Es waren weder Zuhälter noch Pop-Stars, die einen Mercedes-Benz 250 C kauften. Das zurückhaltend elegante Coupé überzeugte eher jene Leute, die nicht auffallen wollten, wie beispielsweise Richard Burton, der sich sogar (mit guten Gründen) einen Alkoholdetektor einbauen liess. Meist sassen aber Fabrikanten-Ehefrauen, Architekten oder Gymnasiallehrer hinter dem Lenkrad des W114-Coupés.
Später wurden die Autos zu Gebrauchtwagen und deren neue Besitzer studierten oder verfolgten alternative Weltanschauungen und spulten im vielleicht sogar mit bunten Blumen beklebten Coupé Hunderttausende von Kilometern ab.
Inzwischen ist das schlichte Coupé zum veritablen Klassiker gereift und macht an der Techno Classica zwischen Pagode (R113) und 300 SL (W198) eine durchaus gute Figur.
Kosteneffiziente Limousinen-Ableitung
Im Gegensatz zu anderen Baureihen bei Mercedes-Benz, bei denen das Coupé eine vollständige Eigenkreation war, wurde das Strich-Acht-Coupé aus Kosten- und Produktionsgründen so nahe wie möglich an die Limousine angelehnt. Technisch gab es kaum Unterschiede, zur Auswahl stand der 2,5-Liter-Motor in Vergaser- und Einspritzerausführung, der auch in der Limousine ihren Dienst tat.
Radstand, Gewicht (1’360 kg) und Grössendimensionen waren bis auf die um 45 mm geringere Höhe praktisch identisch. Das Fahrwerk bestand wie bei der Limousine aus einzeln an Querlenkern aufgehängten Vorderrädern und der “Diagonal-Pendelachse” hinten. Vier Scheibenbremsen verzögerten den Wagen, drei Getriebevarianten - 4-Gang, 5-Gang oder Automatik - standen zur Wahl.
Schlichte, schnörkellose Formgebung
Paul Bracq war für das Design der Strich-Acht-Limousine zuständig gewesen und hatte eine zeitlose Form geschaffen. Als es darum ging, das Coupé abzuleiten, war der gestalterische Freiraum aufgrund der Kostenzielsetzungen beschränkt.
Die Gestalter stellten die Front- und Heckscheibe schräger, legten das Dach etwas tiefer und erzeugten durch die Anbringung von zwei längsverlaufenden Zierleisten auf dem Dach eine Annäherung an den 280 SL (Pagode, R113).
Damit erschöpften sich die Änderungen gegenüber der Limousine bereits, wenn man von den zwei weggelassenen Seitentüren und dem Übergang zu rahmenlosen Scheiben vorne und hinteren - alle vollständig versenkbar - absieht.
Das Ergebnis sieht auch heute noch klassisch und sehr schlicht aus, wenn man auch die damaligen Kritiker verstehen kann, die dem Coupé fehlende Eleganz und die fast völlige Konzentration auf waagrechte und senkrechte Linien vorgeworfen hatte.
Hoher Praxiswert
Waren die Gestalter durch die erzwungene Nähe zur Limousine stark eingeschränkt, offenbarte gerade diese Nähe für die Besitzer spürbare Vorteile. Der Kofferraum war mit 500 Litern für ein Coupé geradezu gigantisch gross, auf der Rückbank konnten drei ausgewachsene Personen ohne bleibende Schäden auch über längere Distanzen transportiert werden und auch die übrigen Werte und die stabile Bauweise der Limousine vererbten sich verlustlos auf das Coupé.
Auch sicherheitstechnisch war man mit stabiler Insassenzelle und verformbaren Front- und Heckbereichen auf der Höhe der Zeit, Mercedes-Benz hatte generell viel über passive Sicherheit nachgedacht und das spürte man.
