Die amerikanische Pop-Band "The Bangles" lag 1987 in der deutschen Hitparade mit ihrem Ohrwurm "Walk like an Egyptian" auf Platz 1 und die Frauen trugen dicke Schulterpolster und breite Hüftgürtel. Was war damals auf unseren Strassen los? Dort durften sportliche Autos noch mit gewaltigen Heckflügeln geschmückt werden, ohne gleich "politisch unkorrekt" zu wirken.
Deutsche Konkurrenz
Die sportlichen Limousinen und Zweitürer vom Schlage eines BMW M3 der Baureihe E30 und des Mercedes 190 E 2.3-16 waren angesagt, als Ford 1985 am Genfer Automobilsalon die Bühne mit dem Sierra RS Cosworth betrat. Die Karosseriewahl fiel auf die Variante mit zwei Türen, Heckklappe und fünf Sitzen. Seine Aufgabe war es, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren erzielten Erfolge des Capri zu wiederholen und in den Tourenwagen-Rennen der Gruppe A Siege einzufahren.
Erfolgsmodell
Der fünftürige Sierra wurde im September 1982 am Pariser Autosalon vorgestellt und
löste den Ford Taunus ab. Zur Markteinführung war er nur als fünftürige Limousine erhältlich. Dank dem rundlichen Design, das von Uwe Bahnsen stammte, war der neue Ford mit einem cw-Wert von 0.34 ausgesprochen windschlüpfrig. Im Dezember wurde ihm eine Kombi-Variante zur Seite gestellt, die Turnier genannt wurde. Mit der Präsentation des XR4i am Autosalon in Genf im März 1983 bekam die Modellreihe einen ersten sportlichen Ableger, der mit seinem 2.8 Litermotor immherhin 150 PS leistete und der erstmals ein imposantes Flügelwerk am Heck erhielt. Wenige Monate später rundete Ford die Palette mit einer dreitürigen Schrägheck-Variante ab.
Auftrag nach England
Fords "Special Vehicle Operations" (SVO) in England beauftragte die erfolgreiche Motorenschmiede Cosworth damit, dem ungewöhnlich gezeichneten Dreitürer ein kompetitives Sportaggregat zu bauen. Die Briten machten Tabula Rasa: Ausser dem Grauguss-Motorblock und der Wasserpumpe blieb vom 1993 ccm grossen Vierzylindermotor nichts übrig, es handelte sich also um ein lupenreines Cosworth-Triebwerk. Die Engländer verpasstem ihm einen Aluminium-Zylinderkopf und einen Garrett-Abgasturbolader mit Ladeluftkühler, der mit einem Druck von 0.55 bar arbeitete. Nach dem Eingriff leistete die Maschine 204 PS bei 6000 U/Min, was für eine Höchstgeschwindigkeit von rund 240 km/h gut war. Für den knapp über 1200 Kilogramm leichten Renner war die Motorisierung auf jeden Fall mehr als ausreichend.

Den Sprint von null auf 100 km/h erledigte der Cossie, wie ihn Liebhaber gerne nennen, in rund sechs Sekunden – das ist heute noch ein beeindruckender Wert. Wichtiger als die PS-Zahl war aber das Drehmoment und die Automobil Revue beschrieb im Dezember 1985 die Motorencharakteristik:
"Bei Cosworth strebte man einen saugmotorartigen Drehmomentverlauf an. Bereits bei 2300 Touren erreicht der Vierzylinder 80 % seines Maximalwerts (276 Nm bei 4500 U/min). Bei Turbomotoren steigt oft die Leistung bis zum Erreichen der erlaubten Höchstdrehzahl an. Nicht so beim Sierra: Ab 6000 U/min öffnet das ECU allmählich das Überdruckventil, und die Leistung fällt von 204 PS langsam ab. Bei 6700 Tourenbleiben nur noch etwa 0,3 der maximal 0,55 bar Ladedruck übrig, was etwa 185 PS entspricht. Dem Fahrer wird also nahegelegt, dass weiteres Ausdrehen nicht mehr bringt. Geht ihm das nötige Feingefühl ab, so wird bei 6800/min die Benzinzufuhr unterbrochen." Auch im Praxistest überzeugte der Motor: "Auf Anhieb erwacht der aufgeladene Vierventiler von Cosworth zum Leben. Er nimmt spontan Gas an, lässt sich ohne weiteres im unteren Drehzahlbereich bewegen und wirkt nie kraftlos. Er nimmt dem Fahrer auch Go-and-stop-Verkehr nicht übel. Das Ansprechverhalten haben die Techniker ausgezeichnet in den Griff gekriegt. Der Einsatz des Laders (er macht sich durch ein diskretes Pfeifen bemerkbar) erfolgt nicht brutal, sondern der Vierzylinder setzt progressiv an Kraft zu. Über 6000/min beginnt der Vorwärtsdrang allmählich zu erlahmen, wie dies die Elektronik beabsichtigt."

