Im Jahr 1945 gründete Enzo Ferrari seine eigene Sport- und Rennwagenmanufaktur. Seine Erfahrung und ein Teil seiner Leute hatte er von Alfa Romeo, wo er vor dem Krieg gearbeitet hatte, mitgenommen. Von Anfang an setzte er mit seinem Chefingenieur Colombo auf kleinvolumige Zwölfzylinder und auf hohe Qualität.
Zwar sass der Gürtel in den Nachkriegsjahren eng, doch wenn es darum ging, moderne Werkzeugmaschinen oder ausgesuchte Werkstoffe zu beschaffen, da scheute der “Commendatore” keinen Aufwand. Nur das Beste war ihm gut genug und er feuerte seine Mitarbeiter zu immer neuen Bestleistungen an. Und dies zahlte sich aus, auch im Geschäftserfolg.
Früher Erfolg
Auf den bereits erfolgreichen Ferrari 125 S folgte der 166, also ein Zweiliter mit zwölf Zylindern. Der 166 Corsa erwies sich als als Siegeskandidat, 1948 konnten damit die Targa Florio, die Mille Migila und das 12-Stunden-Rennen von Paris an der Tabellenspitze beendet werden.
Doch Enzo Ferrari erkannte früh, dass Rennerfolge alleine kein Auskommen generierten. Und so offerierte er seine Sportwagen auch dem vermögenden und anspruchsvollen Käuferpublikum, das damit auf der Strasse fahren wollte. Konnten diese anfänglich nur das Fahrgestell bei Ferrari kaufen und mussten sich hinterher selber um die Karosserie kümmern, so sah Enzo Ferrari schon bald ein, dass er seinen Kunden mit gesamtheitlichen Erzeugnissen aus einem Guss dienen musste. In enger Zusammenarbeit mit seinen präferierten Karosseriebauern entstanden in der Folge nicht nur schnelle, sondern auch ausserordentlich schöne Automobile.
Und seine Produkte überzeugten auch auf der Strasse, wie ein früher Fahrbericht in der Automobil Revue im März 1949 eindrücklich bestätigte:
“Wer glaubt, die Romantik des Automobilsports sei heute ausgestorben, setze sich an das Steuer eines Ferrari-Sportcoupés, und er ist eines besseren belehrt. Schon wenn dies sein einziges Verdienst wäre, gehörte Enzo Ferrari ein eigener Platz in der Geschichte des Automobilismus: er hat den «heroischen» Geist in die Nachkriegszeit hinübergerettet. Sein Zweiliter-Modell «166», den wir als orangefarbiges Coupé kennenlernten, straft gleichzeitig die Behauptung Lügen, dass ein geschlossenes Fahrzeug kein Sportwagen sein könne. Fünf Gänge, eine sehr direkte Lenkung, ein drehfreudiger, nicht besonders leiser Zwölfzylindermotor (bis 6500 Touren pro Minute gehört auch mit normalem Treibstoff zum täglichen Brot), eine harte Kupplung, die «rennmässige» Fahrposition, dies sind die Voraussetzungen.
Und nun geht es los: Mächtige, harte Beschleunigung, dass es Fahrer und Mitfahrer in die Kissen drückt, viermal Schalten, und wir sind im fünften Gang bei ... schon sind 150, 160, 165 km/h, und die Prüfstrecke ist zu Ende.
Starke, zuverlässige Bremsen, mit denen man auch bei Tempi von weit über 120 km/h bedenkenlos draufdrücken kann, ein Lenkrad, das ziemlich weit vorn liegt, damit man, nach der neuen Art, die Arme eher gestreckt halte, eine eher harte, aber nicht unkomfortable Federung, und schliesslich die präzise Lenkung und hervorragende Kurvenlage, dies waren die sich überstürzenden Eindrücke beim ersten raschen Versuch mit der «mildesten» Ausführung des Ferrari.”
Mehr Leistung
Bereits einige Monate früher aber hatte Ferrari in Turin die nächste Leistungsstufe gezündet.