Hohe Preise und viele Optionen
So viel Qualität musste bezahlt werden. Die Grundpreise mit DM 16’817, respektive CHF 24’600 noch akzeptabel aus, selbst im Vergleich zu den etwas günstigeren Alternativen von Ford oder Opel. Doch wenn man sich bei der Auswahl an Zubehöroptionen nicht einschränkte, konnte der Preis schnell 50 Prozent und mehr in die Höhe schnellen.
Selbst für Sicherheitsgurte oder Kopfstützen musste zusätzlich bezahlt werden, aber natürlich konnten auch Verbundglasfrontscheibe, Servolenkung, Automatik, Niveauregulierung, Schiebedach, eine elektrisch beheizbare Heckscheibe, ein Aussenspiegel rechts, Klimaanlage, elektrische Fensterheber, Radio, elektrische Antenne, Weisswandreifen, Sonderlackierungen, Halogen-Zusatzfernlicht, etc., je nach Eifer des Käufers und Verkäufers, stattliche Mehrkosten auslösen.
Erstmals auch mit elektronischer Einspritzung
Erstmals setzte Mercedes-Benz beim 250 eine elektronische gesteuerte Einspritzung ein, die den Motor je nach Unterdruck im Saugrohr, Motorendrehzahl, Gaspedalstellung, Kühlwasser- und Lufttemperatur mit der nötigen Menge Benzin versorgte, kontrolliert durch einen aus heutiger Sicht primitiven “Computer”.
20 PS zusätzlich resultierten im Vergleich zur Vergaser-Variante, sparsamer zeigte sich die stärkere Version aber nicht.
Eine stabile Burg
Die Fachpresse stürzte sich begeistert auf das neue Mercedes-Modell und bevorzugte natürlich die stärkere Einspritzvariante. 199 km/h erreichte die Automobil Revue 1969 mit dieser Variante, das Testfahrzeug von Auto Motor und Sport war mit 198 km/h nur unwesentlich langsamer, beide übertrafen die Werksangabe von 190 km/h deutlich. 11,4 respektive 10,9 Sekunden liess sich das Coupé für den Spurt von 0 bis 100 km/h Zeit. Auch die Verbrauchswerte von 17,1 respektive 19,8 Litern pro 100 km lagen bei beiden Testfahrten recht hoch. Der Typ 250 C mit Vergasern konnte dies alles etwas weniger gut, bot aber trotzdem Oberklassen-Komfort.
“Ein Hauch von Luxus” titelten die Auto-Motor-und-Sport-Macher, während die AR von “hoher elektronischer Klasse” sprachen. Die Solidität der Konstruktion wurde allenthalben gelobt, die Windgeräusche wegen der rahmenlosen Scheiben kritisiert. Auch das Fahrverhalten wurde generell als neutral mit Trend zum Untersteuern beschrieben, bei Nässe und Leistungseinsatz konnte es auch in Übersteuern umschlagen. Viel Komfort wurde der Federung attestiert, dem Interieur sorgte für mehr Intimsphäre und bei vollständig versenkten Fenstern entstand sogar etwas Cabriolet-Feeling, befanden die Autotester vor über 40 Jahren.
An Bord eines frühen Vergaser-Coupés
Dem kann durchaus beigepflichtet werden. Das frühe Coupé der ersten Serie steht stramm und schlicht in seiner hellen Lackierung vor uns. Alles wirkt stabil und massiv. Die Sitze erinnern an Salon-Sessel, sind straff gepolstert und blauem Leder überzogen.
Der Motor startet sofort nach dem Drehen des Zündschlüssels und es erklingt schöne Reihensechszylinder-Musik. Man blickt auf die hübsch gezeichneten und sehr übersichtlich angeordneten Instrumente – ein Drehzahlmesser fehlt allerdings –, greift in das grosse Lenkrad mit dünnem Kranz, legt den ersten Gang ein und los geht’s. Das Schaltgefühl erinnert an die Pagode, es ist sehr mechanisch, fast knöchern, aber die Gänge lassen sich gut einlegen. Kupplung und Bremsen bleiben unauffällig. Irritierend ist die Fussfeststellbremse beim Schaltwagen, irgendwie fehlt einem einfach der dritte Fuss, wenn man am Berg anhalten und wieder abfahren sollte.
