Hierzulande kennt man den Ford Pinto vor allem wegen seines Motors, der u.a. im Ford Escort RS 2000 für eindrückliche Fahrleistungen sorgte. Für Ford USA aber war der Pinto Teil einer Abwehrstrategie gegen die stetig stärker werdenden Importautos. Doch diese Rechnung ging nicht so gut auf wie erhofft, was ganz besondere Gründe hatte.
Verteidigung gegen die Importflut
Mit dem Einmarsch der Importautos aus Europa und Japan, namentlich des VW Käfers und kompakter Wagen von Toyota, Datsun und Co, musste sich die amerikanische Autoindustrie in einem für sie neuartigen Segment unter Beweis stellen - den Kompaktwagen.
Ford hatte zu dieser Zeit kein Fahrzeug im Sortiment, um dieser Bewegung Gegendruck bieten zu können. Die Importautos drohten eine echte Gefahr zu werden und Ford war zu schnellem Handeln gezwungen. Der Stein für die Entwicklung des Pintos (spanisch für “kleines Pferd”, also ein kleiner Mustang, wenn man so will) kam ins Rollen.
Aggressiver Entwicklungszeitplan
Bereits im Dezember 1968 segnete die Abteilung für Produktplanung das Design ab. Der damalige Entwicklungschef Lee Iacocca strebte einen aussergewöhnlich straffen Zeitplan an. Ein normaler Entwicklungszyklus betrug damals in der amerikanischen Autoindustrie im Schnitt etwa 43 Monate. Iacocca wollte, dass der Pinto bereits 1971 bei den Händlern steht, was den Entwicklungszeitraum auf knappe 25 Monate herunterschraubte.
Weiterhin verlangte Iacocca von seinen Ingenieuren, dass der Pinto nicht mehr als 2000 Pfund (ca. 907 Kilogramm) wiegen sollte und nicht mehr als 2000 US-Dollar kosten dürfe. Das waren anspruchsvolle Zielsetzungen, die für die Ingenieure nicht einfach einzuhalten waren.
In Kombination mit dem hohen Zeitdruck wurde das Pinto-Entwicklungsteam vor enorme Herausforderungen gestellt. Nichtsdestotrotz schafften die Ingenieure das fast Unmögliche und das “kleine Pferd” stand 1971 in den Showrooms der Autohändler.
Traditionelle Konstruktion
“Fords ‘Anti-VW’ präsentiert sich wie Chevrolets Vega 2300 als konventionell konzipierte Neukonstruktion”, stand es in der AR-Zeitung Nr. 37 von 1970. Er war bei seiner Erscheinung der kleinste Ford seit 1958. Der Radstand betrug 2388 mm und seine Aussenmasse waren 4140 x 1763 x 1270 mm. Das Leergewicht belief sich auf 914 kg.
Unter der Haube konnte man anfangs zwischen zwei Vierzylindermotoren auswählen, welche beide in Deutschland gefertigt wurden. Der kleinere Motor war ein 1.6 Liter mit 76 PS, der grössere ein 2.0 Liter mit 101 PS. Ab 1974 wurde dann nur noch ein Vierzylinder angeboten, welcher ca. 98 PS leistete (dies änderte ein wenig von Jahr zu Jahr). Die Zweiliter-Version wurde dann auch im Escort RS2000 verbaut.
1975 erschien zudem noch ein V6-2,8-Liter-Motor (aus Köln), welcher allerdings kaum mehr Leistung abgab als die bekannten Vierzylinder-Aggregate, jedoch ein höheres Drehmoment (um die 200 Nm verglichen mit ca. 160 Nm) lieferte. Als Kraftübertragung konnten die Kunden ein manuelles Vierganggetriebe oder eine Automatik bestellen.
Der Pinto wies eine selbsttragende Karosserie mit simplen Radaufhängungen auf. Vorne wurden Dreieckslenker und Schraubenfedern, hinten eine Starrachse verbaut. Für die Verzögerung waren sowohl vorne als auch hinten Trommelbremsen zuständig.
