Stehen auf einem Parkplatz drei Lamborghini, ein Miura, ein Espada und ein Islero, alle würden sich auf den Miura stürzen und ein paar Kenner als nächstes den Espada beträchten. Der Islero dagegen fiele kaum auf.
Genauso war es auch auf dem Genfer Autosalon im März 1968 als der Lamoborghini Islero erstmals öffentlich gezeigt wurde. Obwohl es sich um ein neues Modell handelte, stand er im Schatten des bereits bekannten und des (ebenfalls neuen) Espada.
Dabei kam ihm eigentlich eine wichtige Rolle zu, er musste nämlich den 400 GT 2+2 ablösen, den klassischem Granturismo im Hause Lamborghini, der wiederum bis auf den ersten Sportwagen aus Sant’Agata, den 350 GT, zurückging.
Jene Linie von Sportwagen entstand mit Karosserien von Touring, doch diese Manufaktur hatte inzwischen die Türen schliessen müssen, also musste sich Ferruccio Lamborghini nach einem neuen Partner umsehen.
Neuer Karosseriebauer
Als Nachfolger von Touring wählte man die Carrozzeria Marazzi in Mailand, bei der nicht nur etliche ehemalige Mitarbeiter von Touring Unterschlupf gefunden hatten, sondern wohl auch diverse Holzböcke und Formen zur Verarbeitung von Blech.
Jedenfalls war der Islero nicht gänzlich neu. Vom Vorgänger übernahm er unter anderem Türen und Kotflügel (?), vor allem aber die Chassiskonstruktion und den Antriebsstrang.
Hybriddesign
Weil die Formengestalter von Marazzi, das Design des Islero wird gemeinhin Federico Formenti zugesprochen, der Evolution und Verbesserung des Vorgängers verpflichtet waren, wirkt die fertige Karosserie nicht ganz homogen. Während im Vorderbau rundliche Formen dominieren, wirkt das Heck und vor allem der Dachbereich relativ eckig. Dank niedriger Gürtellinie und einer relativ kurzen Haube resultiert dafür eine gute Übersichtlichkeit, zumal der Wagen mit 422,5 cm Länge und 173 cm Breite vergleichsweise kompakt gebaut war.
Die bescheidenen Dimensionen wirkten sich auch positiv auf das geringe Leergewicht aus, das mit 1270 kg angegeben wurde.
Bewährte Technik
Unter der Haube füllte der V12-Liter-Vierliter aus dem 400 GT 2+2 den Raum gänzlich aus. Dank erhöhter Verdichtung auf 9,5:1 leistete er nun 320 PS bei 6500 Umdrehungen. Ausgerüstet mit sechs Horizontal- Doppelvergaser der Firma Weber und vier Nockenwellen bot der Leichtmetallmotor alles, was man sich damals vorstellen konnte.
Die Kraft wurde über ein ZF-Fünfganggetriebe an die Hinterachse übertragen. Als Fahrgestell diente ein Gitterrahmen aus Quadratrohren, alle vier Räder waren einzeln an Trapezdreieckslenkern mit Schraubenfedern aufgehängt. Gebremst wurde mit vier Girling-Scheiben, gelenkt via Schnecke und Sektor, aber ohne Servounterstützung.
Begeisterung und Kritik
Etienne Cornil nahm sich noch im Jahr 1968 für die Automobil Revue den Islero in einem Kurztest vor. Zu jenem Zeitpunkt verliess pro Tag bereits ein Islero das Werk, während der Espada noch nicht einmal in Serie gegangen war. Und der Islero produzierte ausgezeichnete Fahrleistungen. Von 0 bis 100 km/h beschleunigte das fahrfertig 1370 kg schwere Coupé in nur gerade 6,3 Sekunden, als Spitze wurden 255 km/h gemessen. Damit kam er dem Miura ziemlich nahe, war aber deutlich praktischer und alltagstauglicher.
Noch mehr beeindruckt als von den reinen Fahrleistungen zeigte sich Cornil von Laufverhalten des Motors:
“Dazu muss vermerkt werden, dass wir noch nie zuvor einen Wagen solch hoher spezifischer Leistung — mehr als 81 PS/Liter — fahren konnten, der in allen Drehzahlbereichen die gleiche volle Kraft fühlen liess. Sein Drehzahlanstieg bei Vollgas geschieht in jedem Fall mit derartigem Temperament, dass man weder spürt, wo das höchste Drehmoment (bei 4500 U/min) liegt, noch irgendein Anzeichen für das Nachlassen der Leistung bei Überdrehzahlen merkt.”
Doch es war nicht alleine der Motor der überzeugte, auch dem Fahrverhalten wurde viel Lob gezollt:
“Da der Islero gegenüber seinem Vorgänger kompakter und leichter ausfiel, zeigt er sowohl in der Handlichkeit als auch im Fahrverhalten Qualitäten, die vor allem auf gewundenen Landstrassen helle Begeisterung erweckten. Wie es sich für einen modernen Reisewagen dieser Leistung gehört, ist der Lamborghini Islero ein typischer Untersteurer, mit Hilfe der Differentialbremse jedoch reicht die Motorleistung in den unteren Gängen fast immer, die Hinterachse zum «Driften» zu bringen, um den Wagen wunschgemäss in der Kurve zu plazieren. Die auf diese Weise erreichten Kurvengeschwindigkeiten sind beeindruckend, das Fahrverhalten bleibt immer sicher und problemlos."