Die Fahrleistungen reichen auch heute noch problemlos aus, um im Alltagsverkehr gut zurechtzukommen, automatisch stellt sich ein müheloser Fahrstil ohne Hektik ein.
Die Rundumsicht ist hervorragend, selbst die Ecken der Karosserie lassen sich gut überblicken, ein Sonarsystem mit Beep-Geräuschen ist unnötig. Auch die Dimensionen – 4,69 Meter Länge, 1,79 Meter Breite – machen heute keine Angst mehr, die meisten Mittelklassse-Limousinen sind grösser.
Der Wagen ist angenehm gefedert und der Ausblick auf den Stern über dem Kühlergrill erinnert an die grossen Zeiten der Marke Mercedes-Benz.
Es lebt sich gut mit und im 250 C, man kann verstehen, dass er sich zum Klassiker gemausert hat.
Optische Retuschen und stärkere Motoren
Wie es bei Mercedes-Benz üblich war, wurde das Coupé der Baureihe 114 kontinuierlich modellgepflegt. Grössere Retuschen gab es im April 1972, als unter anderem die Türverkleidungen ein neues Design erhielten, neue Aussenfarben dazukamen und auch die Innenfarben erneuert wurden. Vor allem aber wurde der 2,5-Liter-Motor endgültig durch den 2,8-Liter-Motor ersetzt, auch das Modell 250 C hatte jetzt den grösseren Motor.
Umfangreicher waren die Änderungen, die im August 1973 die Serie 2 einläuteten. Die Drehfenster in den vorderen Türen fielen (leider) weg, die Doppelstossstangen waren Vergangenheit. Der Kühlergrill wurde breiter und flacher, beide Rückspiegel (sofern mitbestellt) waren jetzt an den Türen montiert und von innen verstellbar.
Mit Einführung des 280 CE war die maximale Motorleistung auf immerhin 185 PS gestiegen, was echte 200 km/h bedeutete.
Steigende Preise
Ungefähr 36’000 Coupés wurden von 1969 bis 1976 gebaut, eine überschaubare Menge und viele sind dem Rost, Unfällen oder sogar der Abwrackprämie zum Opfer gefallen.
Die Marktpreise für gut erhaltene (Zustand 2, Stand Ende 2018) Strich-Acht-Coupés haben sich um Euro 18’000, respektive CHF 20’000 eingependelt, die Unterschied zwischen den einzelnen Varianten sind vergleichsweise gering.
Unterhaltstechnisch ist man bei diesen Autos auf der sicheren Seite, die Klassiksparte von Mercedes-Benz bietet fast alles aus dem Teileregal an, zuverlässig aber nicht billig.
Weniger glamourös als andere Coupés, dafür mit den soliden Werten der damaligen Mercedes-Generationen gesegnet, hat sich das W114-Coupé zum Klassiker entwickelt, der beim Markentreff eine genauso gute Figur macht, wie bei der Fahrt in die Ferien.
Wir danken dem Classic Center Niederhofer für die Gelegenheit, eine Probefahrt im Mercedes-Benz 250 C von 1969 durchführen zu können.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 50 / 1968 vom 21.Nov.1968 - Seite 17: Neues Coupé Mercedes-Benz 250 und 250 E
- AR-Zeitung Nr. 25 / 1969 vom 05.Jun.1969 - Seite 17: Hohe elektronische Klasse - Kurztest Mercedes-Benz 250 CE
- Auto Motor und Sport Heft 10/1969, ab Seite 30: Test Mercedes-Benz 250 CE
- Oldtimer Markt Heft 6/2001, ab Seite 8: Mercedes 250 C
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Anmerkung zum Fotomodell des Classic Center Niederhofer:
Dieser 250 C (Fahrgestellcode W114.021) wurde von März 1969 bis Mai 1972 in einer Stückzahl von 8824 gebaut. Laut Fahrgestellnummer (11402110000408) war es das 408. Fahrzeug dieses Typs. Im Produktionsjahr 1969 wurden davon insgesamt 2949 gebaut.
