Gewiss, wenn man den Lombardi Grand Prix 850 von aussen betrachtet, benötigt man schon eine tüchtige Portion Phantasie, um verwandtschaftliche Gene zum Lamborghini Miura zu entdecken.
Doch wer sich in das enge Cockpit zwängt, seine Beine in Richtung der zur Mitte verschobenen Pedale einfädelt und eine fast liegende Sitzposition einnimmt, fühlt sich tatsächlich wie ein Miura-Pilot. Zumindest, bis er den Motor startet ...
Der Pilot Francis Lombardi
Carlo Francesco Lombardi (Francis genannt, 1897-1983) war ein hochdekorierter Kampfpilot im ersten Weltkrieg. In den Dreissigerjahren begann er Flugzeuge zu entwickeln und zu bauen, nach dem Zweiten Weltkrieg stellte er auf den Bau von Sonderkarosserien und Umbauten von Automobilen, vorwiegend Fiat-Modelle, um.
Francis war erfolgreich und konnte bis zu 6’000 Fahrzeuge pro Jahr absetzen. Dies verschaffte ihm auch Luft für Eigenkreationen. Nach dem von der Presse nicht gerühmten Lombardi 850 Monza, einem offenen kleinen Sportwagen mit freistehenden Kotflügeln mit gewissen Ähnlichkeiten zu einen Lotus Super Seven, präsentierte Lombardi auf der Rennwagenausstellung von Turin im Jahr 1968 den Lombardi 850 Grand Prix.
Miura-Anleihen
Das Design des “Grand Prix” stammte von Dottore Giuseppe Rinaldi, der schon seit langem in Diensten Lombardis arbeitete. Mit dem neuen Sportwagen war ihm ein interessanter Wurf gelungen, der sich einiger Designansätze des Lamborghini Miura bediente. So ragten die Türen weit über die Fahrerkabine nach vorne, die Front konnte dank Klappscheinwerfern tief gehalten werden, ein breiter Getriebetunnel und ein mächtiger zentraler Instrumententräger trennte Fahrer und Beifahrer. Und genauso wie beim Miura, gab es auch beim zweisitzigen Lombardi 850 Grand Prix keinen nutzbaren Kofferraum. Was nicht im Cockpit Platz hatte, musste zuhause bleiben.
Die Eleganz eines Miuras erreichte Rinaldis Kreation allerdings nicht. Zwar gefiel die schwungvolle Linienführung mit dem kraftvollen, hochbauenden Heck, aber sobald die Scheinwerfer ausgefahren waren, zeigte der kleine Sportwagen krötenartige Gesichtszüge, was zu Kritik führte.
Die Abmessungen waren kompakt, gerade einmal 3,55 Meter lang war der Sportwagen, die Breite betrug 1,485 Meter, die Höhe war mit 1,065 Metern besonders niedrig ausgefallen. 685 kg wog der Italiener vollgetankt, damit waren eigentlich gute Voraussetzungen für sportliche Fahrleistungen und -eigenschaften gelegt.
Mehr Schein als Sein?
Die technische Basis des Lombardi 850 Grand Prix stammte vom Fiat 850. Fahrwerk, aber insbesondere der Motor waren Fiat-Standard-Teile. Mit 843 cm3 und 47 PS bei 6’400 U/min war die Antriebsseite im Heck des Fahrzeugs nicht besonders üppig ausgefallen.
So fielen denn auch die Fahrleistungen nicht besonders berauschend aus. 16,7 Sekunden brauchten die Tester der Zeitschrift Auto Motor und Sport für den Sprint von 0 bis 100 km/h im Jahr 1970, als Höchstgeschwindigkeit ermittelten sie 153,8 km/h.
Damit liess sich zwar die Fiat-Konkurrenz in Form des 850 Coupé im Rückspiegel behalten, nicht aber ein Opel GT oder ein VW-Porsche 914, die zum Beispiel in Deutschland nur unwesentlich mehr kosteten, aber fast mit der doppelten Leistung aufwarten konnten.
