Wer sich Anfangs der Siebzigerjahre einen schnellen Gran Turismo zulegen wollten, mit dem er notfalls auch mit Kleinkindern und Gepäck in den Wochenendurlaub fahren konnte, der hatte nicht allzuviel Auswahl. Er konnte zum Maserati Indy greifen oder einen Lamborghini Jarama bestellen oder den brandneuen Ferrari 365 GTC/4 in seine Garage stellen.
Lückenfüller
In den Sechzigerjahren bot Ferrari üblicherweise drei Fahrzeuglinien an, eine sportliche Berlinetta, einen komfortbetonten Viersitzer und ein Modell dazwischen.
Bis 1970 spielte der Ferrari 330 GTC und sein formlich identischer Nachfolger 365 GTC diese Rolle. Im Jahr 1971 musste aber auch der 2+2-sitzige 365 GT ersetzt werden. Und so stand auf dem Genfer Autosalon des Jahre 1971 das neue Modell 365 GTC/4, das aussah wie kein anderer Ferrari zuvor.
Pininfarina Haut Couture für Amerikaner
Am Zeichentisch hatte bei Pininfarina hatte Filippo Sapino gesessen und er hatte dem neuen Sportwagen ein schwungvolles Kleid mit vielen neuen Elementen gegeben. Er hatte dank kürzerer Motorhaube und längerem Mittel-/Heckteil ein im Vergleich zum Daytona eine ruhigere Linienführung gewählt. Und er verzichtete fast vollständig auf Chrom. Vorne übernahm eine Kühlerumrandung aus gummiüberzogenem Kunststoff die Funktion der Stossstange, hinten schützte ein mattschwarz lackierter Metallstossfänger die Karosserie vor Schäden.
Vorne wies der GTC Klappscheinwerfer auf, hinten je drei Rückleuchten pro Seite. Herkömmliche Türöffner und Cromodora-Aluminiumräder mit Zentralverschlüssen rundeten die Gesamterscheinung ab, die nicht zuletzt auf den amerikanischen Geschmack ausgerichtet war.
Auch im Innern ging Pininfarina neue Wege. Im zentralen Instrumentenblock waren die Hauptinstrumente auf schwarzen Quadraten angeordnet, während die Hilfsinstrumente oben auf der Mittelkonsole eingebaut wurden. Auch über eine offene Schaltkulisse verfügte der GTC nicht.
Technik vom Feinsten
Technisch basierte der GTC auf dem Gitterrohrrahmen und der Aufhängungstechnik des Ferrari Daytona, was Einzelradaufhängungen an Trapezdreieckslenkern bedeutete. Zwei erhebliche Unterschiede fallen aber in der Konstruktion sofort auf: Das Getriebe ist nicht wie beim Daytona als Transaxle-Einheit an der Hinterachse angebracht, sondern mit dem Motor vorne verblockt.
Der Motor wurde bei gleichem Hubraum von 4390 cm3 auf sechs Flachstrom-Doppelvergaser der Marke Weber umgestellt, was die Bauhöhe des Aggregats senkte und damit die flache Frontgestaltung erst möglich machte.
340 PS bei 6’800 Umdrehungen leistete der V12-Motor und genehmigte sich auf schnellen Reisen 18 bis 22 Liter Superbenzin pro 100 km.
Schneller Luxus-Transporter
Der Zielmarkt für den Ferrari 365 GTC/4 war eigentlich die USA, entsprechend kann man erwarten, dass vor allem die dortige Presse den Wagen euphorisch begrüsst hätte. Road & Track veröffentlichte im Juli 1972 einen Testbericht, der dem Wagen viele positive Züge abgewinnen konnte.
Ein Schwerpunkt der Betrachtung war das Design. Als anmutig, subtil, sauber und unterschätzt wurde es beschrieben. “It grows on you”, schrieben die Journalisten und meinten, dass der Wagen gewinne, je länger man ihn betrachte.
Das Interieurdesign überzeugte voll und ganz, es sei ein Meisterwerk des modernen Industriedesigns, schrieben die R&T-Autoren. Besonders angetan waren die Tester von der hervorragenden Rundumsicht und dem niedrigen Kraftaufwand, der für die Bedienung von Lenkung, Getriebe und Pedalerie nötig war.
So ganz zufrieden waren die amerikanischen Tester mit dem Ferrari aber nicht, denn offensichtlich waren einige Fertigungsmängel (Scheibenwischer, Windgeräusche) zu beklagen und die Bremsanlage überzeugte überhaupt nicht (einseitiges Blockieren, Fading).
Dass der 365 GTC/4 2 Dezibel leiser war als der Jarama und 10% weiter fahren konnte mit derselben Benzinmenge war wohl damals genauso wenig entscheidend wie die Unterschiede im Beschleunigungsvermögen (0 - 60 Meilen/Stunde Ferrari 7,3 Sekunden, Lamborghini 7,2 Sekunden). Auch die 245 km/h Höchstgeschwindigkeit der US-Version (mit “nur” 320 statt 340 PS) dürften den meisten Käufern gereicht haben.
“Der Wagen muss als Kunstwerk überzeugen oder untergehen”, meinten die Amerikaner, denn der Preis von USD 27’500 lag nicht nur fast USD 5’000 über dem des Konkurrenten Lamborghini Jarama 400 GT, er war auch absolut in einer Sphäre, wo die Gesetzte der Ökonomie und Nutzwertüberlegungen versagten.
“Im Grossen und Ganzen kann der Ferrari den gesetzten Ansprüchen gerecht werden”, summierte Road & Track die Testerfahrungen. Rund 150 Amerikaner kauften schliesslich den eleganten Italiener.