Im Mai 1969 wurde die Batterie schräg versetzt statt rechtwinklig im Motorraum verbaut. Daher muss dieses Fotomodell im März oder April 1969 produziert worden sein. Zwei Ausstattungsmerkmale passen allerdings nicht zum Baujahr:
Der große Aschenbecher in der einteiligen Mittelkonsole erschien erst im August 1969, es fehlt der Teppichbelag an den Seiten der Mittelkonsole. Die VDO-Quarzuhr gab es erst ab November 1972 (vorher mechanische Kienzle Uhr mit Aufziehautomatik).
Einige Bilduntertitel sind nicht korrekt:
Bild 20: Das Handschaltgetriebe ist selten dies stimmt nicht. Der Automatikanteil lag damals bei ca. 25 %.
Bilder 35, 37, 38, 39, 40, 43, 44, 45, 49, 53: Das Jahr 1968 ist falsch, da Markteinführung des Coupés erst 1969.
Bild 41: Das Jahr 1968 ist falsch - Bild zeigt zweite Serie (ab August 1973).
Bild 47: 1970? Es ist derselbe Motor aus anderer Perspektive wie im Bild 46 (250 CE 1969).
Bild 52: 1969 ist falsch - Bild zeigt zweite Serie (ab August 1973).
Bilder 57, 58, 59, 60, 61: 280 C (1971) den 280 C gab es erst ab Juni 1972.
Kommentar zur Feststellbremse
In ihrer eigentlichen Funktion zur Fahrzeugsicherung gegen Wegrollen hat die Fußfeststellbremse mehr Vorteile gegenüber der Handfeststellbremse. Der einzige Nachteil der Fußfeststellbremse, dass sie mit manuellem Getriebe schlecht zum Anfahren am Berg verwendet werden kann, ist nur ein relativer Nachteil im Vergleich zur Handfeststellbremse. Mit ein bisschen Übung klappt das Anfahren bei üblichen Steigungen auch ohne Hand- oder Fußfeststellbremse. Bei automatischem Getriebe ist die Bauart der Feststellbremse eh nicht relevant. Ich sehe folgende Vorteile in der Fußfeststellbremse:
Mehr Platz in der Mittelkonsole. Für den Strich-acht gab es bei Lenkradschaltung ein Sitzkissen, welches zwischen die Fahrersitze gelegt wurde. So konnten (bei hochgeklappter Mittelarmlehne) drei Personen vorne sitzen. Für die Limousinen gab es anfangs auch eine durchgehende vordere Sitzbank. Diese Fahrzeuge galten offiziell als Sechssitzer.
Durch Pedalbetätigung kann mehr Kraft aufgewendet werden.
Sicherheit Handbedienungshebel sollten leicht greifbar in der Nähe des Lenkrades befinden. Dies erfüllt der Handbremshebel (Handbremsgriff) am Getriebetunnel nicht.
Das Anziehen und Lösen der Bremse erforderte keine Verbeugung mehr, einfaches Ziehen an einem Entriegelungsknopf links im Armaturenbrett genügt.
Die Strich-acht Vorgängermodelle hatten noch den Handbremshebel am oder unter dem Armaturenbrett angebracht (Stockhandbremse, Krückstockbremse). Hier sollte die Klinkenstange so angeordnet sein, dass bei einem Frontalzusammenstoß keine Möglichkeit besteht, sich daran zu stoßen, wenn sie in Ruhestellung ist.
In diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung: Beim Strich-acht-Rechtslenker wird die Feststellbremse nicht durch ein Pedal im Fußraum betätigt, sondern über einen speziellen Handzug rechts im Instrumentenbrett (ähnlich einer Stockhandbremse). Rechts neben dem Gaspedal wäre kein Platz mehr im Fußraum gewesen, links im Fußraum wäre die Pedalbefestigung zu aufwändig geworden und die Bedienung unbequem.
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