Wer in den Fünfzigerjahren begütert und mit einem anspruchsvollen Geschmack ausgestattet war, kaufte sich keinen Mercedes Benz 220 von der Stange, sondern liess sich ein Fahrgestell von einem Karossier seiner Wahl einkleiden.
Der Inhaber der Firma Möhle gehörte offenbar zu dieser Gruppe von Conaisseurs und er beauftragte die Karosseriefirma Wendler, ein Cabriolet nach seinen spezifischen Anforderungen zu bauen.
Über 100 Jahre Erfahrung
Mit Wendler war eine gute Wahl getroffen, denn hier kam viel Erfahrung und Wagenbautradition zusammen. Bereits 1840 hatte Erhard Wendler sein Geschäft eröffnet und 1863 war er an die Lederstrasse 128 in Reutlingen gezogen. Zunächst wurden Kutschen, die sogenannten Wendler “Chaisen” gebaut, aber nach dem ersten Weltkrieg wandte man sich dem Automobilbau zu.
Wie es in den Zwanziger- und Dreissigerjahren üblich war, bauten die Wendler-Karossiers nach Wünschen ihrer Kundschaft individuelle Aufbauten auf Fahrgstelle von den damaligen Herstellern. Mit vergleichsweise einfachen Werkzeugen und mit viel Sachverstand wurden Karosseriegerippe aus Holz über den den Fahrgestellrahmen gesetzt und dieses Gerippe dann mit Metallblechen beplankt. Um das Gewicht der Fahrzeuge zu senken, begann Wendler bereits anfangs der Dreissigerjahre Aluminium-Bleche zu verwenden.
Zweites Standbein Prototypenfertigung
Geschickt baute die Firma Wendler aber noch ein zweites Standbein auf. Für BMW, Hanomag, Mercedes Benz, Fiat, Adler, Brennabor, Maybach, DKW, Wanderer, Steyr, Opel, NSU, Bugatti, Goliath, Horch und später Porsche fertigte man Prototypen und Versuchswagen sowie Sportspezialkarosserien, so z.B. den Porsche 550 RS Spyder.
Während des zweiten Weltkriegs musste man situationsbedingt auf den Bau von Sanitäts- und Kübelwagen umstellen.
Nachkriegswurf Mercedes Benz 220
Im April 1951 präsentierte Daimler-Benz auf der IAA in Frankfurt die neuen Fahrzeugtypen 220 und 300. Beide verfügten über völlig neu konstruierte Sechszylindermotoren mit obenliegender Nockenwelle. Der Typ 220, der auch Baumuster W 187 genannt wurde, basierte, abgesehen von seinem neuen 2,2 -Liter-Motor mit 80 PS, weitgehend auf dem Typ 170 S, dessen Konstruktion auf den 170 V und damit Vorkriegstechnik zurückging.
Fahrwerk und Karosserie des neuen 220 waren nahezu identisch mit dem 170 S, allerdings wurden die Scheinwerfer aber nun in die zu diesem Zweck modifizierten vorderen Kotflügel integriert. Der deutlich höheren Motorleistung entsprechend, war der 220 an den Vorderrädern mit Duplexbremsen ausgerüstet.
Wie der 170 S, wurde auch der 220, dessen Serienproduktion im Juli 1951 anlief, in drei Karosserievarianten - Limousine, Cabriolet A und Cabriolet B - angeboten. Die beiden Cabriolets, positioniert als sportliche Reisewagen mit exklusivem Charakter, lösten die entsprechenden Ausführungen des 170 S ab, deren Produktion im November 1951 auslief.
Daimler-Benz bot den Karosseriebauern auch Fahrgestelle für Sonderaufbauten an.
1953 kam eine neue Karosserievariante hinzu, das noble Coupé. Sowohl hinsichtlich Verkaufspreis als auch bezüglich Exklusivität schlug das Coupé alle anderen Varianten.
Das Cabriolet B kostete 1951 14’600 DM, das mondänere Cabriolet A 18’300 DM, allerdings ohne Bereifung, denn diese wurde extra in Rechnung gestellt.
Ein Cabriolet A wog leer rund 1420 kg, das Fahrgestell alleine 930 kg. Der Radstand betrug 2,85 Meter, der fertige Wagen war 4,54 Meter lang, 1,69 Meter breit und 1,56 Meter hoch.
Der Reihensechszylinder wies ienen Hubraum von 2195 cm3 aus und war bis 1954 mit 6.5:1 verdichtet. 80 PS bei 4600 U/min waren die Ausbeute, aber April 1954 stieg die Leistung dank auf 7.6:1 erhöhter Verdichtung auf 85 PS.
Während die Vorderräder an einer Doppel-Querlenker-Achse aufgehängt waren, tat hinten eine Pendel-Schwingachse ihren Dienst. Gebremst wurde mit Trommeln vorne und hinten.
Im Mai 1954 endete die Produktion der 220er Limousine, nachdem das letzte Cabriolet B bereits ein Jahr zuvor die Sindelfinger Werkshallen verlassen hatte.
Coupé und Cabriolet A wurden noch bis Juli bzw. August 1955 weitergebaut.
Elegantes Ergebnis
Mit dem Fahrgestell des Cabriolet A waren die Rahmenbedingungen für die Karosseriekünstler von Wendler gesetzt. Während sie sich bei der Frontgestaltung eng an die Werkskarosserien anlehnten, zeigt der hintere Teil ab A-Säule einen eigenen Charakter.
Im Gegensatz zu den hinten angeschlagenen Türen der Werks-Cabriolet wurden die Türen bei der Wendler-Version vorne angehängt. Das Dach ist eine deutlich filigranere Konstruktion und weist keinen aussenliegende Verdeckmechanismus auf.
Der Heckbereich geriet bauchiger und wohl auch praktischer, spricht mit mehr Stauraum ausgestattet. Insgesamt weist das Wendler-Cabriolet eine deutlicher in Richtung Pontonform gestaltete Karosserie auf als die Werkversionen und zeigt damit auch den Weg vor, den Daimler-Benz Schritt um Schritt nachvollzog.
Alternative aus dem selben Haus
Bei Wendler entstanden weitere Mercedes-220-Cabriolets, ein besonders interessanter Entwurf war das Sportcabriolet von 1954. Dieses wies wiederum hinten angeschlagene Türen auf, überzeugte im Aufbau durch eine deutlich sportlichere Status, die bereits in Richtung 190 SL zeigte.
Ob unser Industrieller der Firma Möhle bewusst eine deutlich zurückhaltendere und wohl auch alltagstauglichere Form wählte, ist unbekannt.
Sicher aber ist, dass sein Fahrzeug überlebt hat und in vier Jahren sachkundig und detailverliebt restauriert wurde. Das Ergebnis jedenfalls überzeugt.
Wir danken der Firma Claus Mirbach, Hamburg , die das Wendler-Cabriolet zum Verkauf anbietet, für ihre Unterstützung für diesen Bericht.
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