Wer es gegen Ende der Sechzigerjahre zu etwas gebracht hatte und es sich vom Status her leisten konnte, ein etwas extravaganteres Fahrzeug zu kaufen, aber nicht auf vier vollwertige Sitzplätze und Sportlichkeit verzichten wollte, der kam am Lamborghini Espada eigentlich nicht vorbei. Er wollte vermutlich am heissblütigen Stier aus St. Agata gar nicht vorbeikommen, denn wer seinen heiseren Atem einmal gefühlt hatte, der wollte keinen Tag mehr ohne ihn weiterleben.
Ein Entscheid des Herzens
Der Kauf eines Lamborghini Espada war kein Ergebnis eines Kalküls, jeder Buchhalter hätte sicher sofort abgeraten. Espada-Käufer hörten auf ihr Herz, nur so konnten sie, wie verliebte Jünglinge, über die Schwächen des gekauften Luxus-GTs hinwegsehen.
Dies lässt sich am besten demonstrieren, wenn man zwei Testberichte aus dem Jahr 1968 vergleicht, die, fast zur gleichen Zeit entstanden, doch zu völlig unterschiedlichen Erkenntnissen führten.
Da war auf der einen Seite Philippe de Barsy, der für die Zeitschrift Motor Revue schrieb. Er hatte schon die Vorgänger gefahren und war der Marke sicher zugetan. Als Probewagen erhielt er den goldenen Espada vom Genfer Automobilsalon und vermeinte grosse Entwicklungsschritte gegenüber der Vorserien-Variante zu bemerken. “Dieser Wagen scheint bereits in 500 oder 1000 Exemplaren zu existieren, so sehr beeindruckt die Qualität der Konstruktion; nicht das leiseste Klappergeräusch in der Karosserie, keine Mängel an der Ausstattung, keinerlei strukturelle Schwächen”, so notierte de Barsy und die Schreiberlinge des amerikanischen Magazins “Road & Track” hätten wohl ihren Augen nicht getraut, wäre ihnen dieser deutsche Text unter die Augen gekommen. Denn sie waren mit der Montagequalität des Interieurs überhaupt nicht glücklich und monierten, dass bei beiden gefahrenen Wagen die Klimaanlagen nicht funktionierten oder ihren Dienst aufgaben.
Auch die Fertigungsqualität der Karosserie überzeugte die Amerikaner nicht. Und sie waren auch nach längerem Unterlagenstudium und unzähligen Versuchen nicht in der Lage, alle Funktionsschalter am Armaturenbrett korrekt und mit der erwarteten Wirkung zu bedienen, während de Barsy vom “Fehlen jeglicher Verspieltheit” und von “einem Meisterstück sinnvoller Ausstattung” sprach.
Modernes und impressives Design
Einig waren sich aber die Herren dies- und jenseits des Atlantiks, dass Lamborghini, respektive Bertone/Gandini mit dem Espada ein grosser Wurf gelungen war. Auf der Grundfläche, die knapp unterhalb der eines Mercedes-Benz 280 SE Coupés lag, hatte Marcello Gandini wie schon beim Showcar Marzal eine unglaublich kraftvolle Sportwagenform gezeichnet, wie es sie ausserhalb der Welt der Konzeptfahrzeuge kaum vergleichbar gab.
Die geringe Höhe von 1,183 Metern halfen zusammen mit der Breite von 1,814 Metern natürlich dabei. Aus heutiger Sicht muss der Espada sogar als richtig kompakter Wurf gelten, denn ein heutiges Maserati-Coupé ist bedeutend grösser und nur wenige moderne Granturismo-Fahrzeuge kommen mit einer Länge von 4,773 Metern aus.
Dass es Gandini trotzdem gelang hinter dem grossen Motor - auf den kommen wir noch - vier Personen vor der Hinterachse halbwegs kommod unterzubringen, darf man durchaus als Meisterleistung betrachten.
350 Pferdestärken für den Stier
War es nicht die Form, die einen potentiellen Käufer überzeugte, dann war es sicher der Motor. Zwölf Zylinder in V-Anordnung wurden durch das von sechs Weber Horizontal-Doppelvergasern aufbereitete Luft-Treibstoff-Gemisch in Bewegung gesetzt, während die 24 Ventile gesteuert durch vier obenliegende Nockenwellen dafür sorgten, dass alles geordnet hinein- und wieder herausströmte.
Das Ergebnis waren 325, ab Serie 2 350 PS, die bei vergleichsweise zivilen 6’500 Umdrehungen abgegeben wurden. Das grösste Drehmoment des Voll-Aluminium-Aggregats betrug fast 400 Nm. Übertragen wurde die Leistung über ein Fünfganggetriebe auf die Hinterachse.