Fast wie ein Rallye-Auto
“…die gesamte Silhouette lässt einen Vergleich mit italienischen Sportwagen zu”, schrieb Karl Ludvigsen für Auto Motor und Sport nach einer Probefahrt im Jahr 1970. Ob einem beim Anblick des Pintos wirklich italienische Karosseriekunst in den Sinn kommt, ist wohl wieder Ansichtssache, doch der Pinto zeigte sich mit seiner Fastback-Karosserielinie modern, dynamisch und gefällig.
Auch fahrerisch konnte der Pinto damals überzeugen, wie Ludvigsen weiter notierte: “Trotz seiner Zugehörigkeit zur Kategorie besonders preisgünstiger Personenwagen wirkt der Pinto beim Fahren fast wie ein Rallye-Auto.”
Dafür verantwortlich war unter anderem das deutsche Getriebe, welches sich sehr exakt schalten liess und natürlich der drehfreudige Motor aus dem Hause der britischen Ford-Tochter. Ein niedriger Schwerpunkt sowie die breite Spur liefern auch ein gutes Eigenlenkverhalten.
“Schnelles Kurvenfahren gehört zweifellos zu den starken Seiten des Pinto, schrieb Ludvigsen für AMS im Jahr 1970.
Einzig der etwas kleine Kofferraum sowie das nicht in allen Situation komfortable Fahrwerk fielen negativ auf.
Für den Spurt von 0 bis 100 km/h gab auto motor und sport damals für die Zweiliter-Version 14,3 Sekunden an. Speziell hingewiesen wurde auf von Ford auf Wunsch lieferbare Werkzeugsätze, die die Durchführung der Wartungsarbeiten nach dem Do-It-Yourself-System erlaubten, um Kosten zu sparen.
Feuerteufel?
Die Eile bei der Entwicklung sollte sich für Ford aber noch rächen. Der Pinto wurde nicht durch seinen spritzigen Motor oder anderen Attributen eines guten Autos bekannt, sondern durch seine enorm hohe Tendenz bei Auffahrunfällen ins Heck in Flammen aufzugehen.
Dies war darauf zurückzuführen, dass der Benzintank des Pintos zwischen Heckstossstange und Hinterachse montiert war. Zwar nicht unüblich für diese Zeit, jedoch waren die Tankstutzen so positioniert, dass sie bei einem Unfall oft abbrachen und so Benzin auslief. Dann reichte ein winziger Funke, beispielsweise einer brennenden Zigarette oder Funken von beim Unfall aneinander reibendem Blech, um eine riesige Stichflamme zu entfachen. Daraus resultierten über die Bauzeit des Pintos 60 Tote und 120 schwer verletzte Personen.
Typisch für die USA kam es auch zu diversen Gerichtsprozessen. Die Kläger speiste Ford meist mit Geldbeträgen ab, um eine Einigung aussergerichtlich herbeiführen zu können. Ein Fall aber ging in die Geschichte des amerikanischen Rechtssystems ein. 1978 verunglückten die beiden Schwestern Judy Ann und Lynn Marie, sowie deren Cousine Donna Ulrich tödlich. Ihr Pinto wurde von einem Lieferwagen von hinten angefahren. Der Wagen fing Feuer. Ein Augenzeuge berichtete: “Der Wagen explodierte wie eine Napalm-Bombe.”. Daraufhin wurde Ford wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.
Die Mother Jones Story
Bei der bereits geschilderten aggressiven Entwicklungszeit war es eigentlich wenig verwunderlich, dass nicht alles glatt laufen konnte, doch Ford wusste bestimmt erst nach den etlichen Unfällen von dem Problem, oder? Weit gefehlt!