Aus dem Baukasten
Der Antrieb erfolgte auf die Hinterräder und das handgeschaltete Getriebe stammte aus den USA, wie die Automobil Revue notierte:
"Nach dem Baukastenprinzip suchte man bei Ford im weltweiten Sortiment ein passendes Fünfganggetriebe aus, welches der höheren Belastung gewachsen war, und konnte somit Entwicklungskosten für eine neue Einheit von Getrag oder ZF sparen. In den USA wurde man fündig: Ein Borg-Warner-Getriebe, welches beispielsweise auch im Mustang verwendet wird, adaptierte man mit sportlich enggestuften Gängen für den speziellen Einsatz. Um die Kraft besser auf den Boden zu bringen, versah man die Hinterachse mit einer Differentialbremse (Visco-Einheit, System Ferguson)".

Strafferes Fahrwerk als in der Serie
Die unabhängige Radaufhängung entsprach im Grundlayout dem der Serie, wurde aber mit härteren Federn und strafferen Stossdämpfen auf Sportlichkeit getrimmt.
Verzögert wurde mit Scheibenbremsen mit einem Durchmesser vorne von 283 cm und hinten von 273 cm. Zum sicheren Stoppen der Fuhre war sogar ein Antiblockiersystem an Bord. Ab Werk wurde der Sierra RS Cosworth mit 15 Zoll grossen Felgen und Reifen von Dunlop in den Dimensionen 205/50 ausgeliefert.
Grosse Klappe
Der Kofferraum mass mit umgeklappter Rücksitzbank ganze 1465 Liter, ein beachtliches Ladevolumen für einen Sportwagen. Er war also nicht nur schnell, sondern auch alltagstauglich. Mit knapp 4.50 Meter Länge und einer Breite von 172 Zentimeter ist der Cossie für heutige Verhältnisse überraschend kompakt.

Wenig Enthusiasmus
Das Ergebnis einer Umfrage bei Ford-Händlern löste beim Projekt-Team wenig Begeisterung aus. Schätzungen zufolge würden nur etwa 1500 Fahrzeuge verkauft werden können, für die Gruppe A Homologation mussten es aber 5000 Stück sein.. Nicht zuletzt aufgrund der auffälligen Optik wurde offenbar ein nur sehr kleiner Kreis potenzieller Kunden identifiziert. Dabei waren die Verbreiterungen nötig, um den Sierra für den Rennsport vorbereiten zu können. Und auch der gewaltige Heckflügel mit Mittelstütze, der manchen Tuning-Fan vor Neid erblassen liess, hatte seine Funktion: Er bewirkte einen Abtrieb von bis zu 20 Kilogramm auf die Hinterachse.
Um den Cossie zu einem tiefen Kampfpreis anbieten und so mehr Fahrzeuge verkaufen zu können, beschloss Ford, die Produktionskosten zu senken. Dies gelang durch die Einschränkung der Ausstattungsvarianten. Der Sierra RS Cosworth wurde nur in drei Farben angeboten: Schwarz, Weiss und Blau, wobei für Letztere ein Aufpreis zu entrichten war. Das Cockpit entsprach weitgehend der Serie und wurde von grauem Kunststoff dominiert. Einzig die im Drehzahlmesser integrierte Ladedruckanzeige verriet, dass unter der Haube ein aussergewöhnliches Triebwerk schlummerte. Für das graue Velours-Interieur gab es keine Alternative zur Auswahl und als Optionen standen lediglich eine Zentralverriegelung, elektrische Fensterheber, eine Métallic-Lackierung und ein Kurbel-Hubdach auf der Liste. Nach diesen Sparmassnahmen lag der Preis etwa 20% unter dem der Konkurrenz aus Stuttgart und München: Der Cossie kostete rund 48000 DM (CHF 41'000), was heute teuerungsbereinigt etwa EUR 57'000 (CHF 60'000) entsprechen würde.

