Ein Mercedes Benz 200 der Baureihe 123 fällt auch als Oldtimer, die ältesten sind immerhin schon 39 Jahre alt, kaum auf, mindestens nicht, solange er nicht signalfarbig ist. Und dies hat gute Gründe, denn bis vor wenigen Jahren kurvten diese Autos noch als Alltagsautos auf unseren Strassen und sie gehören heute zu den zahlenmässig stärksten Oldtimergattungen überhaupt. Zudem ist es nicht unmöglich, dass man sich heute zufällig in einen 200 D eben dieser Baureihe setzt, wenn man ein Taxi besteigt. Denn die robusten und langlebigen Klassiker sind teilweise noch heute im Einsatz.
Dass die Baureihe 123 zur bis dahin erfolgreichsten Konstruktion von Mercedes werden konnte, dies war allerdings am Anfang überhaupt nicht klar.
Der nicht sichtbare Fortschritt
Bereits gegen Ende der Sechzigerjahre begann man in Sindelfingen mit den Arbeiten am Nachfolger der fortschrittlichen Baureihe W114/115, deren Autos auch liebevoll Strich-Acht genannt werden. Man experimentierte gerade mit Wankel-Motoren und sah hier eine grosse Chance gerade bei den kleinvolumigen Antriebsarten einen grossen Schritt nach vorne zu machen.
Für die Entwicklung der neuen Baureihe 123 konzentrierte man sich daher auf andere Eigenschaften, nämlich Sicherheit, Praxisorientierung und günstiger Unterhalt.
Doch dann kam die Ölkrise, der Wankel erwies sich als viel zu durstig und die Ansprüche hatten sich einmal mehr gewandelt. Zeit für die Entwicklung neuer Motoren hatte man natürlich nun nicht mehr und auch sonst musste man aus Kostengründen nehmen, was andere Baureihen vorgaben.
Und so präsentierten die Mercedes-Mannen Ende 1975 einen Wagen, dem man die Fortschritte gar nicht so leicht ansah. Die Motoren stammten weitgehend vom Vorgänger, begonnen beim 200-er, dessen Ahnengalerie bis ins Jahr 1955 aufwies. Bei den Aufhängungen schielte man zur S-Klasse W 116 und auch die Rahmenbodenanlage wollte man nicht aufgeben.
Dafür investierte man in Unterhaltsfreundlichkeit, sah eine Motorhaube vor, die im 90-Grad-Winkel geöffnet werden konnte, brachte die technischen Komponenten so an, dass sie mit geringem Aufwand ausgetauscht werden konnten.
Nur nicht auffallen
Beim Design verfiel man der Tradition des Hauses entsprechend nicht auf spektakuläre Ideen. Gezeichnet worden war eine klassische Dreivolumen-Limousine mit sehr sanft angetönter Keilform. Grosse Fensterflächen versprachen eine gute Rundumsicht. “Gefällig”, schrieb die Automobil Revue bei der Vorstellung am 29. Januar 1976.
Die pragmatische Linienführung wies durchaus Vorzüge auf, so fasste der Kofferraum zum Beispiel 515 Liter, das Reserverad war unter dessen Boden verschwunden. Die Sitze offerierten mehr Seitenhalt als beim Vorgänger. Trotz grösseren Abmessungen, der neue Wagen war 4,72 Meter lang und 1,785 Meter breit, wo der neue 200-er nicht mehr als sein Vorgänger. Nur die Preise zogen um 10% an, denn der Neuankömmling startete nun beim 18’382 Mark und 60 Pfennig.
Verborgene Sicherheit
Was nicht auf Anhieb sichtbar war, waren Sicherheitseinrichtungen, die die neue Baureihe W 123 von Anfang an mitbrachte. Sogar an den noch nicht serienreifen Airbag hatten die Ingenieure bereits gedacht, aber vor allem ordneten sie gefährdende Komponenten wie Benzintank, Lenkung ,etc. so an, dass bei einem Aufprall möglichst geringe Verletzungsrisiken bestanden.
Den Dachaufbau konstruierten die Stuttgarter zwecks Überschlagsicherheit deutlich stabiler und auch gegen die Folgen eines Seitenaufpralls sahen sie Gegenmassnahmen vor. Natürlich waren Knautschzonen vorgesehen und die Gurten wurden direkt an den Sitzen angebracht. Dass auch noch die Feststellbremse von Gestänge auf Kettenbetätigung umgestellt wurde, gehörte bei all den konstruktiven Vorkehrungen zur Feinarbeit.
