 8: Mercedes-Benz 300 S Roadster, Cabrio und Coupé
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Kam der mit "Cervelat Lenkung" oder nicht? Mit seinen nahezu 2 tonnen eigengewicht sicher wohl oder ??
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