Für den Turiner Autosalon im September 1948, an dem die Anwesenheit von Ferrari natürlich Pflicht war, zeigte die Sportwagenschmiede den 166 MM. Das “MM” erinnert an den Mille-Miglia-Sieg. Der neue Sportwagen war in ein schlichtes und ausserordentlich effizientes Spider-Kleid mit rundlichen Formen eingekleidet. Carlo Felice Bianchi Anderloni von Touring Superleggera hatte die elegante, bootsähnliche Karosserie gezeichnet.
Gebaut in der gewichtsoptimierten Superleggera-Technik überzeugte die “Barchetta”, so wurde sie ihrer Form halber genannt, mit geringem Gewicht und guter Steifigkeit.
Der neue 166 MM wurden im neuen Jahr nicht nur an den Genfer Autosalon gesandt, sondern auch an die Mille Miglia, wo erneut ein Sieg, besser gesagt ein Doppelsieg mit Biondetti/Salani und Bonetto/Carpani herausschaute. Auch die 24 Stunden von Le Mans, die 24 Stunden von Spa und weitere Rennen konnten gewonnen werden. Welch ein Einstand!
Zuverlässige Konstruktion
Wie bereits beim Vorgänger setzte Enzo Ferrari beim 166 MM auf einen Stahlrohrrahmen mit kreuzförmigen Verstrebungen. Vorne wurden die Räder einzeln von Dreiecksquerlenkern mit Querblattfeder und Houdaille-Hebelarm-Stossdämpfer geführt, hinten wurden Starrachsen mit Längsblattfedern eingesetzt. Während der Zweiliter-Zwölfzylinder ursprünglich 125 PS bei 7000 Umdrehungen produzierte, stieg die Leistung bis auf 160 PS im Jahr 1953.
Die Barchetta-166MM waren kurz und bauten auf einen Radstand von 2,25 Meter. Mit 700 bis 800 kg hatten die Sportwagen der vorhandenen Kraft wenig entgegenzusetzen.
In einem Bericht im Jahr 1953 erläuterte die Automobil Revue die Erfolgsursachen des Hauses Ferrari:
“Man darf wohl sagen, dass das Schwerwicht der Entwicklungsarbeit bei Ferrari auf dem Motorenbau lag. Die übrigen Probleme, so insbesondere diejenigen der Radaufhängung, der Lenkung und der Bremsen, wurden stets in Abhängigkeit von der jeweils erreichten Motorleistung
bearbeitet. Bezüglich der Literleistung unaufgeladener Motoren hat Ferrari heute (1953) einen Stand erreicht, der noch vor wenigen Jahren aus ausgeschlossen erschien.
Der relativ grösste Fortschritt wurde aber nicht bie den Rennmotoren verwirklicht, wenn auch Hubraumleistungen von knapp hundert PS pro Liter mit Alkoholtreibstoffen ohne Kompressor erstaunlcih genug sind. Vielmehr sind es aber die mit italienischen Supertreibstoffen der handelsüblichen Qualität betriebenen Sportwagenmotoren, die heute einen Höhepunkt im Kraftmaschinenbau verkörpern. Tatsächlich kommt Ferrari heute auf Literleistungen von 70 bis 80 PS/Liter.
Diese bemerkenswerte Leistung dürfte auf mehrere Ursachen zurückzuführen sein. Einmal gestatten die kleinen Hübe der mit grossen Bohrungen versehenen Zwölfzylindermotoren das Erreichen von Drehzahlen von 6000 bis 7000 U/min, ohne dass dabei Kolbengeschwindigkeiten von 15 bis 17 m/sec wesentlich überschritten werden. Ferner sind die Motoren - die innerhalb der reichlichen Bohrungen unterzubringenden grossen Ventile gestatten dies ohne weiteres - so ausgelegt, dass der Füllungsgrad bei mittleren und hohen Drehzahlen besonders gut ist. Anderseits ist auch Ferrari der Tatsache auf den Sprung gekommen, dass die Ansprüche eines Motors an die Klopffestigkeit des Treibstoffs mit zunehmender Drehzahl sinken.