Schwäbische Sparsamkeit
Er war also etwas besser und auch etwas teurer geworden, aber umfangreich ausgestattet war er definitiv nicht. Weder Servolenkung, noch Drehzahlmesser, Leichtmetallräder oder Radio gehörten zur Serienausstattung. Wer einen Vierzylinder bestellte, durfte noch nicht einmal gegen Aufpreis eine Metallicfarbe bestellen.
Gut, aber steigerungsfähig
Das Verdikt der Presse zum neuen Auto war eindeutig positiv. Die ADAC Motorwelt schrieb: “Die unauffällige Art, in der hier die Technik funktioniert, ist eines der Geheimnisse des Mercedes-Erfolgs. Diese Technik ist, an der Konkurrenz gemessen, nahezu perfekt.” Gelobt wurden insbesondere die gute Übersicht, die guten Platzverhältnisse, das Sicherheitsniveau, Heizung/Lüftung und der relativ geräuscharme und kraftvolle Motor. Gut musste der Mercedes aber auch sein, denn er kostete deutlich mehr als die Konkurrenz von Audi, Opel und BMW.
Lieferfristen von über einem Jahr
Beim Käufer jedenfalls kam das Auto gut an, so gut, dass Mercedes das Vormodell /8 parallel weiterproduzieren musste und die Lieferfristen für den Neuen trotzdem auf fast zwei Jahre anwuchsen. Jahreswagen konnten damals sogar über dem Neupreis wiederverkauft werden. Von einem derartigen Nachfrageüberhang können Autohersteller heute nur noch träumen.
Nachgereichter Fortschritt
Die Gegner schliefen aber nicht und Mercedes entwickelte den 123-er kontinuierlich weiter. Modellvarianten wie das Coupé und der Kombi (T-Modell) wurden genauso nachgereicht wie kleine Verbesserungen wie die geänderten Lenkräder im Jahr 1979 oder die serienmässige Servolenkung ab September 1982.
Die grosse Neuerung aber war die Einführung der neuen Benzin-Motorengeneration M 102 im Jahr 1980. Vier Jahre dauerte die Entwicklung, zuerst kam der 230-er, dann der 200-er in den Genuss des modern konstruierten Reihenvierzylinders. Ausgerüstet mit einem Stromberg-Vergaser leistete die Zweilitervariante mit fünffach gelagerter Kurbelwelle nun 109 PS (statt 94) und offerierte ein Drehmoment von 170 Nm (statt 156). Vor allem aber war er laufruhiger und sparsamer. Fast 20 % weniger verbrauchte das Modell 200 mit dem neuen Motor mit obenliegender Nockenwelle als sein Vorgänger.
Auto Motor und Sport fuhr die neue Variante im Winter 1980/81 und beschleunigte die leer 1386 kg schwere Limousine in 13,6 Sekunden von 0 bis 100 km/h. Als Spitze wurden 169,8 km/h gemessen. Die Fortschritte gegenüber dem Vorgänger waren sichtbar, die Konkurrenz konnte es aber noch besser. Ein Opel Commodore lief 187 km/h, ein Audo 100 L 5S 177,3 km/h.
Teure Aufpreispolitik
Auch und gerade im Jahr 1980 erhielt der Kunde bei Mercedes für den Grundpreis (DM 22’973 oder CHF 25’690) ein vergleichsweise kärglich ausgestattetes Fahrzeug. Wer heutzutage als normal empfundene Komfort- und Sicherheitselemente wie ABS (DM 2430), Servolenkung (DM 768), Zentralverriegelung (DM 367), Automatikgetriebe (DM 1921), Elektrische Fensterheber vorne/hinten (DM 1249), elektrisches Schiebach (DM 1232), Lederpolsterung (DM 1944), Sitzheizung vorne (DM 520), Leichtmetallräder (DM 1237) und einen Drehzahlmesser (DM 203) nebst einigen weiteren Zubehörausstattungen orderte, der musste sich fast auf eine Verdoppelung des Grundpreises einrichten.