1977 hat das US-amerikanische Magazin Mother Jones einen Artikel mit dem Titel Pinto Madness, geschrieben vom späteren Pulitzer-Preis-Nominierten Mark Dowie, über die Problematik mit dem Benzintank des Pintos veröffentlicht. Der Artikel ist eine genaue Analyse, wie es so weit kam, dass Ford ein Auto mit einem derart gravierenden Sicherheitsproblem auf den Markt bringen konnte.
Gemäss Mother Jones soll Ford bereits während der Entwicklung über die Problematik Bescheid gewusst haben. Schon bei den Crash-Tests vor Produktionsbeginn wurde klar, dass der Benzintank bei einem Unfall extrem verwundbar war. Man entschied sich aber, das Auto aus zwei Gründen ohne Anpassungen trotzdem auf den Markt zu bringen.
Zum einen war der Auslöser sicherlich der enorm straffe Zeitplan und die fast unmöglich zu erreichenden Vorgaben an das Designteam des Pintos, die Lee Iacocca verhängt hatte. Zum anderen aber wägte Ford damals jede Entscheidung mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis ab. Diese Analyse stellt jeden Nutzen mit dessen Preis gegenüber. Etwas, was natürlich zu einem gewissen Grad auch heute bei wohl so ziemlich jedem Unternehmen der Fall ist. Besonders perfid ist aber, wie weit Ford mit dieser Analyse ging.
Man setzte sogar einen Preis auf ein Menschenleben. Zugegeben, es war nicht Ford, die den Preis festlegte, sondern die National Highway Traffic Safety Administration. Sie war auf Druck von Ford und anderen amerikanischen Autobauern dazu gezwungen, solch einen Wert festzulegen, damit diese allfällige Kosteneinsparungen rechtfertigen konnten.
Jetzt würde man sich denken, dass die Zahl ins Astronomische gehen muss. Nicht ganz, denn der Wert für ein Menschenleben war laut NHTSA 200’725 US-Dollar. Dies gab Ford also einen eindeutigen Gradmesser, wie sicher sie ihre Autos zu bauen hatten. Die Priorität lag ganz klar auf dem Preis, gefolgt vom Verbrauch, denn “Sicherheit verkauft keine Autos.”, sagte Iacocca.
Eine informelle Einigung mit dem Bürgermeister von Detroit bewirkte, dass Ford dies als Grundlage für so ziemlich jede Entscheidung nehmen konnte, ohne dass die Behörden zuständig für die Sicherheit neuer Fahrzeuge davon wussten. Ford sparte sich also eine Änderung, die sie nicht mehr als 11 Dollar pro Auto gekostet hätte (laut Mother Jones) und Tausende von Menschenleben hätte retten können. Aus heutiger Sicht undenkbar.
Aus den Aufzeichnungen geht sogar hervor, dass Ford zu dieser Zeit ein Patent für einen wesentlich sichereren Benzintank besass, diesen in anderen Modellen auch einbaute, er aber für den Pinto zu teuer war.
Nicht gefährlicher als die Konkurrenz
Nachdem die Mother Jones Story den Pinto jahrelang in ein schlechtes Licht brachte, scherte sich niemand darum, die Fakten nochmals zu checken und zu sehen, was da wirklich dran war. Erst im November 1990 veröffentlichte Gary T. Schwartz, ein Professor an der UCLA School of Law, einen neuen Bericht, der den Pinto mit den Unfallzahlen anderer Autos dieser Klasse verglich und zeigte, dass er nicht schlechter abschnitt als seine Konkurrenten.
Die wohl eindeutigsten Daten gehen aber bereits aus einem Bericht der Todeszahlen pro Millionen Fahrzeuge der NHTSA (National Highway Traffic Safety Administration) aus dem Jahre 1975 hervor. Dort heisst es, dass der Pinto für 298 Tode pro Million Fahrzeuge verantwortlich ist. Die direkte Konkurrenz Chevy Vega und Datsun 510 schnitten mit 288 und 294 Todesfällen nur minimal besser ab. Der Datsun 1200/210, Toyota Corolla und VW Käfer schnitten sogar um Einiges schlechter ab, mit jeweils 392 (Datsun), 333 (Toyota) und 378 (VW Käfer) Toten pro Millionen Fahrzeuge.
