Als Mercedes-Benz im Jahr 1982 die Baureihe W201, offiziell 190 genannt, vorstellte, bedeutete dies den Einstieg in eine neue (niedriger angeordnete) Fahrzeugklasse. Der 190/190E kam genau zur rechten Zeit, denn man sprach bereits von frostigen Zeiten in der Wirtschaft.
Einstiegs-Mercedes
Gezielt wurde auf die Mittelklasse und der “Baby-Benz”, wie er in den Vereinigten Staaten wegen seiner geringen Grösse genannt wurde, unterbot den Platzhirschen Mercedes-Benz 200-280E der Baureihe W123 in der Länge um 30 Zentimeter und in der Breite um zehn Zentimeter. Der Radstand wurde allerdings zugunsten des Innenraums nur um 13 Zentimeter gekürzt und das Kleid auf optimale Aerodynamik getrimmt, was mit einem cw-Wert von nur 0.33 bestens glückte. Erste Berichte sprachen von komfortablen Platzverhältnissen und echtem Mercedes-Ambiente. Das Team um Bruno Sacco hatte beim Design eine glückliche Hand, der kleine Benz gefiel.
Anfänglich gab es den kleinen Mercedes mit zwei Motoren von 1997 cm3 Hubraum und 90 (Vergaser), respektive 122 DIN-PS (Einspritzer). Mit 1100 kg war der W201 ein Leichtgewicht und mit der neuen Raumlenker-Hinterachse auf der Höhe der Zeit.
Stetige Modellreihen-Erweiterungen
Die beiden Vierzylinder-Benziner blieben nicht alleine, Mercedes-Benz spielte gekonnt auf dem Modulbaukasten und bot ab Herbst 1983 eine Dieselvariante 190 D an sowie die Sport- und Evolutionsvariante 190 E 2.3-16 mit Vierventilmotor.
1985 kam ein grösserer Diesel und ein grösserer Benzinmotor (2,3 Liter) dazu. Und dann wurde zur IAA im September 1985 erstmals ein Sechszylindermotor im kleinen Mercedes angekündigt.
Der grosse Motor im kleinen Benz
Den Sechszylinder kannte man bereits aus der E-Klasse, eine Motorenentwicklung war also unnötig. Damit der lang bauende Reihenmotor aber in den kompakten Bug passte, waren einige Umbaumassnahmen erforderlich. Der Kühler musste weiter nach vorne rücken, die Querbrücke war nun für Wartungseingriffe geschraubt. Eine steilere Bugschürze kaschierte die Anpassungen.
Obwohl der grössere Motor 26 kg mehr wog, übertraf der 2.6 den 2.3 nur gerade um 10 kg. Der Grund für dieses Wunder? Weil der Sechszylinder deutlich feiner und leiser lief, konnte Dammmaterial eingespart werden.
Kein Kriegsschmuck
Von aussen erkannten nur Spezialisten den edlen Sechszylinder, denn ausser der bereits erwähnten leicht veränderten Bugschürze und einer zweiflutigen Auspuffanlage am Heck wies nur das (leicht demontierbare) Schild “2.6” auf die gediegene Motorisierung hin.
Weder Verbreiterungen noch Flügelwerk machten auf den stärksten 190er für Nicht-Sportler aufmerksam.
Begeisterte Tester
Das schlichte Äussere, aber viel mehr noch die leistungsstarke Motorisierung gefiel auch den Autojournalisten. “Der Mercedes-Benz 190 E mit 2,6-Liter-Sechszylindermotor ist ohne Zweifel ein Automobil für den Kenner und den Geniesser. Offensichtlich haben seine Erbauer sehr viel zeit und Geld in die Optimierung all der exzellenten Eigenschaften investiert, die dieses kompakte Klassefahrzeug auszeichnen. Der Aufwand hat sich - in jeder Hinsicht - gelohnt”, fassten die Tester der Automobil Revue die Eigenschaften des in der Schweiz CHF 42’550 teuren Baby-Benz zusammen.
Auch Klaus Westrup beschrieb in seinem Test für Auto Motor und Sport vorwiegend positive Eindrücke, vor allem die gute Funktionalität, die hervorragende Verarbeitung, die präzise Servolenkung, der drehfreudige und vibrationsfreie Motor sowie die sehr gute Handlichkeit hatten es ihm angetan. Für Kritik sorgten vor allem der hohe Preis und die beschränkten Platzverhältnisse im Fond. “Den Kenner wird das, raumegoistisch, wie er oft ist, nicht stören. Er sieht in diesem Auto nicht nur den kultiviertesten 190, sondern auch einen geräumigen Zweipluszwei, der mit einem Preis von 44’289 Mark keineswegs wohlfeil geraten ist”, fasste Westrup zusammen und vergass auch nicht zu erwähnen, dass ein 2.3-16 schliesslich nochmals 15’000 Mark mehr kosten würde.
An Dynamik liess es die Mercedes-LImousine nicht missen, 8,9 Sekunden reichten für den Spurt von 0 bis 100 km/h, die Spitze wurde mit 213 km/h gemessen.
Beim Verbrauch kam es sehr auf die Fahrweise an, während beim Test in Deutschland 12,9 Liter Benzin pro 100 km durch die Einspritzung flossen, reichten 10,1 Liter beim Test der Automobil Revue.
Besser als BMW
Die deutsche Zeitschrift Auto Motor und Sport liess den neuen 2.6 sogleich gegen den BMW 325i antreten. Zwar war der Mercedes-Benz stattliche 6000 DM teurer als der BMW, er überzeugte aber in den Kapiteln Karosserie, Komfort und Fahreigenschaften besser als der bayerische Viertürer und musste sich nur im Kapitel Antrieb geschlagen geben.
