Es gibt nur wenige Autos, die es mit dem Ikonen-Status des Lamborghini Miura aufnehmen können. Kaum jemanden lässt dieser erste Supersportwagen kalt. Die Entstehungsgeschichte ist mehr als abenteuerlich. Aber stimmt es, dass der Miura schwierig zu fahren, hochgradig unkomfortabel und ein richtiges Biest ist?
Fast eine Revolution
Die Geschichte, wie der Miura entstand, ist eigentlich bekannt, aber heute fast noch weniger zu glauben als damals. Drei begabte Jung-Ingenieure beim damals noch sehr jungen Sportwagenbauer Lamborghini – Gian Paolo Dallara, Paolo Stanzani und Bob Wallace – machten sich am Feierabend daran, einen Mittelmotorrennwagen zu bauen. Schlussendlich bekam natürlich auch Firmenchef Ferruccio Lamborghini Wind von der Sache und motivierte die drei “Twens” dazu, mehr in Richtung Höchstgeschwindigkeits-Granturismo zu denken statt in Richtung Rennsport.
Bereits am Turiner Autosalon im November 1965 präsentierte Lamborghini das ungewöhnliche Fahrgestell des Mittelmotorsportwagens 400 TP (TP für “trasversale posteriore”, also für einen quer und hinten eingebauten Motor mit vier Litern Hubraum).
Die Tatsache, dass das noch junge Sportwagenunternehmen, welches mit dem 350 GT erst seit einigen Monaten mit einem Frontmotor-Seriensportwagen auf dem Markt war und auf demselben Turiner Salon dazu auch noch mit einer Touring-Spider-Version des 350 GT aufwarten konnte, nun auch noch einen Mittelmotorsportwagen bauen wollte, war eine Sensation.
Die technischen Daten und die Konzeption steigerten die Vorfreude weiter. Schliesslich gab es den Motor zwischen Fahrer und Hinterachse bis zu jenem Zeitpunkt eigentlich nur im Rennsport und erst Honda hatte es beim F1-Monoposto überhaupt gewagt, einen V12-Motor quer hinter dem Fahrer zu positionieren. Weitere Superlative waren die hohe Literleistung, die Maximalleistung von 350 PS, die Höchstdrehzahl von 8000 Umdrehungen und das erwartete Leergewicht von weniger als 1000 kg für das ganze Fahrzeug.
In drei Monaten zum fertigen Auto
Das Fahrgestell, das nicht wie üblich aus einem Rohrrahmen, sondern aus elektrisch verschweissten (zwecks Gewichtserleichterung gelochten) Kastenprofilen bestand, hatte bereits für viel Aufsehen gesorgt, doch noch fehlte eine Karosserie. Diese wurde dann im März 1966 am Genfer Autosalon präsentiert. Ferruccio Lamborghini hatte sich für diese nicht einfache Aufgabe an Bertone gewandt. Und dort hatte eben gerade der noch 27 Jahre junge Marcello Gandini eine feste Anstellung als Nachfolger von Giorgetto Giugiaro angenommen.
Parallel zu anderen Designprojekten, darunter eine Limousine für Simca, den Jaguar FT und einen Porsche 911 Spider, zeichnete er die Linienführung des Lamborghini Miura. Das Design lag am 24. Dezember 1965 vor. Bis zum Genfer Salon wurde durch die Bertone-Blechkünstler von Hand – jeweils in zwei Schichten à 11 Stunden pro Tag – ein präsentierbarer Prototyp aufgebaut.
Kaum je wurde eine Sportwagen-Neuvorstellung stärker beachtet! Und an Konkurrenz mangelte es in Genf nicht. Pininfarina zeigte beispielsweise das Coupé Alfa Romeo Giulia Sport Speciale, General Motors das Experimentalcoupé Vauxhall SVR. Beides atemberaubende Entwürfe.
Bereits vor dem Autosalon hatte die Automobil Revue einen ganzseitigen Bericht zum nun “P 400 Miura” (mit Bezug auf eine besondere Stierenart mit besonders aggressivem Verhalten in der Arena) genannten Sportwagen abgedruckt. Darin wurden viele konstruktive Details enthüllt und auch auf die zahlreichen technischen Probleme (und Lösungen dazu) wurde hingewiesen.
Der erste Supersportwagen
Der in Genf präsentierte Lamborghini Miura, erste Bestellungen waren schon nach der Präsentation des Chassis in Turin notiert worden, stellte die gesamte kommerziell verfügbare Sportwagen-Elite in den Schatten. Mit einem versprochenen Leistungsgewicht von 2,8 kg pro PS bewegte man sich auf Rennwagenniveau. Mit einer Höhe von 105 cm war der Miura 11 cm niedriger als der Maserati Ghibli und der Ferrari 275 GTB/4 überragte den Lambo sogar um 15 cm. Und natürlich hatte die Konkurrenz den Motor vorne und nicht in der Mitte.