Fast zehn Jahre gebaut
Der Pinto wurde bei seiner Markteinführung nur als Zweitürer angeboten. 1973 wurde dann ein sogenannter Runabout mit grösserer Heckscheibe eingeführt. Über die Jahre wurde die Palette um einen Station Wagon (Kombi) und auch einen Wagon (eine Art Lieferwagen) ergänzt. Ebenfalls erschienen einige spezielle Versionen oder Pakete, wie zum Beispiel das “Rallye-Pack” oder “Cruising-Pack”.
Das Auto wurde von 1974 bis 1980 auch als Mercury Bobcat verkauft.
Insgesamt produzierte Ford von 1971 bis 1980 stolze 3’173’491 Pintos. Erfolglos war der genügsame und günstige kleine Wagen gewiss nicht.
Fernsehauftritte
Zur Popularität des Ford Pinto halfen neben dem niedrigen Preis auch einige PR-Massnahmen von Ford mit. So hatte der Autobauer mit den Produzenten der populären Fernsehserie “Charlie’s Angels” eine Vereinbarung getroffen, dass alle “Engel” kompakte Ford-Autos fuhren. Sabrina Duncan, gespielt von Kate Jackson, durfte am Lenkrad eines orange-farbenen Pinto drehen, während ihre Kollegen einen Mustang erhielten.
So kam der Pinto zu vielen Auftritten und Ford lancierte sogar noch eine “Charlie’s Angels Edition” in derselben Farbe für die Kunden. Auch sonst sind Pintos immer wieder in Szenen von Siebzigerjahre-Fernsehserien zu beobachten.
Zu Unrecht verurteilt?
Der Ford Pinto hatte jahrelang das Stigma eines Feuerteufels mit sich getragen. Insgesamt war er aber kaum weniger sicher als seine Konkurrenten. Und wenn die Ford-Manager ein bisschen weniger gespart hätten bei der Konstruktion, so hätte der Pinto in den Unfallstatistiken sogar besser abgeschnitten als Käfer, Vega und Co.
Die Grundkonstruktion hatte eigentlich überzeugt. Der Pinto war ein ausgesprochen spritziges Wägelchen der amerikanischen Kompaktklasse mit ausgefallenem Design, zuverlässigen Motoren und günstigem Preis. Mit etwas weniger negativer PR hatte er schon fast das Zeug zum Superstar.
Wer dies ähnlich sieht und sich vielleicht nochmals in alte Zeiten zurückversetzen möchte, der kann an der RM/Sotheby’s Auburn Fall Versteigerung vom 3. bis am 5. September 2020 für einen sehr schön erhaltenen Pinto mitbieten, der zudem ein Exemplar der “Charlie’s Angels Edition” aus dem Jahr 1977 ist. Geschätzt sind USD 8000 bis 10’000, also locker das Vierfache des damaligen Neupreises. Nicht jeder Klassiker schafft dies.
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Zu Ludwigen ist zu sagen, dass er zur Zeit seines AMS-"Tests" entweder noch oder gerade nicht mehr für die Ford-Presseabteilung tätig war (das müsste ich noch mal nachschauen). Seinem Urteil kann man deshalb nicht uneingeschränkt vertrauen.
Die Tank-Problematik schließlich hatte nichts mit dem Tankstutzen zu tun: Es waren die Schrauben des Differenzials, die im Falle eines Unfalles den Tank perforieren konnten. Die 11 Dollar teure Lösung, die später dann doch eingebaut wurde, war deshalb ein Plastikschild, das zwischen Differenzial und Tank montiert wurde.
Was die juristische Problematik angeht, lohnt ein Blick in das Pinto-Buch von Mark Cranswick, das bei Veloce erschienen ist.
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