Der König von Marokko namens Hassan II war gewiss ein Connaisseur. Kurz nach seiner Ernennung zum Monarch im März 1961 erhielt er am 3. April 1961 ein Bentley S2 Continental Drophead Coupé, eines der teuersten Autos jener Zeit. 81’000 Franken hätte das edle Stück in der Schweiz gekostet damals, rund doppelt soviel wie ein BMW 507, der teuerste Ferrari oder ein Mercedes-Benz 300 SL.
Vorgestellt im Jahr 1959
An der London Motor Show im Jahr 1959 hatten Rolls-Royce und Bentley ihren grossen Auftritt. Auf ihrem Stand zeigten der Rolls-Royce Silver Cloud II und der Bentley S2 stolz ihren neuen V8-Leichtmetallmotor. Nicht dass er (mit rund 190 PS aus 6230 cm3) viel stärker gewesen wäre als sein Sechszylinder-Vorgänger, aber er bot mehr Drehmoment und vor allem die Möglichkeit, eine Klimaanlage einzubauen.
Der Bentley S2 war wie sein Rolls-Royce-Bruder mit einer Viergang-Hydramatic ausgerüstet, schliesslich sollten die Lords nicht von Hand Gänge wechseln müssen. Auch die serienmässige Servolenkung stellte sicher, dass das Fahren eines Bentley nicht zur schweisstreibenden Angelegenheit wurde.
Natürlich wurde auch im Innern für den standesgemässen Komfort gesorgt, neu gestaltete Instrumente, ein edles Holzarmaturenbrett und viel Leder sowie elegante Teppiche stellten sicher, dass es Ihrer Lordschaft an nichts fehlte.
Das steifer gewordene Chassis in Form eines Kastenrahmens führte die Vorderräder an Trapez-Dreieckslenkern, die Hinterräder an einer Starrachse, deren Koblenstossdämpfer elektrisch in der Härte verstellt werden konnten, damit dem Fahrgast auch bei schlechten Strassen das Champagner-Glas nicht vom aufgeklappten Tischen purzelte.
5,38 Meter lang und 1,9 Meter breit war die viertürige Limousine bei 1,58 Metern Höhe, trocken wog sie 1980 kg (trocken).
Die Leichtbauvariante
Wer es sportlicher und exklusiver wollte, der griff statt zum “normalen” S2 Saloon zum S2 Continental. Er konnte aus verschiedenen von Hand gefertigten Aufbauvarianten auswählen oder sich gar nur das Fahrgestell kaufen.
Mulliner, James Young und Park Ward dengelten die meisten der Aufbauten, die sich gegenüber der Standardausführung durch weniger Gewicht und auch eine geringere Stirnfläche auszeichneten.
Ergänzt wurde das Paket durch verbesserte Bremsen, während sich der Rest der Technik kaum von der Standard-Limousine unterschied.
Das Park Ward Cabriolet
Der bereits 1939 von Rolls-Royce geschluckte Karosseriebauer Park Ward war für das elegante Cabriolet verantwortlich, das man Drophead Coupé nannte. Ähnlich zu einem Flugzeug wurde auf den Kastenrahmen eine Spantenstruktur aus Aluminium- und Stahlprofilen gesetzt und diese dann mit Leichtmetall- und Stahlblechen eingehüllt.
Die Form des DHC war sicherlich die modernste der gesamten Baureihe, sie erinnerte ein wenig an die Alvis Coupés- und Cabriolets jener Zeit, die bekanntlich unter dem Einfluss des Schweizer Carrossiers Herrmann Grabers entstanden waren.
Das Dach liess sich beim Park-Ward-Cabriolet fast komplett im Verdeckkasten verstauen, Elektromotoren sorgten beim Öffnen und Schliessen dafür, dass keine Handarbeit nötig war. Nur verriegeln musste man das Dach an der Windschutzscheibe manuell und auch die Persenning wollte händisch über das Dach gestülpt und verankert werden. Offensichtlich hielt man entsprechend auch eine Kurbel für die Seitenfenster noch angebracht, während die geschlossenen Versionen bereits mit elektrischen Fensterhebern punkteten.
