Als Chevrolet im Spätsommer 1962 die neue Corvette (heute als C2 bezeichnet) vorstellte, musste sich mancher europäische Sportwagenbauer warm anziehen. Denn der “Sting Ray”, so wurde die neue Generation genannt, verfügte über eine moderne, aerodynamisch optimierte Karosserie und Einzelradaufhängungen rundum, während Maserati und Ferrari zu dieser Zeit weiterhin Autos mit Starrachsen hinten verkauften.
Die grosse Überraschung war aber das Erscheinen des Coupés, dem man sofort ansah, warum der Wagen Sting Ray hiess.
Das zweigeteilte Heckfenster
Die Corvette Baujahr 1963 (während der Entwicklung mit XP-720 bezeichnet) war nicht die erste, die den Beinamen “Sting Ray” trug. Diesen gab es bereits beim Prototyp XP-87, dem Stingray-Racer. Dieser baute ursprünglich auf einem Experimentalfahrzeug mit der Nummer XP-64 SS auf, wurde aber stetig technisch und optisch modifiziert.
Die Linien dieses Prototyps wurden in vielen Aspekten bei der Gestaltung der 63-Corvette übernommen, vor allem, was die Front- und Seitengestaltung anbetraf. Erstmals gab es eine Corvette mit Klappscheinwerfern. GM-Designer Bill Mitchell hatte ganze Arbeit geleistet.
Das Heck mit den vier Rundleuchten der Corvette Sting Ray aber entsprach fast komplett dem des Vorgängermodells C1, dort war es für das Baujahr 1961 eingeführt worden.
Während die offene Variante daher stark an den Vorgänger erinnerte, zeigte die Coupé-Version einen komplett neuen Look, der mit seiner zweigeteilten Heckscheibe und dem über das Dach führenden Mittelsteg an das Tier erinnerte, das dem Wagen den Namen gab: Stachelrochen.
Es war einer dieser Designkniffe, die den Wagen futuristisch und showcar-mässig machten, aber er brachte auch Nachteile mit sich. So war natürlich die Sicht in der Mitte eingeschränkt. Und schon bald empfand man eine grossflächige Heckscheibe als moderner, der Mittelsteg entfiel bereits für das Baujahr 1964. Zu grösserer Empörung führte das damals nicht, heute aber gehören die ersten Sting-Ray-Coupés zu den begehrtesten überhaupt - gerade wegen ihres zweitgeteilten Heckfensters.
Moderne Konstruktion
Unter der Kunststoffhaut der Corvette hatte sich für den neuen Jahrgang einiges getan. Die Hinterräder wurden nun, inspiriert durch den Prototypen CERV-1, unabhängig an Längs- und Querlenkern mit einer Querblattfeder geführt.
Diese Konstruktion sollte zu nur minimalen Spurveränderungen beim Durchfedern führen.Gebremst wurde zwar noch mit Trommeln, aber diese waren immerhin 18% grösser als beim Vorgänger (Scheibenbremsen gab es etwas später bei der C2). Weiterhin wies die Corvette einen massiven Rahmen mit Stahl-Längsträgern als Fahrgestell auf. Als erster amerikanischer Frontmotorwagen überhaupt ruhte bei der Corvette mehr Last auf der Hinter- als auf der Vorderachse. 1370 kg wurden als Basisgewicht angegeben, gegenüber dem Vorgänger war der Sportwagen in der Länge sogar um einige Zentimeter in der Länge (nun 445 cm) und beim Radstand geschrumpft.
Anfänglich wurden bewährte V8-Motoren mit Leistungen zwischen 250 bis 360 SAE-PS angeboten, die es mit Vergaser- und Einspritzbestückung gab. Gekoppelt waren diese mit Drei- und Vierganggetrieben oder der Powerglide-Automatik.
