Die Hauptattraktion am Turiner Autosalon im Mai 1950 war der oder die Lancia Aurelia. Zu jener Zeit wurden die Geschicke der traditionsbewussten Autofirma immer noch von der Familie des Gründers Vincenzo Lancia geführt. Im Konstruktionsbüro aber leitete der begabte Ingenieur Vittorio Jano die Entwicklung des frisch präsentierten Tourenwagen, der die Nachfolge des Modells Aprilia antreten sollte.
Innovative Technik
Grösser, geräumiger, stärker und schneller als ihr Vorgänger sollte die Aurelia werden und trotzdem kompakt und wendig bleiben. Mit einem Radstand von 2,86 Metern und einer Gesamtlänge von 4,42 Metern war dieses Vorhaben geglückt.
Ein neu entwickelter V6-Motor mit 1756 cm3 Hubraum und 56 PS (bei 4000 U/min) löste das Leistungsversprechen ein. Mit einem Winkel von 60 Grad zwischen den beiden Zylinderbänken, Leichtmetallzylinderköpfen und einer über eine Kette angetriebenen zentralen Nockenwelle war er eine innovative Konstruktion.
Für eine optimale Gewichtsverteilung war das Vierganggetriebe an der Hinterachse und mit dem Differential verblockt eingebaut (Transaxle).
Vorne sorgte die über Jahrzehnte verfeinerte Lancia-Einzelradaufhängung für die Radführung, hinten unabhängige Aufhängungen mit schrägen Dreieckslenkern.
Selbsttragend oder Chassisbauweise
Während die Fabrik-Limousine ohne B-Säule selbsttragend konstruiert war, hatten die Lancia-Ingenieure die unabhängigen Karosseriebauer nicht vergessen und boten daher zusätzlich auch Chassis für Spezialkarosserien (“autotelaio”) an.
Als Preis für den italienischen Markt wurden im Mai 1950 Lire 1,83 Millionen für die viertürige Limousine B10, Lire 1,24 Millionen für das Chassis B50 und Lire 2,6 Millionen für das Seriencabriolet mit einer Karosserie von Pinin Farina genannt. Letzteres wurde gleichzeitig präsentiert und es nutzte das im Radstand um fünf Zentimeter längere Fahrgestell.
Zielstrebige Weiterentwicklung
Ein Jahr nach der Präsentation erschien dann auch das zweitürige Coupé B20 GT und die Limousine B21, die nun bereits über einen 1991 cm3 grossen Motor aufwies. Die Leistung stieg mit der zweiten Serie und dem B22 dann auf 90 PS.
Auch die weiterhin verkauften Fahrgestelle profitierten vom grösseren Motor und den anderen Neuerungen, die Version zum Bau von Tourenwagen hiess nun B52 (1952-1953). Gegenüber dem sehr populären B50-Fahrgestell, das es auf 485 produzierte Exemplare gebracht hatte, konnten aber nur noch 98 B52-Chassis verkauft werden, was nicht zuletzt daran lag, dass Lancia ja nun selber ein sehr attraktives Coupé (B20 GT) anzubieten hatte.
Rund 20 dieser Fahrgestelle sollen bei Alfredo Vignale ihren Aufbau erhalten haben. Dort war Giovanni Michelotti für die Linienführung zuständig und die meisten der B52 wurden nach seinen Ideen eingekleidet. Doch es gab eine Ausnahme.
Amerikanisch-Italienischer Design-Hybrid
Der bekannte Rennfahrer (und Kunde Vignales) Felice Bonetto hatte einen Neffen, der gerade zu einer Karriere als Industriedesigner ansetzte. Rodolfo Bonetto, so hiess er, zeichnete auch gerne Autos und einige seiner Entwürfe gelangten - vermutlich via Felice - in die Hand Alfredo Vignales. Offenbar taten die Zeichnungen ihre Wirkung, denn Alfredo entschied, einen der Entwürfe auf Basis des Lancia-B52-Chassis umzusetzen. Er nutzte dazu B52-1054, das Auto wurde noch im Jahr 1953 fertig und es überraschte mit seiner Formgebung.
Das fertige Coupé enthielt sowohl amerikanische Elemente, wie sie Bob Bourke in Diensten von Raymond Loewy für den 51-er und 52-er Studebaker-Jahrgang entworfen hatte, namentlich die Nase aus dem Düsenflugzeug-Zeitalter. Anders als Studebaker nutzte Bonettos Entwurf aber die Öffnung zur Unterbringung eines zusätzlichen Scheinwerfers.
Der restliche Teil der Linienführung orientierte sich eher italienischen Vorbildern, namentlich den Entwürfen Michelottis auf Ferrari-Fahrgestellen.
Wiederverwertung auf Alfa-Basis
Das Endergebnis jedenfalls überzeugte und Vignale war vermutlich so begeistert, dass er den Entwurf gleich noch ein zweites Mal nutzte, als er einen Alfa Romeo 1900 C einkleidete. Die Unterschiede waren tatsächlich minimal und äusserten sich in einem weggelassenen Lufteinlass auf der Kühlerhaube und veränderten Türgriffen.
Bonetto selber blieb dem Automobil nicht lange treu, sondern verschob seinen Arbeitsort von Turin wieder nach Mailand, wo er als Industriedesigner erfolgreich und u.a. lange für Olivetti tätig war.
Unter dem Hammer
Der Lancia B52 mit Bonettos Coupé-Design wird nun am 27. Mai 2017 von RM/Sotheby’s an der Villa Erba Versteigerung in Cernobbio unter den Hammer kommen.
Als Schätzpreis werden EUR 250’000 bis 350’000 genannt, was angesichts der Einmaligkeit eigentlich fast wie ein Schnäppchen tönt. Ob das die Sammler so sehen, wird sich an der Auktion weisen.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 21 / 1950 vom 03.Mai.1950 - Seite 9: Vorstellung Lancia Aurelia
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