Und so waren dann gerade die Einstiegsmodelle (200, 200D) meist besonders bescheiden ausgerüstet. Auch auf Metallic-Farben wurde oftmals verzichtet. Dies schadete der Popularität des 123-er aber überhaupt nicht und Klaus Westrup schrieb als Schlusssatz seines Testberichts im Januar 1981: “Der gute 200 ist, wieder einmal, besser geworden”.
Erfolgsgeschichte
2,7 Millionen Fahrzeuge (davon fast 2,4 Millionen Limousinen) der Baureihe 123 verliessen zwischen November 1975 und Januar 1986 die Produktionsstätten, der Nachfolger W 124, der bereits 1984 vorgestellt wurde, musste in grosse Fussstapfen treten. Keine Baureihe von Mercedes Benz war erfolgreicher!
Unterwegs im “kleinen” Mercedes
Über 30 Jahre nach der Lancierung des “kleinen” Mercedes, damals gab es halt neben der Baureihe 123 nur grössere Limousinen, haben sich die Ansprüche des Autofahrers gründlich verändert. Wie kommt ein Mercedes Benz 200 von 1982 damit klar? Viel besser, als man denkt!
Die Buchhalterausstattung, die nur das wichtigste bietet, aber immerhin mit Radio, Heckstore und rechtem Aussenspiegel einige Extras bietet, wirkt heute sympathisch, genauso wie das riesige Lenkrad mit Kunststoffummantelung und die Materialanmutung im Innenraum.
Und aussen? Man kann sich kaum ein unspektakuläreres Auto vorstellen. Nur die orange-rote Lackierung lässt die stattliche Limousine auffallen. Der aufrechte Kühler, die vier Rundscheinwerfer unter Glas an der Front, die schmalen grossen Räder mit den Radkappen und die Zierleiste auf der Seite wirken sehr nostalgisch. Und sympathisch.
Auch als über dreissigjähriger Oldie wirkt der 200 robust und fast wie die Instanzierung des immer wieder zitierten Langzeitautos. Viel besser war der Wagen wohl auch nicht, als er vom Band lief. Und er wird wohl genauso bleiben. Noch lange. Sehr lange.
Die Fahrerei verläuft ohne Aufregung und kaum anders als im modernen Automobil. Das Getriebe wirkt etwas hakelig wie alle Mercedes-Schaltboxen jener Zeit. Die Rundumsicht ist wie erwartet hervorragend, Parkpiepser benötigt man schon wegen der einsehbaren Karosserieecken kaum.
Mit dem Basis-Vierzylinder kommt man gut zurecht, denn rennen will man mit diesem Auto ja auch nicht.
Fast Wertverdoppelung in den letzten zehn Jahren
Hätte man im Jahr 2005 einen Mercedes 200 in gutem Zustand gekauft, hätte man ihn über die letzten 10 Jahre durchaus als Alltagsauto fahren können. Und wenn man ihm Sorge getragen hätte und ihn heute verkaufen würde, dann bekäme man fast doppelt soviel (gemäss Classic Data für das Jahr 2014 Euro 6500 oder rund CHF 8000) wie beim Kauf. Ein Wunder?
Nein, neben der allgemeinen Preissteigerung bei Oldtimer-Fahrzeugen hilft dem W 123, dass er robust gebaut wurde und im Unterhalt genügsam ist. Während hohe Kilometerleistungen kaum ein Risiko sind, nagt die rote Pest (sprich der Rost) gerne an der Karosserie, wie früher das Auto gebaute wurde, umso mehr. Wäre dies nicht der Fall, hätten die Mercedes-Ingenieure fast das perfekte Langzeitauto gebaut.
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen für das Vernügen, den Mercedes Benz 200 mit Jahrgang 1982 für eine Probefahrt entführen zu können.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 4 / 1976 vom 29.Jan.1976 - Seite 15: Neue Modelle von Mercedes (W123)
- ADAC Motorwelt Nr. 6 vom 1. Juni 1976 - Seite 26: Test Mercedes 200
- Auto Motor und Sport Heft 4/1981, ab Seite 54: Test Mercedes 200
- Auto Motor und Sport Heft 14/1982, ab Seite 28: Test Mercedes 200
- Oldtimer Markt Heft 6/2005, ab Seite 8: 30 Jahre Mercedes W 123 (Limousinen)
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Qualitätsanspruch bei Mercedes war. Und die Aussage "wenn man einen W123 ist der Einfahrt stehen hat, hat man es geschafft" ist für mich nachvollziehbar.
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