So ist es zusammen mit der ausserordentlich geschickt gewählten Form der Verbrennungsräume möglich geworden, Motoren, die auf 8:1, ja sogar 9:1 verdichtet sind, mit Superbenzin der Oktanzahl 85 (Motormethode) einwandfrei zu betreiben. Könnte bei niederen Drehzahlen an sich ein Klopfen auftreten, so verringert der schlechtere Füllungsgrad diese Tendenz, von hochtourigen Maschinen wird man aber an sich selten bei Drehzahlen von weniger als 2000 ibs 3000 U/min Vollgas verlangen.
Ferner ist der Vergaserfrage grosse Aufmerksamkeit gewidmet worden, und die Doppel- und Vierfachvergaser, die Weber in Bologna mit Ferrari entwickelt hat, lassen hohe Drehzahlen leicht erreichen. ….”
25 Exemplare
Exakt 25 Touring-Barchettas wurden auf Basis des 166 MM zwischen 1949 und 1953 gebaut, Experten kennen alle Fahrgestellnummern auswändig: 0002M, 0004M, 0006M, 0008M, 0010M, 0012M*, 0014M, 0016M, 0020M, 0022M, 0024M*, 0028M*, 0034M, 0036M*, 0038M*, 0040M, 0044M, 0046M*, 0050M, 0052M, 0054M, 0056M, 0058M, 0064M, 0068M (mit Stern gekennzeichnete Fahrzeuge wurden bereits früh umkarossiert).
Bis in die späten Fünfzigerjahre waren die Ferrari 166 MM für Siege gut, was zeigt, wie gut die Konstruktion gelungen war. Natürlich waren die Hubräume inzwischen auch bei Ferrari stark angewachsen, so dass die Zeiten des Zweiliters mit gerade einmal schnapsglasgrossen Zylinderchen irgendwann zuende waren.
Was aber noch fast mehr zählt, ist, dass der Ferrari 166 MM Touring für viele zum Prototyp wurde, was ein Ferrari zu leisten und wie er auszusehen hat. Dies macht ihn daher auch zu einem Grundstein auf dem Erfolgsweg Enzo Ferraris.
Wertvoll geworden
Bereits 1994 berichtete das Magazin Ferrari World von 166-MM-Barchetta-Preisen in Höhe eines Einfamilienhauses. 23 Jahre später kann man sich für den Gegenwert einer gut dokumentierten Barchetta bereits ein veritables Schloss kaufen, zumindest wenn sich der erwartete Preis von USD 8 bis 10 Millionen für den 166 MM von 1950 mit Chassis 0058M an der RM/Sotheby’s-Versteigerung in Amelia Island realisieren lässt.
Als 27. von 32. 166MM-Fahrgestellen und als 23. von 25. Touring-Barchetta-Fahrzeugen gebaut kann der rote Sportwagen mit einer längeren Liste von Rennergebnissen aufwarten, auch wenn grosse Siege mit Ausnahme der ersten Plätze in Syracus (1952) und Portugal (1952) fehlen. Immerhin gehören mehrere Mille-Miglia-Teilnahmen in den Lebenslauf des heute natürlich komplett restaurierten 166M, der auch bereits mehrere Auftritte am Pebble Beach Concours d’Elégance hatte.
Vergleich Ferrari 166 S und 166 MM
166 S | 166 MM | |
---|---|---|
Jahr | 1948 | 1953 |
Hubraum | 1995 | 1995 |
Zylinder | 12 | 12 |
Vergaser | 1 | 3 (4x) |
Verdichtung | 7.0:1 | 9.5:1 |
Leistung | 95 | 160 |
bei U/min | 6000 | 7200 |
Anzahl Gänge | 5 | 5 |
Chassis | Rohrrahmen | Rohrrahmen |
Radstand mm | 2420 | 2250 |
Länge mm | 3980 | 4100 |
Breite mm | 1570 | 1650 |
Höhe mm | 130 | 1130 |
Gewicht kg | 820 | 800 |
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 16 / 1949 vom 30.Mrz.1949 - Seite 9: Achtmal Sonderklasse, Fahrbericht Ferrari 166
- AR-Zeitung Nr. 22 / 1953 vom 13.Mai.1953 - Seite 9: Das Wunder Ferrari
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Mir scheint, Ferrari baut gegenwärtig zu viel neue Modelle.
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