Donald Healey war kein Unbekannter, als er auf dem Londoner Autosalon 1952 einen neuen Sportwagen präsentierte. Schon 1931 siegte er bei der Monte Carlo Rallye und in den Nachkriegsjahren konzipierte und baute er mit einigem Erfolg Kleinseriensportwagen wie den Healey Silverstone oder den Nash-Healey.
Der neue Sportwagen, den Donald als Healey Hundred am 21. Oktober 1952 vorstellen wollte, wurde noch vor Messeeröffnung in Austin-Healey 100 umbenannt, nachdem Healey und Sir Leonard Lord, damals Chef der British Motor Company, eine Zusammenarbeit vereinbart hatten und Austin den neuen Sportwagen in Longbridge in grossen Stückzahlen bauen wollte.
Der einfache Roadster mit Plattformrahmen und Vierzylindermotor wurde zum Erfolg, auf der Strasse und auf Rennstrecken.
Wenn der Motor nicht mehr produziert wird
Mitte der Fünfzigerjahre plante die British Motor Company, den grossen Vierzylinder, der im Austin-Healey 100 installiert war, aufzugeben, um die Motorenpalette zu vereinheitlichen. Für die Nutzung im Sportwagen sollte fortan der C-Series-Motor mit sechs Zylindern und 2,6 Litern Hubraum zum Einsatz kommen, ein Aggregat, das bei Morris entwickelt worden war. Gleichzeitig mit der Motoren-Transplantation wurde auch der Radstand um fünf Zentimeter verlängert und Platz für zwei Notsitze geschaffen mit dem Ergebnis, dass der Roadster rund 130 kg schwerer wurde.
Weil gleichzeitig der BMC-Reihensechszylindermotor mit rund 86 PS Maximalleistung schwächer als der Vierzylinder im Austin-Healey 100 war, musste der Triebsatz zuerst einmal in der Leistung gesteigert werden. Mit einer Zweivergaseranlage von SU und einer Kompressionserhöhung auf 8.25:1 schauten schliesslich 102 PS bei 4600 Umdrehungen heraus.
“Bereits die Leistung des bisherigen Healey 100 als privater Sportwagen und als Rennsportwagen hat die Automobilwelt beeindruckt. Zweifellos wird der neue Austin Healey 100 Six mit seinem 6-Zylinder-Motor und seinen vier Plätzen neue und noch grössere Popularität erringen”, schrieben die Texter in den Verkaufsprospekt und lobten zusätzlich die “noch eleganteren Linien”.
Weniger sportlich?
Die Fachwelt reagierte zunächst etwas skeptisch, schliesslich war das Leistungsgewicht deutlich über 10 kg pro PS gestiegen. Doch erste Probefahrten zeigten, dass der neue Motor ein Gewinn war. Die Automobil Revue schrieb: “Besonderen Spass bereitet das Beschleunigen im vierten Gang auf etwa 130 km/h, um dann durch Umlegen des Schnellganghebels die Tourenzahl um rund 1000 U/min zu senken; in hügeligem, ja sogar gebirgigem Gebiet kann über grosse Distnazen im bis auf fast 130 km/h reichenden dritten Gang gefahren werden … hier kommt das gesteigerte Drehmoment und die Elastizität des Sechszylindermotors deutlich zum Ausdruck … Die Spitzengeschwindigkeit dürfte im offenen Zustand bei 160 bis 165 km/h liegen, während mit Verdeck und Seitenscheiben 175 km/h erreicht werden sollten … ."
Im Grossen und Ganzen war der Austin-Healey natürlich der alte geblieben, neu mass er in der Länge nun exakt vier Meter, die Breite betrug 154 Zentimeter. Weiterhin knapp blieb die Bodenfreiheit mit 14 Zentimeter.
Der englische Autotester John Bolster nahm sich den neuen Healey mit Stoppuhr vor. 60 Meilen erreichte er aus dem Stand in 13,2 Sekunden, als Spitzengeschwindigkeit mass er 167,3 km/h. Und er war angetan vom neuen Wurf und meinte, dass er wertvoller aussehe als er sei und dass man ihn deswegen oft mit deutlich teureren Sportwagen vergleiche. Er gestand dem 100 Six gute Alltagsqualitäten zu und bezeichnete ihn als idealen Gefährten für die lange Reise. Er sei ein würdiger Nachfolger für das Modell 100, meinte Bolster.
Leistungszugabe
Zeitlich im Einklang mit der Vorstellung des neuen Modells, das unter anderem am Pariser Autosalon im Spätherbst 1956 gezeigt wurde, erzielten Austin-Healey-Fahrzeuge mit Sechszylindermotor Geschwindigkeitsrekorde in Bonneville. Doch der Ruf nach mehr Leistung wurde trotzdem laut. Und spät im Jahr 1957 konnte die Leistung des Sechszylinders dann durch eine Neugestaltung der Einlassseite von 102 auf 117 PS (bei 4700 U/min) gesteigert werde. Die Grundlagen für diese Modifikation hatte man mit den Rekord- und Rennwagen jener Zeit gelegt.
Road & Track fühlte der 117-PS-Variante im April 1958 den Puls. Den Spurt auf 60 Meilen schaffte der 1309 kg schwere Testwagen mit zwei Personen an Bord in 10,4 Sekunden, als Höchstgeschwindigkeit wurden 175 km/h geschätzt. Gutes Aussehen, kompakte Abmessungen, Zuverlässigkeit, adäquate Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig vernünftigen Anschaffungskosten (USD 2995) waren für Road & Track die Vorzüge des Sechszylinder-Healeys.
