Es gibt Autos, von denen weiss man alles. Sie wurden damals wie heute in vielen Zeitschriften portraitiert, an Ausstellungen und Auktionen herumgezeigt. Wieder und wieder. Das heute gelb-weisse Ford-Coupé mit Ghia-Aigle-Karosserie von 1956 gehört nicht dazu.
Nur wenig ist dokumentiert, um Licht über seine Entstehung und Geschichte zu werfen. An seinem Aufbau fehlen heute die typischen Insignien des Erbauers, selbst sein Designer kann nicht zweifelsfrei benannt werden. Sicher aber ist, dass das Auto als Einzelstück entstand und dass es auf einer Ford-Mechanik basiert.
Ghia Aigle - Schweizer Handwerk mit italienischen Einflüssen
Die schweizerische Ghia Aigle S.A. wurde am 30. April 1948 gegründet, der Zusammenhang mit eigentlich italienischen Ghia ist heute nicht mehr ganz klar. Jedenfalls hatten die Italiener keine Anteile, aber sie sandten Facharbeiter in die Westschweiz, um Wissen zu transferieren.
In Aigle entstanden immer wieder aufsehenerregende Kreationen, so etwa drei Ferrari Sportwagen auf den Fahrgestellen des 212 Export, 212 Inter und 195 Inter. Gezeichnet wurden die Entwürfe jeweils von Giovanni Michelotti, der ab 1951 für Ghia Aigle arbeitete.
Am Genfer Autosalon waren immer wieder elegante Spezialkarosserien zu bewundern, so ein Jowett Jupiter Cabriolet im Jahr 1951, ein Lancia Aurelia Cabriolet im Jahr 1952, ein MG TD Cabriolet oder ein Bristol 401 Coupé im Jahr 1953.
Am 1. Januar 1955 wurde der Firmensitz von Aigle nach Lugano transferiert, wovon die neue Marke “Ghia-Aigle Lugano” kündete. Aus der Lugano-Periode, die bis im April 1958 dauerte, stammten unter anderem sechs Coupés und Cabriolets auf Alfa-Romeo-1900-Basis.
Ende der Fünfzigerjahre wurde Pietro Frua zum Hausdesigner von Ghia-Aigle. In der Folge konnten auch Karosserieteile für das von Frua gezeichnete Lloyd Alexander TS Coupé geliefert werden. Aber die Zeit der grossen Carrossiers war zu Ende und ab 1960 beschränkten sich die Tätigkeiten von Ghia-Aigle auf Lieferwagen und Unfallreparaturen.
1988 war endgültig Schluss und im Jahr 2010 wurde das bis dahin bestehende Firmengebäude durch einen Neubau ersetzt.
Coupé-Eleganz für vier Personen
Carrossiert wurde der Ford im Jahr 1956 bei Ghia-Aigle in Lugano. Zu jener Zeit war Giovanni Michelotti der Hausdesigner von Ghia-Aigle, man kann also davon ausgehen, dass auch die Form des Ford-Coupés seine Handschrift trug. Charakteristisch für das ursprünglich sand-beige Coupé ist die riesige Panorama-Windschutzscheibe, die sich bis weit hinter das Lenkrad wölbt und von einer massiven Sonnenblende als Blendschutz nach oben abgedeckt wird.

Der Dachpavillon sieht anderen Ghia-Aigle-Kreationen jener Jahre, zum Beispiel dem Studebaker Champion von 1955, ähnlich. Auch das Heck der beiden Amerikaner ist ähnlich gestaltet und findet sich auch an anderen Ghia-Aigle-Karosserien für BMW- und Bristol-Fahrgestelle wieder. Die Front wiederum erinnert an damalige Fiat- und Ferrari-Karosserien.
Typisch für das Coupé ist die weit hinten angeordnete A-Säule und dementsprechend kurze Türen, die zusammen mit der Panoramascheibe den Einstieg mühsam gemacht hätten. Doch hier ersann man in Lugano einen ganz besonderen Mechanismus.
Innovative Sitzmechanik
Wer die Wagentüre öffnet oder schliesst erschrickt erst einmal über den Effekt, den er auf die Vordersitze hat. Diese sind nämlich mit einem Mechanismus direkt mit den Türen verbunden.
Werden diese geöffnet, schiebt sich der Sitz nach hinten, werden sie geschlossen, fährt der Sitz mechanisch wieder nach vorne.
Noch etwas komischer fühlt sich dies an, wenn man selber im Auto sitzt und die Türe bewegt wird. Was an sich eine interessante Idee war, entpuppt sich allerdings als nicht unbedingt praktisch, wenn man nach hinten steigen möchte. Da bei geöffneter Türe die Sitze hinten sind, gelingt der Zustieg nach hinten nur beweglichen Leuten. Umgekehrt aber fährt der Sitz bei schliessender Türe soweit nach vorne, dass man als Fahrer fast zu nahe ans Lenkrad geschoben wird.
Verstellen kann man den Mechanismus nur über eine Veränderung an der Übersetzung. Auf jeden Fall sollte man darauf verzichten, seiner Herzdame auf dem Beifahrersitz die Türe allzu dynamisch zu schliessen, wenn man verhindern will, dass sie mit dem Kopf gegen die Frontscheibe knallt.
Robuste Ford-Technik
Unter der durchaus eleganten Carrosserie sorgte ein Ford-Fahrgestell für Stabilität. Der massive Kastenrahmen mit mehreren Quertraversen bot zusammen mit den vorderen Einzelradaufhängungen und der hinteren Starrachse eine robuste Basis für die Spezialcarrosserie.
Als Motor war der damals erhältliche V8-Motor mit 4457 cm3 montiert, der bei einer Kompression von 7,6:1 164 SAE-PS bei 4400 Umdrehungen entwickelte und mit einem Drehmoment von 35,7 SAE-mkg bei 2200 Umdrehungen aufwartete.
Typisch für die Zeit war die zentrale Nockenwelle und der Fallstrom-Doppelvergaser von Ford-Holley. Als Kraftübertragung diente die Fordomatic, eine Wandlerautomatik mit drei Vorwärtsgängen. Während die Ford-Standard-Limousine rund 1450 kg schwer war und eine Länge von 504 cm aufwies, dürfte das Ghia-Aigle-Coupé etwas leichter und etwas kürzer geraten sein.
Restauriert
Vor einigen Jahren wurde der Ford Ghia-Aigle restauriert, dabei wechselte dann auch die Farben von Sand-Beige auf eine Gelb-Weiss-Kombination, die dem Wagen sehr gut steht. Nichts geändert wurde an der 6-Volt-Elektrik, die es mit dem schweren Motor nicht einfach hat.
Preisgekrönt
Die heutigen Besitzer zeigen das eleganten Coupé und nehmen damit gelegentlich an Schönheitskonkurrenzen teil. In Basel gewannen sie am Concours sogar zwei Pokale. Obschon die Neufelds kein besonderes Faible für Ford-Automobile haben, liegt ihnen das besondere Ghia-Aigle-Coupé wegen seiner Einmaligkeit am Herzen.
Wir danken Neufeld’s Special Cars für die Unterstützung bei den Fotoaufnahmen.
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