Auch Einzelradaufhängungen mit Trapezdreieckslenkern rundum waren keineswegs Standard Mitte der Sechzigerjahre. Optisch wirkte die Miura-Karosserie mit den aufklappbaren Enden vorne und hinten sowieso wie ein Konzeptfahrzeug und kaum wie ein Seriensportwagen.
Sportlich
Etienne Cornil war einer der ersten, die Messfahrten mit einem offensichtlich gut gehenden Miura unternehmen konnten. Er stoppte 5,1 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h und eine Spitze von 266,6 km/h (viel Verkehr). Spätere Testfahren kamen zwar auf etwas höhere Spitzengeschwindigkeiten, aber die versprochenen 300 km/h erreichte kein Miura. Zudem liessen sich auch die 0-100-km/h-Zeiten nicht bestätigen. Aber supersportlich war der Miura trotzdem und die Konkurrenz konnte es kaum schneller.
Und schon 1966 sprach man von einer leistungsgesteigerten “S”-Version, die mit höherer Verdichtung und gesteigertem Vergaserquerschnitt auf 430 PS kommen sollte. Zudem wurde gemäss damaliger Berichterstattung auch an einer Einspritz-Variante gearbeitet.
Aber eigentlich liess schon die “normale” P400-Version kaum Wünsche offen, wie die Automobil Revue anlässlich von Probefahrten im Frühling 1967 feststellen konnte:
“Ein Leistungsgewicht von weniger als 3 kg pro PS ist ein Rennwagen-Wert. So liessen wir uns den Miura zuerst vom Nebensitz aus vorstellen. Am Steuer sass der aus Neuseeland stammende Testfahrer der Marke Bob Wallace. Beeindruckend das horrende Beschleunigungsvermögen, die ganz geringe Kurvenneigung auch bei schnellster Kurvenfahrt, die dennoch nicht überaus harte Federung. In kurzstückigen Vielecken und nicht in gestreckter Linie fuhr Bob den Miura um die Kurven”, konnten AR-Leser damals lesen.
Kunden als Testfahrer
Ganz ausgereift war der Lamborghini Miura noch nicht, als die ersten Kunden ihren Wagen für DM 75’600 oder CHF 67’000 in Empfang nehmen konnten. Fehlende Werks-Testkilometer wurden dann von den Besitzern wettgemacht und einige machten wohl nicht die besten Erfahrungen mit dem Mittelmotorsportwagen. So forderte der gemeinsame Ölkreislauf für Motor und Getriebe genauso sein Tribut, wie sich der je nach Benzinstand verschiebende Schwerpunkt. Das Fahrgestell erwies sich als nicht steif genug und nicht nur ein Miura fand auch den Feurertod.
Das Werk reagierte, verbesserte den Sportwagen kontinuierlich. Nach weniger als 100 Exemplaren wurde das Chassis verbessert, beim P 400 S, der 1968 offiziell eingeführt wurde, gab es 20 Mehr-PS und einige Komfortverbesserungen und für den P 400 SV mit nun 385 PS schliesslich gab es ab 1971 getrennte Schmierkreisläufe für Motor und Getriebe.
Insgesamt wurden rund 770 Miura-Varianten gebaut bis 1973, 275 davon gehörten zur ersten Serie.
Che bella!
“Blu Miura” heisst die blaue Farbe, in der der Lamborghini Miura P400 mit Chassisnummer 3604 im Juli 1968 an den ersten Kunden ausgeliefert wurde. Er bezahlte CHF 58’000 für den Wagen. Beim Vertragsabschluss mit der Firma Foitek hatte er einen Rabatt von 9000 Franken auf den Neupreis ausgehandelt und sogar noch sichergestellt, dass der Händler den Wagen ein Jahr später wieder für CHF 45’000 zurücknehmen würde, vorausgesetzt der Miura sei in einwandfreiem Zustand und maximal 10’000 Kilometer gefahren worden. Tatsächlich trennte sich der Erstbesitzer sogar bereits nach rund neun Monaten vom blauen Miura, um einen wiederum blauen P 400 S zu übernehmen.
Noch heute befindet sich der blaue Miura in der Schweiz und er präsentiert sich so, wie er damals die Fabrik verlassen hat, sprich mit einem beige-farbenen Interieur, inzwischen vermutlich rund 33’000 km gelaufen.
Atemberaubend, schon im Stand schnell, mit wunderschön geschwungenen Linien, eng geschnittenen Radhäusern und spannenden Details steht er vor uns. Kein Wunder verfielen ihm damals der Jazz-Trompeter Miles Davis, Sänger Frank Sinatra, Operndiva Grace Bumbry oder Rocker Eddie Van Halen.
Der geduckt dastehende Miura beeindruckt aus jeder Perspektive, lässt mit seinem aus heutiger Sicht zierlichen Ausmassen (Länge x Breite x Höhe: 436 cm x 176 cm x 105 cm) andere Autos riesig erscheinen. Ob man da als Durchschnittseuropäer überhaupt Platz hat?