Der Gitterrohrrahmen mit Einzelradaufhängungen an allen Ecken entsprach damals der Lehre der Sportwagenbauer, genauso wie die verbauten Scheibenbremsen. Nur die Lenkung über Schnecke und Rolle war vielleicht schon damals etwas überholt. Die damaligen Testfahrer hatten an der Technik aber (mit Ausnahme der Bremswirkung und der fehlenden Servounterstützung der Lenkung) kaum etwas auszusetzen und sie hielten auch die Werksangabe von 245 km/h für den Anderthalbtonner durchaus für realistisch.
Ansichtssache Preis
7,8 Millionen Lire wollte Bertone für den Espada 1968 verlangen. De Barsy fand, dies sei ein interessantes Angebot, während er viele europäische Limousinen als für das Gebotene viel zu teuer einschätzte. Die Amerikaner fanden die USD 21’000 in Anbetracht der Verarbeitungsmängel doch etwas gar unbescheiden.
Hierzulande verlangte der Händler dann im Jahr 1968 67’000 Franken, immerhin den siebenfachen Preis einer Alfa Romeo Giulia TI, die denselben Transportauftrag von vier Personen in einer ähnlichen Zeitspanne abwickeln konnte.
Der grosse Unterschied
Doch eine Giulia war halt kein Espada. Und der Kauf wie schon gesagt keine Frage nüchterner Abwägungen. Denn wenn man sich hinter das etwas flach stehende Lenkrad eingefädelt hatte, die Pedale ertastete und dann mit dem Zündschlüssel den Anlasser kurz drehen liess, dann war es mit der Vernunft vorbei. Was sich nun als ein Gemisch von Ansauggeräuschen und Auspufftrompeten hören liess, verglich man einer mit symphonischen Werken begnadeter Künstler. Und so ganz falsch lag er damit nicht.
Selbst heute, wo ganze Heerscharen von Tonmeistern modernen Motoren mit Klappensystemen und Einbaulautsprecher, sowie jeder Menge Elektronik, eine attraktive Aussprache beizubringen versuchen, beeindruckt der Lamborghini-Soundtrack über alle Masse.
An der nächsten Kreuzung schnellen alle Köpfe wie bei einem Tennismatch herum, wenn mit einem kurzen Zwischengas-Stoss der erste Gang eingelegt wird. Mehr Aufmerksamkeit kann man sich nicht wünschen. Die Buben am Strassenrand rennen dem Fahrzeug nach, um den Markennamen zu entziffern. “Lamborghini” raunen sie beeindruckt.
Die Optik tut natürlich ihr übriges zum Auftritt bei, vor allem auch, wenn sie nicht durch eine graugetönte Metallicfarbe gedämpft wird, sondern durch einen kräftigen Rotton noch unterstützt wird. “Seht her, ich bin ein heisser Lamborghini”, scheint der Wagen zu brüllen.
Schweisstreibende, aber befriedigende Arbeit
Natürlich ist auch heute noch das Fahren eines Espada keine Angelegenheit von zwei Fingerspitzen, besonders wenn die Lenkung mit eigener Muskelkraft bewegt werden soll, weil die Servopumpe fehlt. Alles will mit Nachdruck bewegt werden, auch die Bremse und die Schaltung, obschon die Präzision durchaus zu überzeugen weiss.
Aber das Fahren mit dem Lamborghini hat etwas unerhört Befriedigendes, denn man fühlt sich als Herr im Wagen, spürt sofort die Reaktionen des Wagens, kann jederzeit seinen Lautäusserungen horchen und geniesst das Archaische, dass dieser Stier aus Santa Agata ausstrahlt.
Nur für den Alltag möchte man ihn vielleicht nicht mehr einsetzen, dazu ist er ja auch zu schade, denn insgesamt wurden von 1968 bis 1978 gerade einmal 1’224 vierplätzige Lamborghini Espada gebaut. Da lohnt es sich doch, die Überlebenden ein wenig zu schonen, damit auch spätere Generationen noch in den Genuss ihrer Präsenz kommen dürfen.
Der für diesen Bericht portraitierte Lamborghini Espada der Serie 2 aus dem Jahr 1970 wurde am 8. Juni 2013 anlässlich der Dolder Classics durch die Oldtimer Galerie Toffen versteigert .
Weitere Informationen
- Motor Revue Nr. 3/1968, ab seite 20: Test Lamborghini Espada
- Road & Track Heft Juli 1969: Lamborghini - Combining family sedan virtues with exotic GT performance and styling
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- die tollen Zentralverschlussfelgen von Cromodora sind viel hübscher als die späteren Lochfelgen der Serie 3 ! - wobei ein Espada aus meiner Sicht nicht in Rosso Corsa lackiert sein sollte ... aber Farben sind sowieso Geschmacksache ...
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