Der perfekte Granturismo also? Nicht ganz. Es gab auch Tadel, der insbesondere mit der Fertigungsqualität, aber auch einigen Ergonomiemängeln zu tun hatte:
“Leider entspricht die Innenausstattung nicht dem Bild und der Klasse des Wagens. Die Sitze sind nicht ausreichend geformt — sowohl quer als auch in Längsrichtung. Die Sitzposition am Steuer ist wenig bequem (obwohl besser als bei seinem Vorgänger). Dies ist gleichermassen den Pedalen, dem Steuer und dem Sitz anzukreiden, die weder auf der gleichen Achse liegen noch in idealem Abstand zueinander stehen. Zudem ist das innere Finish wie auch die Ausstattung nicht auf dem Niveau, das man von einem Reisewagen dieses Formats, der mehr als 6,5 Millionen italienischer Lire kostet, erwartet.”
Diese 6,5 Millionen Lira bedeuteten in der Schweiz CHF 54’000 und in Deutschland DM 51’620. Damit lag der Preis deutlich tiefer als bei Konkurrenten wie dem Maserati Sebring oder dem Ferrari 365. Trotzdem wurde das Coupé kein Verkaufserfolg, vielleicht, weil die Leute bei Lamborghini eben doch an Miura an Espada, nicht aber an einem praktischen Granturismo mit Alltagsqualitäten dachten.
Schneller mit dem “S”
Nach gut einem Jahr jedenfalls rüstete Lamborghini nach. Die Verdichtung des Motors wurde ein weiteres Mal angehoben, mit 1:10,4 produzierte der V12 nun 350 PS bei 7700 Umdrehungen. Gleichzeitig renovierte man die Karosserie und das Interieur des nun Islero 400 GTS genannten Sportwagens. Geändert wurden die Front (horizontale Luftaustrittsöffnungen an den Flanken, eine vergrösserte Lufthutze auf der Motorhaube, in die Frontverschaltung eingelassene Nebellampen), die Kotflügel (ausgeweitete Radauschnitte) und einige weitere Details. So gab es nun vordere Dreiecksfenster und runde seitliche Blinkerleuchten.
Auch im Innern wurde da und dort etwas verbessert, bei der Technik griff man auf Komponenten des Espada zurück. Im Grossen und Ganzen war der Islero auch als “S” aber der gleiche geblieben.
Ab April 1969 wurde er gebaut, der Preisaufschlag für die 30 PS hielt sich mit CHF 2500 (in der Schweiz) in Grenzen.
Doch die Karriere sollte schon bald ein Ende haben, denn bereits im März 1970 stand der Nachfolger Jarama auf dem Genfer Autosalon.
Filmerprobt
Roger Moore bringt man gerne mit den James-Bond-Filmen in Verbindung. Seinen gemäss eigenen Aussagen besten Schauspieler-Job aber lieferte er im Streifen “The Man Who Haunted Himself”.
Und eben in diesem Film fuhr er als Alter-Ego einen Lamborghini Islero S – minutenlang.
Wie das aussah, kann man in einem Zusammenschnitt sehen:
Eine Rarität geblieben
Gerade einmal 225 Islero-Coupés wurden von 1968 bis 1969 gebaut, gut die Hälfte (125) davon verfügten über die schwächere Maschine, die restlichen 100 kamen als Islero S zur Welt. Etwa 120 bis 170 davon dürften heute noch existieren, zu Gesicht kriegt man das rare Modell allerdings kaum je. Selbst vom Miura fahren deutlich mehr Exemplare auf unseren Strassen.
Der rote Islero S von 1969 mit Chassis-Nummer 6531 wird am Freitag, den 16. August 2019, bereits zum zweiten Mal innert vier Jahren von RM/Sotheby’s an der Monterey-Auktion versteigert.
USD 275’000 bis 325’000 sind geschätzt, was gegenüber 2015 zwar weniger Geld ist, aber immer noch einen erheblichen Betrag für einen 2+2-sitzigen Lambo darstellt. Mitte August 2019 werden wir dann auch wissen, wie das die Bieter gesehen haben.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 9 / 1968 vom 29.Feb.1968 - Seite 33: Lamborghini 400 GT in neuer Form
- auto motor und sport / Nr. 7 / 1968 - Seite 27: Genfer Salon 1968
- AR-Zeitung Nr. 47 / 1968 vom 31.Okt.1968 - Seite 47: Kurztest Lamborghini Islero
- AR-Zeitung Nr. 27 / 1969 vom 19.Jun.1969 - Seite 33: Lamborghini Islero verfeinert
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