Die ungleichen Drillinge
Allerdings gab es für Leistungsfetischisten Alternativen. Bei Abarth konnte man im selben Anzug einen wesentlich leistungsstärkeren Motor bestellen. Dieser stammte aus dem Fiat 124, wies einen vergrösserten Hubraum von 1’280 cm3 auf und leistete mit Weber-Vergasern immerhin 75 PS. Dann hiess der Wagen allerdings Abarth 1300 Scorpione und kostete rund 30% mehr als die Lombardi-Variante (also anstatt DM 11’450 immerhin DM 14’421, respektive anstatt 11'900 rund 14'600 Franken).
Als Abarth Scorpione SS erhielt der Sportwagen dann auch noch das rennsportlich erprobte Fahrwerk des Abarth 1000 TC Radiale und bewegte sich damit besonders leichtfüssig um die Kurven.
Um noch etwas mehr Verwirrung zu stiften, gab es auch noch Varianten der Marke OTAS (Omologate Turismo Automobile Speciale), die einerseits mit einem kleineren Motor mit 820 cm3 ausgerüstet waren, womit sich die amerikanischen Abgasgesetzgebung unterlaufen liess, andererseits mit einem auf einen Liter Hubraum vergrösserten Motor versehen wurden und entsprechend bessere Fahrleistungen zeigten. Und einige Fahrzeuge tauchten auch unter dem Markennamen Giannini auf.
Die Fahrzeuge unterschieden sich übrigens nicht nur durch die Motorisierung, sondern auch durch Karosseriedetails und in der Innenraumgestaltung. So etwa wies der Lombardi 850 Grand Prix ein kleineres Lenkrad auf als die Abarth-Variante.
Derivat mit Blick zum Himmel
Auf dem Autosalon Turin präsentierte Lombardi ein weiteres Derivat, den Spider Monza. Hierbei handelte es sich um ein geöffnetes Grand-Prix-Coupé mit Targabügel und zwei abnehmbaren Dachhälften. Die Heckscheibe war versenkbar. Dieses Sicherheitscabriolet brachte es allerdings nicht auf nennenswerte Produktionszahlen, mehr als eine Handvoll wurden wohl nicht gebaut.
Immer weniger Kunststoff
Bei der Präsentation des Lombardi 850 Grand Prix strich man noch die Kunststoffkarosserie heraus, die sich beim genaueren Lesen der ersten Verkaufsprospekte als Stahlblechkarosserie mit Kunststoff-Komponenten (Türen, Sitze, Rückwand) entpuppte. Der Materialeinsatz veränderte sich zunehmend über die Zeit, am Schluss waren nur noch die Rückwand und je nach Modell der Motordeckel aus dem leichten Material. Auch an anderen Teilen wurde gefeilt, so erhielten die späteren Modelle verstellbare Lamellen für die Motorbelüftung und schon früh waren die seitlich verschiebbaren Seitenfenster, die Nuccio Bertone so gut gefallen hatten, einer herkömmlichen Konstruktion gewichen.
Nur drei Jahre lange wurde der Grand Prix produziert, im November 1971 vermeldete die Automobil Revue anlässlich der Berichterstattung zum Turiner Automobilsalon, dass das Coupé Grand Prix nicht mehr hergestellt werde.
“Wo auch immer die schnittigen Coupés auftauchen, ziehen sie Blicke auf sich”, resümierte AMS-Tester Werner Schruf am Schluss seines Berichts zum Lombardi und seinem Abarth-Bruder, und daran hat sich bis heute nichts geändert, insbesondere daher, weil die meisten Farben (angeboten wurden 1971 giallo mongolio, verde malesia, verde finlandia, bianco polo, rosso espana, arancio) alleine schon für einen hohen Auffälligkeitsgrad sorgten.
Rennsportfeeling bei gemächlichen Geschwindigkeiten
Jetzt sitzen wir also in diesem gelben (giallo mongolio) Heckmotorsportwagen. Abgesehen von der etwas schräg zur Fahrtrichtung verschobenen Sitz- oder besser Liegeposition fühlt man sich wohl im kleinen Coupé.