“Wer eine leistungsstarke, kleine Limousine mit hoher Fahrkultur und überdurchschnittlichem Komfort favorisiert, hat den Mehrpreis von 6000 Mark gut angelegt. Sicher keine leichte Entscheidung, denn auch der BMW 325i ist ein höchst attraktives Angebot. Mit ihm dürften vor allem sportlich orientiere Fahrer glücklich werden - und solche, die sich schon immer daran gestört haben, daß die Sicht auf die Strasse durch einen Stern verstellt wird”, schrieb Paul Schinhofen in als Abschluss zum Doppeltest.
Nach oben offen
Hielt sich der Grundpreis ja noch in Grenzen, so bot die Aufpreisliste fast unbeschränkte Möglichkeiten, aus dem kleinen Wagen ein richtig teures Auto zu machen. Der Testwagen der Automobil Revue beispielsweise kostete CHF 58’435, hatte also Extras im Wert von ziemlich genau 16’000 Franken an Bord.
Der Airbag beispielsweise wurde mit DM 2280 verrechnet, das Automatikgetriebe mit DM 2599, elektrische Fensterheber vorne/hinten kosteten DM 1596, eine Klimaanlage wurde für DM 4047 eingebaut, Metallic-Farben wurden mit DM 1169 verrechnet. Beheizbare Vordersitze standen mit DM 718 in der Preisliste, das elektrische Schiebedach mit DM 1522. Was auffällt, die meisten dieser Dinge sind heutzutage schon bei günstigen Autos Teil der Serienausstattung. Die anspruchsvollen Mercedes-Kunden wollten damals genausowenig darauf verzichten und so dürften nur die wenigsten 2,6-Liter unter DM/CHF 50’000 verkauft worden sein.
Garantierte Exklusivität
Insgesamt fertigte Mercedes-Benz von 1982 bis 1993 1,88 Millionen Limousinen der Baureihe W 201. Im Herbst 1988 liess der Hersteller dem Baby-Benz ein Facelift angedeihen, erkenntlich an den sogenannten “Sacco-Brettern”, also breitflächigen Seitenplanken. Zudem gab es neue Sitze und höhenverstellbare Gurten vorne. Mit einem Anteil von 5,6% hielt sich die Zahl der 2,6-Liter-Variante in Grenzen, dem hohen Preis, aber auch der Tatsache geschuldet, dass ein Grossteil der Produktion in Deutschland verblieb, wo man nicht immer üppigste Motorisierung wählte.
Langzeitauto
Über dreissig Jahre alt ist der fotografierte Kat-190-er, man sieht ihm die Jahre kaum an. Das Design ist erstaunlich frisch geblieben, das etwas nüchterne Interieur mit dem Taxi-Flair wurde offenbar von einem früheren Besitzer mit zusätzlichen Wurzelholz-Einlagen etwas aufgefrischt. Die Stoff-Sitze wirkten auch noch nach über 100’000 km bequem und bei der Bedienung musste man sowieso nicht lang nachdenken.
An Extras hatte sich der Käufer eine Automatik, ein Schiebedach, die metallisierte Farbe und elektrische Fensterheber vorne gegönnt, auf den Airbag hatte er genauso verzichtet wie auf Leichtmetallräder, die Stahlräder mit Plastikradkappen mussten reichen.
Sich grösser fühlen als sein
Der seidige und virbrationsarme Motorenlauf fällt sofort nach dem Start auf. Die Automatik-Version bietet einen Fahrkomfort, der noch heute überzeugen kann. Geschmeidig fährt der Wagen los, schaltet relativ früh in den nächsthöheren Gang bis die oberste vierstufige Fahrstufe erreicht ist.
Insgesamt fühlt sich der Wagen nicht viel anders an als die grösseren Limousinen des Stuttgarter Herstellers. Wer an eine S-Klasse im geschrumpften Kleid denkt, liegt nicht ganz falsch. Die serienmässige Servolenkung hält die Bedienungskräfte in Grenzen und der Mercedes-Kenner staunt über die konventionelle Handbremse auf dem Kardantunnel, weil es sich sonst von Mercedes ja nur die Fussfeststellbremse gewöhnt ist. Und dass das Lenkrad geschäumt, aber nicht lederummantelt ist, überrascht beim damaligen Luxusanspruch doch auch einigermassen.
Kurven werden trotzdem behände durchfahren, der Wagen ist handlich und übersichtlich. Nur der omnipräsente Wandler des Automatikgetriebes schmälert die sportliche Dynamik.
Man könnte ihn auch heute noch jeden Tag fahren, viele Besitzer tun dies auch. Ein echtes Langzeitauto eben.
Wir danken der Firma allcarta , die uns den rüstigen Mercedes-Benz 190E 2.6 von 1987 für eine Probefahrt zur Verfügung gestellt hat.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 48 / 1982 vom 25.Nov.1982 - Seite 17: Der «kleine» Mercedes-Benz
- AR-Zeitung Nr. 14 / 1987 vom 02.Apr.1987 - Seite 19: Test Mercedes-Benz 190E 2.6
- Auto Motor und Sport Heft 24/1986, ab Seite 20: Test Mercedes-Benz 190E 2.6 - Play mobil
- Auto Motor und Sport Heft 25/1986, ab Seite 28: Doppeltest Mercedes-Benz 190E 2.6 und BMW 325i (Auf getrennten Wegen)
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