Teuer, aber farbig
Der Ferrari 365 GTC/4 war nicht nur in den Staaten teuer, auch in Europa gehörte er zu den kostspieligsten Autos. 1972 musste der Kunde dafür CHF 79’000 (DM 75’091) hinlegen, während der Lamborghini Jarama CHF 68’000, der Maserati Indy CHF 73’600 kostete. Der Daytona kostete in der Schweiz CHF 3’000 weniger, in Deutschland DM 2500 mehr. Einen Jaguar E-Type V12 konnte man aber bereits für CHF 33’500 kaufen und ein Porsche kostete weniger als die Hälfte.
Dafür konnte man den Ferrari in 48 Standard-Farben, darunter alleine acht Rot- und fünf Grüntöne, bestellen, erhielt aber auch jede mischbare Sonderfarbe auf Wunsch. Und auch beim Interieur konnte man aus 10 Lederfärbungen auswählen.
Ohne direkten Nachfolger
Die Produktion des Ferrari 365 GTC/4 dauerte nur gerade zwei Jahre von 1971 bis 1972, einen direkten Nachfolger gab es nicht. Der Ferrari 365 GT4 2+2 mit verlängertem Radstand übernahm zwar praktisch die gesamte Technik des GTCs, muss aber eher als Nachkomme des bereits früher eingestellten 365 GT 2+2 gesehen werden, da er eher der Idee des echten Viersitzers entsprach. Erst der Ferrari-412-Nachfolger 456 erinnerte ab 1993 mit seiner Fliessheck-Silhouette wieder an den GTC.
Ungefähr 505 Exemplare (verschiedene Quellen nennen unterschiedliche Zahlen) verliessen insgesamt das Werk, was den GTC wesentlich seltener macht als den Daytona.
Ein Gesamtkunstwerk
Lange stand der Ferrari 365 GTC/4 im Schatten des bulligeren und agressiveren Daytona. Tritt man heute vor den GTC, dann erkennt man die Zeitlosigkeit der Linienführung und selbst die damals heiss debattierte Frontgestaltung scheint den Zahn der Zeit gut überstanden zu haben. Die schwungvolle Seitenlinie überzeugt und man ist überrascht, wie kompakt der Wagen mit nur 4,55 Metern Länge und 1,78 Metern Breite ist.
Dank der Bauhöhe von 1,27 Metern gelingt auch der Einstieg auf Anhieb. Zwar wirkt das Interieur weniger klassisch als das der Vorgänger, funktionell gibt es aber kaum etwas auszusetzen, ausser vielleicht, dass das Lenkrad etwas tief sitzt und die Pedale irgendwie zu nahe zu sein scheinen.
Der perfekte Kompromiss?
Richtig zum Überflieger wird der 365 GTC/4, wenn man ihn fährt. Im Gegensatz zu manchem seiner familieneigenen und markenfremden Konkurrenten fühlt sich der 2+2-Sitzer handlich und komfortabel an. Dank Servounterstützung lässt sich das Lenkrad ohne grossen Kraftaufwand drehen und das Getriebe mit normalem H-Schema schaltet sich exakt und leichtgängig, eine offene Kulisse vermisst man (beim Fahren) nicht.
Ein Leisetreter ist der Ferrari natürlich keineswegs, das war wohl auch nie beabsichtigt. Unangenehm laut wird der Sportwagen aber auch nicht, die Geräuschkulisse ist genau richtig und entspricht dem Charakter eines schnellen GTs. Und eine Freude für die Ohren ist das Ansaug- und Auspuffkonzert sowieso.
Dass das Leergewicht des Sportwagens über nicht gerade rennwagenmässigen 1,7 Tonnen liegt, merkt man spätestens beim Anbremsen von Kurven, während schnelle Bögen dank des hervorragenden Fahrwerks jeden Schrecken verlieren.
Der 365 GTC/4 übernahm viele der Vorzüge des Daytona ohne einige dessen Schwächen zu erben, er sieht gut aus und bietet komfortable Platzverhältnisse, hat mit 300 Litern sogar einen richtigen Kofferraum. Mit diesen Eigenschaften überzeugt er auch noch heute, wenn man nicht gerade auf einer engen Landstrasse wenden will, was bei 12,7 Metern Wendekreis halt keine einfache Sache ist.
Preiswert, aber selten
Die Marktnotierungen zeigen ein klares Bild. Ein Ferrari 365 GTC/4 in sehr gutem Zustand wird etwa zu einem Drittel eines Ferrari 365 GTB/4 Daytona oder Ferrari 330 GTC gehandelt, den “Nachfolger” 365 GT/4 2+2 übertrifft er aber um den Faktor 2.
Eine Restaurierung dürfte kaum weniger kosten als die eines Daytona und auch die Unterhaltskosten pendeln sich auf einem ähnlichen Niveau ein, was natürlich beim hochpreisigen 365 GTB/4 weniger schmerzt als beim preislich tiefer angeordneten GTC. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, der muss allerdings erstmals eines der 500 gebauten Gran-Turismo-Coupés finden und diese sind heute zumeist in fester Sammler-Hand.
Wir danken der Oldtimer Galerie in Toffen für die Gelegenheit, den portraitierten Ferrari 365 GTC/4 aus dem Jahr 1971 kennenlernen zu können.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 9 / 1971 vom 4. März 1971 - Seite 3: Vorstellung Ferrari 365 GTC4 Pininfarina
- Road & Track July 1972, ab Seite 33: Test Ferrari 365 GTC4
- Sports Car World, June 1973, ab Seite 23: Test Ferrari 365 GTC/4
- Motor Klassik Heft 12/2005, ab Seite 60: Marktanalyse Ferrari 365 GTC/4 (1971-1972)
- Ferrari 365 GTC/4 Website und Registry in englischer Sprache
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