Hoher Masstab
Nur wenige Zeitschriften hierzulande konnten dem Continental auf den Puls fühlen, eine davon war die Automobil Revue, die ihre Eindrücke 1960 unter anderem so beschrieb:
“Ein Erfassen dieser Fahrzeuge ist natürlich im Lauf einiger Stunden nicht möglich. Den-noch aber zeigte der Kurztest mit dem Cabriolet des Typs Continental (Unterschiede zu den anderen Wagen sind die leistungsfähigeren Vierbackenbremsen sowie die infolge der anderen Hinterachse höheren Geschwindigkeiten in allen Gängen), dass auch im neuen Modell wiederum ein Streben nach Vollendung in Konstruktion, Fabrikation und Fertigung verkörpert ist, das man sonst nirgends antrifft.
Obwohl es vor allem der neue grosse Leichtmetallmotor ist, der die jetzige Serie von ihren Vorgängerinnen unterscheidet, so waren es doch andere Dinge, die uns zuerst auffielen. So scheint der Komfort der beiden Hintersitze selbst im relativ kompakten Cabriolet eine neue Spitzenleistung. Auf schlechten und guten Strassen, auf der Geraden und in der Kurve fährt es sich dort wie in einem Abteil eines Luxuszuges, praktisch ohne Erschütterungen und ohne unangenehme Bewegungen der Karosserie.
Am Lenkrad erkennt man die wesentlich bessere Beschleunigung, die allerdings durch das Wegfallen von Motor- und Getriebegeräuschen in erster Linie am raschen Bewegen des Geschwindigkeitszählers, und am zunehmenden Tempo, mit dem die Umgegend am Wagen vor- beifliegt, festgestellt wird. 160 km/h ist ein angenehmes Reisetempo, bei dem der Wagen auf leichten Gaspedaldruck hin noch unvermindert weiterhin beschleunigt.
Auch in seiner neuen, leichter zu lenkenden und viel leistungsfähigeren Version bleibt der Bentley ein Genuss für jeden feinfühligen Fahrer und hält mit seinem Bruder Rolls-Royce zusammen unangefochten die Spitze im Automobilbau.”
Teuer und selten
388 S2-Continental-Fahrgestelle entstanden zwischen 1959 und 1962, gerade einmal 125 davon erhielten die Park-Ward-Cabriolet-Karosserie in Links- oder Rechtslenker-Ausführung. Kein Wunder blieb die Version selten, denn sie kostete gegen 40% mehr als die mit 59’000 Franken auch nicht gerade wohlfeile Standard-Limousine, die man “Saloon” nannte.
Abgelöst wurde der S2 dann vom S3, der dann als Park Ward Cabriolet die berühmten "chinesischen Augen" aufwies.
Genuss ohne Reue
Schon das Einstiegen gerät zum Genuss. Wer seine Füsse über die mit “Park Ward” beschrifteten Türschwellen auf den flauschigen Teppich setzt, ist “oben” angekommen. Kaum ist der V8-Motor gestartet, verfällt er in einen tiefen und kaum hörbaren Leerlauf.
Mit dem rechts am Lenkrad liegenden Wahlhebel wird die Automatik auf Vortrieb gesetzt (Position 4 im Normalfall) und los geht die Fahrt. Der drehmomentgesegnete 6,2-Liter schaltet früh und schon bald gleitet man mit knapp 1500 Umdrehungen dahin, geniesst die tolle Aussicht und den hervorragenden Federungskomfort, der nur in Kombination mit grossen Rädern und (trotz Leichtbau) hohem Gewicht auf diese Weise möglich war.
Ob König Hassan II am eleganten Cabriolet wohl Freude hatte? Jedenfalls wechselte der Wagen mit Chassisnummer BC14 LGZ schon bald den Besitzer. Seine heutige Ausstrahlung verdankt der Wagen einer Komplettrestaurierung im neuen Jahrtausend, die dem Wagen auch einen Preis am Concours von Kuwait eintrug. Und damit dürften auch die nächsten 50 Lebensjahre des Wagens gesichert sein, er dürfte selbst die Nachkommen Hassans II überdauern.
Wir danken der Galerie Fischer, die den Bentley S2 Continential DHC von 1961 am 28. Mai 2016 versteigern wird, für die Gelegenheit zur Fotosession und Probefahrt.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 46 / 1959 vom 29.Okt.1959 - Seite 17: Londoner Earls Court Show
- AR-Zeitung Nr. 18 / 1960 vom 14.Apr.1960 - Seite 17: Kurztest Bentley Continental Cabriolet
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