Die Rundumsicht ist nicht überragend, die Begrenzungen der Karosserie können nur erahnt werden, was aber bei 3,6 Metern Länge nicht wirklich ein Problem darstellt. In eine Parklücke, die ein moderner ausgewachsener Personenwagen nur dank Einsatz von Sensor- und Radartechnologie entern kann, fahren wir einfach vorwärts hinein.
Der Motor klingt für Fiat-850-Freunde wie ein alter Bekannter, er hängt gut am Gas, aber für sportliche Fahrleistungen kann er nur bedingt sorgen. Man fühlt sich aber trotzdem sofort schnell, dafür sorgen schon die deutliche Geräuschentwicklung, aber auch die rennsportartige tiefe Sitzposition.
Das Getriebe lässt sich gut und ausreichend exakt schalten und auch die restlichen Bedienungsorgane stellen keine Probleme. Nur die Lampen nehmen sich ziemlich viel Zeit, um auszuklappen - schnell Lichthupe geben liegt da nicht drin.
Aber nicht die Autobahn ist das Revier des Lombardi, sondern die einsame und serpentinenartig geschwungene Landstrasse ist das bevorzugte Einsatzgebiet. Dort fühlt sich der Italiener richtig zuhause und da sieht man ihm auch das Leistungsdefizit gegenüber dem stärkeren, aber auch wesentlich teureren Abarth Scorpione nach.
Eine Rarität mit viel Aufmerksamkeitswert
Auffällig viele “Daumen hoch” sehen wir bei unserer Ausfahrt, der kleine Italiener, den kaum jemand kennt, gefällt! Erheblich über 1’000 Exemplare soll Lombardi einst für sich und Abarth/OTAS hergestellt haben, eine gute Hundertschaft dürfte sicher überlebt haben, alleine die Website eines Markenfans (www.francislombardi.org) listet rund 70 Lombardi Grand Prix und etwa 30 Abarth Scorpione.
Die Restaurierung eines derartigen Fahrzeugs dürfte mangels verfügbarer Karosserie-Ersatzteile schnell für rote Köpfe sorgen, entsprechend empfiehlt sich der Kauf eines Fahrzeugs im bestmöglichen Zustand. Rund 25’000 bis 35’000 Euro oder 30’000 bis 40’000 Franken müsste man dafür wohl budgetieren, nicht viel für eine weitgehend von Hand gebaute Rarität, die mindestens so auffällig ist wie ein Lamborghini Miura.
Wir danken der Touring Garage in Oberweningen , die uns den Lombardi 850 Grand Prix zur Verfügung stellte.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 47 / 1969 vom 6. Nov. 1969 - Seite 21: Südländisches Temperament lähmt die Industrie
- AR-Zeitung Nr. 11 / 1968 vom 14. März 1968 - Seite 7: Italienisches Festival der Spezialkarosserien
- AR-Zeitung Nr. 11 / 1970 vom 13. März 1970 - Seite 13: AR-Automobilparade 1970 (IV): Italien
- AR-Zeitung Nr. 49 / 1971 vom 18. Nov. 1971 - Seite 41: Spezialkarosserien für die Kleinserie
- Auto Motor und Sport Heft 22/1970, ab Seite 116: Test Abarth Scorpione/Lombardi Grand Prix
- Hobby Heft 3/1970, ab Seite 20: Test Abarth Scorpione
- Sports Car Graphic Issue 1/1970: Test Abarth Scorpione
- Motor Klassik Heft 9/1993: ab Seite 34: Vergleich Alpine A110, Lotus Europa und Abarth Scorpione
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aus Zeit-und Platzmangel verkauft.
Wenn man die 185 km/h gefahren ist,brauchte man aufgrund der kleinen 850er (Coupe u. Spider) Bremsen eine gefühlte Ewigkeit, bis man das Fzg. zum Stillstand brachte.
Es war aber ein tolles Gefühl, dieses seltene Fzg. zu
fahren.
Da kommt schon Wehmut auf.
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