Quelle musica - Symphonie für zwölf Zylinder
Arg viel grösser als 1,8 Meter sollte man schon nicht sein, will man noch etwas Kopffreiheit haben im Lamborghini Miura. Der Einstieg allerdings ist deutlich einfacher als bei manchem anderen Sportwagen und schnell findet man sich im umfangreich instrumentierten Cockpit wieder. Die Sicht nach vorne ist trotz der tiefen Sitz-/Liegeposition gut, nach schräg hinten und zum Heck hin aber deutlich eingeschränkt.
Der Motor wird per Zündschlüssel links von der Schaltkulisse gestartet. Und sofort setzt ein melodisches Konzert von Ansaugzischen, Verbrennungstakten und mechanischen Geräuschen ein, dem man sich kaum entziehen kann, auch deshalb nicht, weil nur eine Plexiglasscheibe zwischen der Besatzung und dem Motor für Trennung sorgt.
Damals wurde kritisiert, dass Gespräche oder Radiohören ab 120 km/h schwierig seien, heute kann man sich kaum vorstellen, warum man sich beim Geniessen des Zwölfzylinders von einem krächzenden UKW-Radio stören lassen möchte.
Überraschend handzahm!
Viel wurde geschrieben von einer unmöglichen Sitzposition, kräftezehrender Kupplung oder lastwagenmässigem Schaltgetriebe. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Tatsächlich lässt sich ein gut sortierter Miura überraschend zivil fahren. Natürlich helfen trainierte Waden beim Kuppeln und das Getriebe verlangt nach einer kundigen Hand sowie je nach Situation nach gezielten Zwischengas-Stössen oder Doppelkuppeln.
Aber wenn man sich an den Supersportler gewöhnt hat, sind eigentlich keine besonderen Vorkehrungen nötig, um den Wagen flüssig zu bewegen. Dies konnten wir bereits vor einem Jahr anlässlich einer 400-km-Fahrt in einem anderen Miura erfahren. Die Lenkung ist deutlich leichtgängiger bei normalen Geschwindigkeiten als man es, angesichts der fehlenden Servounterstützung, erwarten würde.
Die 70-er-Reifen rollen vergleichsweise komfortabel ab und auch die Bremse reagiert feinfühlig und ohne Radau.
Das Drehvermögen des Motors beeindruckt noch heute, schon bei tiefen Drehzahlen beginnt der Motor ruckfrei an Kraft zu gewinnen, sperrt sich auch nicht gegen Bummeltempi mit 1500 U/min. Gleichzeitig sind die Kraftreserven selbst heute noch überdurchschnittlich. Wie dieser Wagen von 60 auf 140 km/h beschleunigen kann, begeistert, zumal die Geräuschkulisse dabei zum Besten gehört, was im Automobilbau je kreiert wurde.
Alltagstauglich? Na, ja …
Es soll ja damals Leute gegeben haben, die ihren Miura im Alltag eingesetzt haben. Und tatsächlich wäre dies mit etwas Feingefühl auch heute noch möglich. Allerdings ist zu sagen, dass sich die Nadel der Geschwindigkeitsanzeige erst ab 40 km/h überhaupt zu bewegen beginnt. Da kann man in der Schweiz bereits 120 Franken wegen zu hohem Tempo in der Tempo-30-km/h-Zone los sein.
Parkmanöver bringen einen genauso zum Schwitzen wie Fahrten bei hohem Sonnenstand. Einfamilienhausquartier-freundlich ist der Miura wegen seinen Lautäusserungen auch nur bedingt und für Gepäck gibt es nur einen kleinen Stauraum hinter dem Motor, der sich zudem aufheizt. Schokolade sollte man darin jedenfalls nicht transportieren.
Aber für den Alltag ist ein Miura heutzutage natürlich viel zu schade. Lieber präsentiert er sich auf dem Concours-Parkett, zeigt seine aufreizenden Wimpern rund um die Klappscheinwerfer und die berühmten Heckstoren, die zwar später auf manchem optimierten Capri oder Scirocco zu sehen waren, dort aber immer noch nach ihrem Vorbild, dem Miura, benannt wurden. Aber richtig zur Geltung kommt der Schönling trotzdem erst in Fahrt. Und wie! Wer einen Miura besitzt, der braucht eigentlich kein anderes Auto mehr …
Der blaue Lamborghini Miura P 400 von 1968 wird am 17. Oktober 2020 von der Oldtimer Galerie Toffen versteigert . Nur selten kommen derartig originale Miura-Exemplare mit nachvollziehbarer Geschichte auf den Markt. Und nur wenige davon sind in einer Farbe lackiert, die gleich heisst wie der Sportwagen selber, eben “Blu Miura”.
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen für die Gelegenheit zur Probefahrt.
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Aber auch bei anderen Anbauteile griffen die Hersteller von Exclusiv-Modellen auf die Grosserie zurück. Beispiel: Türgriffe vom Dino GT4 sind vom Fiat X1/9. Lenkstockhebel diverser Ferrari 308 ,328, 348 etc. sind vom Alfa33 etc; etc.
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