Ausgerechnet Marcello Gandini, der Schöpfer des stilbildenden Lamborghini Miura, Vater des ikonischen Countach, und Designer vieler weiterer Karosserien, die bis heute zu den schönsten der Automobilgeschichte zählen, bekam den Auftrag, für Maserati ein neues Flaggschiff zu zeichnen. Aufgrund der Vorgabe, die Rohkarosserie des Biturbos und Teile der Bodengruppe des Spyder übernehmen zu müssen, war Gandinis Kreativität stark eingeschränkt, was sich am Erscheinungsbild des Shamal deutlich zeigte. Heraus kam ein kraftvoller Sportler, dessen Design auch heute noch polarisiert.
Wenig Beifall
Hans-Karl Lange schrieb dazu 1991 in Heft 2 von "Auto Exklusiv": "Schwangeres Gürteltier, Tuningauto aus Fernost, Quasimodos Bruder - so und ähnlich lauteten die Kommentare, als Maserati-Chef Alejandro de Tomaso am 14. Dezember 1989 das zukünftige Spitzenmodell des Hauses präsentierte. Selbst die loyalsten Freunde der just auf den Tag genau 75 Jahre alten Sportwagenmarke waren schockiert. Gerade Maserati stand in der Vergangenheit stets für elegante, mit Feingefühl geformte Autos. Dieser Shamal aber - kurz, gedrungen und krummbuckelig in seiner Statur, mit aggressiv glotzenden Projektionsscheinwerfern und einigen Karosseriedetails, die jenseits von edel angesiedelt sind."
Kritische Presse
Die Zeitschrift "sport auto" berichtete im Januar 1990 über den Shamal und war etwas gnädiger. Redaktor Klaus Rosshuber: "Gandini integriert die Ellipsoid-Scheinwerfer fürs Abblendlicht mühelos und harmonisch in die feinen Züge des Shamal-Gesichts". Am Spoilerwerk hatte er allerdings keinen Gefallen gefunden, und notierte, dieses wäre sogar den abgebrühtesten Kadett-Veredlern im Ruhrgebiet inzwischen peinlich. Erstmals kam bei einem Serienfahrzeug ein Spoiler vor der Frontscheibe zum Einsatz, er sollte Regenwasser ableiten.
Der Automobil Revue hingegen schien der Shamal zu gefallen, sie schrieb in der ersten Ausgabe im Jahr 1990: "Die von Marcello Gandini in die Kur genommene Coupékarosse ist im Bereich der Räder schwungvoll weit nach aussen gezogen, und auffällig modellierte Schwellen und der Gandini-typische hintere Radausschnitt verleihen dem Shamal ein eigenständiges Gepräge. Letzteres wird durch die flache, allseits gerundete und von rechteckigen sowie zusätzlichen Ellipsoidleuchten flankierte Kühlermaske ebenso wie durchden überrollbügelartig gestalteten C-Pfosten unterstrichen. Gut gelungen ist die mächtige, klar gegliederte Heckpartie mit aufgesetztem Kofferdeckel und über die ganze Wagenbreite laufendem Leuchtband."
Der Maestro spricht
Marcello Gandini selber hielt den neuen Maserati nicht für einen Trendsetter, und betonte im Interview: "Der Shamal nimmt sicher nicht das Design der Neunzigerjahre voraus. Unser Entwurf ist mehr als gründliches Update zu sehen."
Neues Spitzenmodell
Der Shamal löste den ebenfalls von Gandini entworfenen Khamsin ab.
Die ungewöhnlichen Proportionen waren dem Umstand geschuldet, dass das neue Modell auf der Rohkarosserie des Biturbos und Teilen der Bodengruppe des Spyders aufbauen musste, was dem Designer die Arbeit nicht gerade vereinfachte.
Acht statt sechs Zylinder
An Leistung mangelte es dem Shamal nicht. Die Ingenieure in Modena vergrösserten den Zweiliter V6 Motor des Biturbos um zwei Zylinder. Der neue V8 Motor hatte nach dem Eingriff einen Hubraum von 3217 ccm und leistete 326 PS bei 6000 U/min. Der grosse Biturbo mit zwei Ladeluftkühlern gab sein maximales Drehmoment von 436 Nm schon bei 2800 U/min ab, und selbst bei der Höchstdrehzahl von 6000 wurden noch 380 Nm auf die Kurbelwelle gewuchtet.
