Die neue Generation Corvette C-2 war in der Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten. Das Design basierte dabei auf dem Stingray-Racer (XP-87 von 1959), welcher von der Meerestierwelt stark beeinflusst war. Deshalb suchte man nach einer Möglichkeit, die neue Bio-Formensprache in Form eines Show-Cars zu promoten. Designchef Bill Mitchell fand sie - am Wochenende beim Fischen.
Inspiriert durch den Kurzflossen-Mako
Die Inspiration kam vom Hai, genauer von einem Kurzflossen-Mako, den Chefdesigner Bill Mitchell im Urlaub fing. Gemäss Erzählungen hing ein ein ausgestopftes Exemplar (andere sprachen von einem “Modell”) dieses wunderschönen Tieres in seinem Arbeitszimmer. Sein Mitarbeiter Larry Shinoda nahm sich die spitze Schnauze und die aero- respektive aquadynamisch hervorragende Grundform als Beispiel und schuf die Karosserie der Studie mit der Bezeichnung XP-755. Sie wurde später weltberühmt, weil sie als die wohl schönste Interpretation des Corvette-Themas gelten kann. Der Grund ist ihre Form, die sich sehr stark an der Natur orientiert, und solche Formen haben es bekanntermassen beim menschlichen Auge leichter.
Auch die Details wie Kiemen oder die Knopfaugen des Vorbilds fanden Eingang im Designkonzept. Im Kofferraumdeckel befanden sich zwei Bremsklappen, deren verspiegelte Unterseiten versenkt angeordnete Bremsleuchten sichtbar machten. Glücklicherweise wurde auf die Nachbildung der Flossen verzichtet. Mit etwas Phantasie kann man in der Seitenansicht die Windschutzscheibe als Rückenflosse interpretieren.
Futuristische Plexiglas-Blasen als Dachersatz beim „Shark“
Der XP-755 hatte zu diesem Zeitpunkt noch das „Double-Bubble“-Dach aus Alu-beschichtetem Lexan mit integriertem Rückspiegel. Im Heck sassen sechs kleine Knopfaugen, die als Leuchten fungierten. Die Krönung bildete die Nachbildung der naturgetreuen Tarnfärbung des Hais. Der blaue obere Bereich, der fliessend in einen weissen „Bauch“ überging, wollte Bill Mitchell aber nie so richtig gefallen. Die Lackierer sollten sich noch näher am Vorbild orientierten. Nach mehreren Versuchen war Mitchell immer noch unzufrieden.
Da ersannen die Prototypenbauer eine List. Sie entführten nachts das Hai-Modell aus dem Arbeitszimmer und lackierten es analog zum Konzeptfahrzeug. Mitchell merkte nichts von dem Betrug und war mit der guten Arbeit seiner Jungs hochzufrieden.
„Mako Shark“ als modifizierte Neuauflage
Allerdings gibt es von dieser Legende noch eine zweite Variante, genauso wie es auch vom XP-755 eine zweite Version gab. Nach der Ausstellung in New York wurde die Plexiglashaube entfernt, die Front bekam eine überarbeitete Motorhaube mit Luftaustritten, und die spitze Nase eine Chromstossstange verpasst. Auch Details im Interieur und die Speichenräder wurden überarbeitet. Erst jetzt wurde der Wagen, der bisher intern nur „Shark“ genannt worden war, zum „Mako Shark“ umbenannt. Und er bekam eine neue Lackierung. Das bisherige, einem echten Hai nachempfundene, blasse Blau wich einem kräftigen Marineblau.
Da setzt die Phase 2 der Legende ein: Bill Mitchell soll von der neuen Farbgebung so begeistert gewesen sein, dass er sein Hai-Modell im Arbeitszimmer ebenfalls in Marineblau umlackieren liess. Welche der beiden Legenden nun die wahrscheinlichere ist, muss der Phantasie überlassen werden. Schön sind beide ...
Falsch ist allerdings, dass der XP-755 die zweite Corvette-Generation beeinflusst habe. Diesen Eindruck sollten die Besucher der New Yorker Messe zwar bekommen. Aber der 1963er Serien-C2 basierte stylistisch auf dem XP-87 Stingray Racer von 1959 und war schon längst fertig, als der erste Shark 1961 in New York gezeigt wurde.
Komplettumbau im Interieur
Das Interieur des ersten Shark war von der Architektur und Instrumentierung fast baugleich mit dem filigranen und sehr schwungvoll gezeichneten C1-Cockpit.
Beim Mako Shark wurde es komplett überarbeitet und hatte mit dem ursprünglichen Entwurf nichts mehr zu tun. Jetzt war es sehr massiv und gradlinig geworden, was damals als modern galt. Breite, gerade Holzplanken im Bootsstil liefen von Tür zu Tür unterbrochen von einer riesige Mittelkonsole mit sechs Instrumenten. Der ganze Aufbau war strikte sachlich und frei von Ornamenten und sah es jetzt mehr wie ein Serienauto als ein Showcar aus. Unter der Haube wurden allerdings diverse Experimentalmotoren verwendet.
XP-755 existiert nicht mehr
Laut Mark Jordan, dem Sohn des späteren Chef-Designers Charles „Chuck“ Jordan, existieren der Vorgänger XP-700 wie auch der erste XP-755 „Shark“ nicht mehr, weil sie beide im „Mako Shark“ aufgegangen sind, welcher heute zur historischen GM-Sammlung gehört.
Weitere Informationen
- AR Zeitung 9/1962 vom 1. März 1962, Seite 2: General Motors laboriert mit Traumwagen
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