Im Juni 1958 wurde mit dem BN6 eine zweisitzige Variante des Sechszylinders eingeführt. Die Hoffnungen auf zusätzliches Absatzpotential hatte der “Viersitzer” BN4 zwar erfüllt, viele Kunden aber gaben sich gerne mit zwei Sitzen (und mehr Stauraum) zufrieden und so konnten gar mehr BN6 als BN4 verkauft werden. Insgesamt konnten von 1956 bis 1959 14’436 100-Six-Varianten gebaut werden, die nur zwei Jahre gebauten Zweisitzer machten nicht ganz einen Drittel der Gesamtproduktion aus.
Mit dem Pressewagen an die Mille Miglia
Um die Leistungsfähigkeit der Autos zu demonstrieren, baute man bei Austin-Healey einige BN6-Werksrennwagen auf, die aber relativ nahe an der Serienspezifikation waren. Typischerweise wurden sie in einem leuchtenden Rot gespritzt und trugen ein weisses Hardtop. Eine Ausnahme bildete der viersitzige Rennwagen, der 1957 an der Mille Miglia teilnahm. Eigentlich handelte sich dabei um den Pressewagen mit dem Kennzeichen “UOC 741” aus dem Jahr 1956, der mit dem neuen Zylinderkopf und vier Scheibenbremsen ausgerüstet worden war.
An der letzten Mille Miglia des Jahres 1957 fuhren Tommy Wisdom und Cecil Winby auf den hervorragenden 37. Gesamtplatz, in der Preisklasse wurden sie sogar ganz vorne klassiert und dies mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 122 km/h für die 1000 Meilen. Die 100 Six rannten aber auch bei anderen Strassenrennen sowie bei Rallyes und auf der Rundstrecke mit guten Erfolgen.
Ablösung durch den Dreiliter
Im Jahr 1959 erfolgte die Ablösung des 100 Six durch den Austin-Healey 3000, den man zunächst BN7 (zweisitzig) und BT7 (viersitzig) nannte.
Allerdings wurden bei den neuen Modellen offenbar am Anfang noch alte Beschriftungen montiert, was im Nachhinein zu Verwirrung stiftete. Auch die Dreilitervarianten waren erfolgreich und wurden bis 1967 gebaut,
Sportlich, sportlich
Der 100 Six gehört mit seinem Vorgänger 100 und seinem Nachfolger 3000 zu den beliebtesten Klassikern überhaupt. Bereits 1982 fuhr Johannes Hübner für die Zeitschrift Oldtimer Markt den damals erst zum Youngtimer gereiften Roadster und zeigte sich positiv angetan. Daran hat sich nichts geändert, ausser dass weitere 30 Jahre vergangen sind, in denen sich natürlich die restliche Autowelt stetig weiterentwickelt hat und der Abstand zum Fünfzigerjahre-Sportwagen grösser wurde. Entsprechend einfach und übersichtlich kommt einem der 100 Six vor, wenn man sich hinter das Lenkrad setzt.
Gestartet wird per Knopf und der erste Gang ist unsynchronisiert. Das Schaltschema in Form eines “H” ist Standard und die Gänge lassen sich auch mit der linken Hand (im Rechtslenker) problemlos einlegen, die Schaltwege und der lange Wahlhebel sind typisch für ein fast 60-jähriges Auto. Die Freude kommt vom Motor, der mit viel Drehmoment und einer sonoren Geräuschentwicklung aufwartet.
Das Lenkrad nahe an der Brust sitzt man aufrecht in den bequemen Kübelsitzen. Auch eine Körperlänge von über 1,8 Metern sind kein Grund, den Healey zu meiden. Das Fahrwerk ist straff, die Trommel-Bremsen verzögern artgerecht. Richtig Spass macht der Roadster natürlich offen und auf serpentinenartigen Strassen, während die Autobahn oder Stadtverkehr deutlich weniger Freude bereiten, was nur wenig überrascht.
Welche Variante ist vorzuziehen, der Vierzylinder, der 100 Six oder die späteren Dreilitermodelle? Die Antwort fällt nicht leicht und ist letztlich Geschmacksache. Der 100 Six mag etwas weniger sportlich sein als der leichtere Vierzylinder und etwas weniger komfortabel als der Nachfolger 3000, aber für viele dürfte genau dieser Kompromiss die richtige Lösung sein. Freude am Fahren vermitteln alle Healeys und wer den kräftigen Sechszylinderbass und gleichzeitig nach einem möglichst einfach konstruierten Sportwagen giert, ist im 100 Six perfekt aufgehoben.
Wir danken der Galerie Fischer , die den portraitierten Austin-Healey 100 Six von 1958 am 28. Mai 2016 anlässlich der Swiss Classic World versteigern wird.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 43 / 1956 vom 03.Okt.1956 - Seite 19: Englische Sportwagen im Zeichen der Weiterentwicklung
- Autosport, 12. Oktober 1956: John Bolster tests the Austin-Healey 100 Six
- Road & Track Issue April 1958, ab Seite 37: Roadtest Austin-Healey Mille Miglia
- Oldtimer Markt Heft 10/1982, ab Seite 12: Austin Healey 100/6 (Fahrbericht)
- Website “Austin-Healey 100 Six” in englische Sprache
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