Dank des kräftigen Drehmomentes bei fast jeder Drehzahl liess sich der Shamal auch schaltfaul fahren, die Tester von "Auto Exklusiv" fuhren sogar oft im zweiten Gang an, und schalteten nicht jede Stufe des manuellen Sechsganggetriebes durch.
Verstellbares Fahrwerk
Für die sportlichen Fahreigenschaften sorgte im Hecktriebler ein Fahrwerk mit McPherson Federbeinen und einem Querstabilisator vorne, während man hinten auf einen Gitterrohr-Querlenker mit Querstabilisator setzte und dem Shamal ein automatisches Sperrdifferential spendierte. Die Teleskop-Stossdämpfer stammten von Koni, und waren mit einer Taste im Cockpit rundum vierfach verstellbar.
Um seine Leistung auf die Strasse zu bekommen, rollte der Shamal vorne auf Reifen der Dimension 225/45 ZR16, und hinten auf 245/45 ZR 16 mit acht und neun Zoll breiten Felgen. Bei optimalen Bedingungen sollte die Höchstgeschwindigkeit 270 km/h betragen, der Spurt von null auf 100 km/h war in 5.3 Sekunden erledigt.
Kompaktsportler
Im Vergleich zu anderen Supersportlern ist der Shamal mit einer Länge von nur 410 cm und einer Breite von 185 cm kompakt geraten, er war fast gleich lang und etwas breiter als der Biturbo.
Im Vergleich mit seinem kleinen Bruder hatte er etwa 300 Kilogramm mehr auf den Rippen, was er aber mit seinem leistungsstärkeren Motor mehr als wettmachte. Ein ABS war beim Shamal nicht an Bord, ihm wurden aber bissige, standhafte Bremsen attestiert.
Musikalischer Auspuff
Selbstverständlich wurde auch der Klang unter die Lupe genommen. Auto Exklusiv schrieb zum Soundtrack: "Das sonore Knurren geht bei rund 5000 Touren in aggressives Bellen über. Wirklich laut ist es im Maserati Shamal aber nie, ganz im Gegensatz zu einem Achtzylinder-Ferrari beispielsweise."
Tristesse im Cockpit
Anfangs wurde der Shamal nur mit schwarzem Lederinterieur ausgeliefert, später gab es auch freundlichere Farben und Holzapplikationen, welche die Plastikzierleisten ersetzten. Die Sportsitze waren knapp geschnitten, und von "auto, motor und sport" in Heft Nr. 8 im Jahr 1992 als unbequem empfunden: "Die schlechten Sitze, die den Eindruck machen, als hätte der Glöckner von Notre Dame bei der Formgebung probegesessen. Mit dicken Wülsten unter den Oberschenkeln sind sie nicht nur sehr unbequem, sondern sorgen auch für eine Sitzposition, die mit der herkömmlichen Auffassung von Ergonomie nichts zu tun hat.". Die Sitze im Fond waren eher eine Gepäckablage als vollwertige Sitzgelegenheiten .
Namensfindung
Seit dem Mistral 1963 wurde bei Maserati stets das schnellste aktuelle Modell im Stall nach einem Wind benannt. Shamal ist ein Nordwestwind, der über Mesopotamien zieht. Dabei kann er Sandstürme verursachen, und ihm wird auch zugeschrieben, Erosionen an den Sandstränden in Dubai zu verursachen.
Mit Lire bezahlen
Den Euro gab es bei der Vorstellung des Shamal noch nicht, und so wies sein Preisschild in Italien die unglaubliche Summe von 125 Millionen Lire aus, die in Deutschland mit DM 149’000 gleichgesetzt wurden. In der Schweiz kostete der Wagen 1992 rund CHF 157’000. Ein Lotus Esprit Turbo SE kostete damals CHF 135'000 (DM 152'100), ein Porsche 911 Turbo CHF 167'000 (DM 183'600) und ein VW Golf GTI CHF 24'950 (DM 30'775)
Während der gesamten Bauzeit von 1989 bis 1995 verliessen nicht einmal 400 Shamal das Werk, und wer sich einen der seltenen Maserati kaufen will, muss aktuell, im Jahr 2020, mit einem Preis von 60-100'000 CHF/EUR rechnen.
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