Viel Durst
Auto, Motor und Sport war vom Cossie zwar begeistert, befand den Benzinverbrauch aber doch etwas hoch:
"Die Zwangsbeatmung hat einen typischen Nachteil: Sie verdirbt die Trinksitten. Wer viel mit vollem Ladedruck unterwegs ist, meint, das Absinken der Benzinanzeige mit den Augen verfolgen zu können; der Vierzylinder kommt dann auf Verbrauchswerte von über 16L/100 Kilometer und hat den Inhalt des mit 65 Liter etwas zu dürftig bemessenen Tanks schon nach wenig mehr als 350 Kilometern bis auf die übliche Reservemenge verzehrt. Zurückhaltung mit dem Gaspedal kann den Verbrauch bis auf etwa 12 L/100 Kilometer sinken lassen, aber weil dieser Sierra nun wirklich kein Auto ist, das dem Fahrer eine beschauliche Fahrweise nahelegt, kam im Testdurchschnitt ein Verbrauch von immerhin 14,0 L/100 Kilometer heraus."
Erfolgreicher Renner
Er wurde für den Rennsport konstruiert und war über viele Jahre sehr erfolgreich auf der Rundstrecke und auf den Rallye-Pisten. 1988 war Didier Auriol mit Navigator Bernard Occelli siegreich an der Korsika Rallye, was gegen die übermächtigen allradgetriebenen Lancia und Mazda als ausserordentlicher Erfolg gewertet werden durfte. Der Cossie leistete in der Renn-Version über 300 PS und wurde in den Tourenwagen-Serien von Piloten mit so illustren Namen wie Klaus Ludwig, Joachim Winkelhock oder Klaus Niedzwiedz eingesetzt. Siege konnten an legendären Rennen wie dem Bathurst 500 in Australien oder an den Spa 24 hours in Belgien eingefahren werden. 1988 holte Klaus Ludwig auf dem Evolutionsmodell Sierra RS 500 Cosworth den Titel in der Deutschen Tourenwagen Meisterschaft. Der Cossie war mit fünf Gesamt- und einem Laufsieg das erfolgreichste Rennfahrzeug der Saison.
Für die Homologation der Gruppe A der deutschen Tourenwagen-Meisterschaft (DTM) musste Ford 5000 Fahrzeuge bauen, bei Produktionsende 1987 waren es dann annähernd 6000. Vom 20 PS stärkeren Evolutions-Modell RS 500 wurden 1987 gar nur fünfhundert Stück gebaut. Ab 1988 wurde der Cosworth-Motor in die Stufenheck-Variante eingebaut, und ab 1990 sogar mit Allradantrieb angeboten. Heute sind aber die selteneren ersten Modelle am begehrtesten. Gute Fahrzeuge erzielen an Auktionen auch schon mal sechsstellige Beträge.
Der porträtierte Sierra kommt am 30. Mai 2020 an der Bicester Heritage Bonhams May Motoring Auction unter den Hammer, als Schätzpreis werden CHF 66'000 bis 91'000 (EUR 63'000 bis 86'000) angegeben.
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