Mit dem Wattestäbchen gepflegt
Es war im Sommer 1963, als ein stolzer Käufer sein blaues, im November 1962 gebautes Coupé mit dem 5,3 Liter grossen und 300 PS starken V8-Vergasermotor übernehmen durfte. Er trug dem Wagen Sorge und das Ehepaar in Cape Coral (Florida), das ihn nach einigen Jahre übernahm, pflegte ihn sozusagen mit dem Wattestäbchen. So blieb die Corvette komplett original, nichts am Interieur musste je erneuert werden.
Als das Coupé dann nach Europa exportiert wurde, zeigte der Tacho erst 48’136 Meilen. Über Deutschland gelangte der Wagen schliesslich in die Schweiz, noch immer komplett original, eine Ausnahmeerscheinung. Nur neu lackiert musste er einmal werden. Heute steht die Meilenanzeige bei knapp über 50’000 Meilen, damit ist der Wagen eigentlich erst richtig eingefahren.
Bellezza
Man darf die 63-er Corvette als Coupé ohne Zweifel als Schönheit bezeichnen. Man kann sich kaum sattsehen an den schwungvollen Formen. Die elegant in das Dach hinein geführten Türen, der sich nach hinten verjüngende Dachaufbau, die gerundeten Kotflügel, die flache Front, der sparsam angebrachte Chrom. Alles ist aus einem Guss. Da verzeiht man sogar die Spielerei mit angedeuteten, funktionslosen Lüftungsöffnungen auf der Motorhaube.
Innen setzt sich der positive Eindruck fort. Klassische Rundinstrumente mit eleganter Zeichnung geben zusammengefasst in einem zentralen Armaturenbrett-Cluster vor dem Fahrer Auskunft über Geschwindigkeit, Drehzahl, Wassertemperatur, Öldruck, Ladezustand der Batterie und Benzinstand.
Die rechte Hand fällt direkt auf den runden Knauf der Gangschaltung. Der Rückwärtsgang wird durch einen Zuggriff entriegelt. Auch im innern gibt es etwas Chrom und elegante Metalloberflächen, die Rundungen des Armaturenbretts vor Fahrer und Beifahrer erinnern an den Vorgänger C1.
Am Lenkrad des Stachelrochens-Adonis
Problemlos gelangt man durch die weit öffnende Tür in den Innenraum. Nur das etwas tief liegende Lenkrad irritiert, ob das damals im Werk so für den ersten Besitzer eingestellt wurde? Der Fahrerarbeitsplatz überzeugt, die rechte Hand erweckt den V8-Motor zum Leben. Überraschend gedämpft klingt er im Innenraum, man hätte sich das gerne etwas “dreckiger” gewünscht.
Exakt rastet der erste Gang (links vorne) ein, auch Kupplungs- und Bremskräfte halten sich in Grenzen. Die Rundumsicht ist deutlich besser als erwartet, der Steg in der Heckscheibe stört viel weniger als erwartet. Einzig die Innenhöhe ist für angehende Sitzriesen etwas knapp.
Sie fährt sich ganz bequem und locker, die frühe C2-Corvette. Sicherlich könnte man es deutlich schneller angehen, aber dieses Auto überzeugt ja vor allem durch das blendende Aussehen, was soll man da auf Bestzeitenjagd gehen? Man sucht die hohen Drehzahlen nicht, schaltet früh in die oberen Gänge und beobachtet das Treiben draussen über die flache Motorhaube hinweg.
Den meisten voraus
Anstatt uns selber an Grenzbereiche anzutasten, hören wir lieber dem bekannten Rennfahrer und Autojournalisten Paul Frére zu, wie er im Januar 1963 die Corvette C2 beschrieb:
"Der Corvette Sting Ray gehört zu jenen nicht sehr zahlreichen Spitzenfahrzeugen, die im Fahrer neben dem Gefühl der Begeisterung auch das beklemmende Herzklopfen auslösen, das wohl auch der Bändiger eines halbgezähmten wilden Tieres empfinden muss. Am Lenkrad des Sting Ray sind viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen erforderlich, und die fast erschreckend hohe Motorisierung verlangt besonders am Anfang vom Fahrer allerhand Beherrschung. Der Sting Ray ist ein kerngesunder Wagen und folgt in schnellen Kurven dem Fahrer ganz genau. In engen oder mittelschnellen Kurven jedoch kann nur ein feinfühliger rechter Fuss das Durchdrehen der Antriebsräder und ein Ausbrechen des Hecks vermeiden. Der Fahrer muss sich anfangs daran gewöhnen, unter solchen Umständen nur einen Teil des enormen Drehmoments (58 mkg bei 4000 U/min) auf die Antriebsräder übertragen zu lassen.
Nach einiger Angewöhnung bildet die Motorleistung kein Problem mehr, denn der Wagen verfügt im Vergleich zum Corvette 1962 über eine ungleich bessere Strassenlage und lässt eine zügige, ja geradezu sanfte Fahrweise zu, die dem Vorgänger weniger lag. Der Motor ist tatsächlich so elastisch, dass man im vierten Gang störungsfrei mit Vollgas von 1000 U/min an beschleunigen kann.”
Frère beschleunigte die 360-PS-Version in sechs Sekunden auf 100 km/h, das amerikanische Magazin “Sports Car Graphic” schaffte den Standard-Sprint von 0 auf 60 Meilen pro Stunde in 5,6 Sekunden und notierte eine Höchstgeschwindigkeit von 151 Meilen pro Stunden (243 km/h). Es gab jedenfalls damals kaum Sportwagen, die dies viel besser konnten und falls doch, waren sie mindestens doppelt so teuer.
Unterschätzte Rarität
10’594 Split-Window-Coupés wurden durch General Motors gebaut, manches wurde in den Folgejahren mit der grossen Scheibe umgerüstet, viele dürften irgendwann auf der Strecke geblieben sein. Gerade in Europa sind sie rar geblieben, denn damals waren sie hierzulande
29’900 Franken teuer, was etwa 10 bis 15% mehr war, als das, was man für einen Jaguar E-Type bezahlen musste.
Die Preise sind bis heute, besonders seltene Motorisierungen ausgenommen, moderat geblieben, zumindest wenn man sie mit denen italienischer Exoten oder denen der Sportwagen aus Zuffenhausen vergleicht. Attraktiv ist das Sting Ray Coupé des ersten Baujahres aber sicherlich bis heute geblieben. Ein Blick auf das einzigartige Heck genügt, um das nachzuvollziehen. Viele Betrachter, der Autor dieser Zeilen eingeschlossen, halten denn auch den geschlossenen Sting Ray (C2) des ersten Baujahres für die schönste je gebaute Corvette.
Wir danken dem langjährigen Besitzer Daniel Amstutz für die Gelegenheit, die blaue Corvette mit Baujahr 1962 kennenlernen und fotografieren zu dürfen.
Weitere Informationen
- Automobil-Revue Nr. 42 / 1962 vom 27. Sept. 1962, Seite 17: Chevrolet baut neuen Corvette
- Automobil-Revue Nr. 45 / 1962 vom 18. Okt. 1962, Seite 21: Details vom Chevrolet Corvette Sting Ray
- Automobil Revue Nr. 5 / 1963 vom 31. Jan. 1963, Seite 19: AR-Kurzteste - Chevrolet Sting Ray (Bernhard Cahier)
- Automobil-Revue Nr. 1 / 1964 vom 9. Jan. 1964, Seite 17: Chevrolet Sting Ray - technisch analysiert
- Auto Motor und Sport, Heft 15 / 1963, Seite 26: Chevrolet Corvette Sting Ray
- Motor Revue Heft 45/1963: Die Corvette String Ray wird gebaut
- Sports Car Graphic Issue November 1962, ab Seite 18: Test Corvette Stingray 1963
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Das ist mMn schlichtweg falsch.
In der Diskussion über die Heckscheibe haben sich dann für das 64er Modell schließlich die Ingenieure gegenüber den Designern durchgesetzt.
Durch den toten Winkel des Stegs ist bereits ein Fahrzeug, das 50 hinter der SW herfährt, unter Umständen nicht mehr zu sehen.
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