1961 präsentierte Bertone an seinem Genfer Salonstand mit dem „Jet“ eine überaus interessante Variation zum Thema Aston Martin DB4. Der verantwortliche Designer hiess Giorgetto Giugiaro.
Dass sich Bertone um ein Produkt aus Newport Pagnell kümmerte, war eine Überraschung, weil man mit Touring und Zagato bereits zwei italienische Styling-Unternehmen an Bord hatte.
Am 18. Mai wird das Einzelstück von Bonhams in Newport Pagnell versteigert. Es befand sich seit 1986 in Schweizer Besitz.
„Letzter“ von 102 DB4 GT geht zu Bertone
Der Aston Martin DB4 war 1958 mit seiner Superleggera-Aluminium-Karosserie im Mailänder Touring-Designkleid schon eine Sensation. Doch diese wurde noch übertroffen , als ein Jahr später der rennmässig aufgezäumte Prototyp mit der Bezeichnung DP/199 und Stirling Moss am Lenkrad sein erstes Rennen in Silverstone gewann.
Auf Basis dieses Wagens entstand ab September 1959 der Leichtbau-DB4 GT mit um 12,6 cm verkürztem Radstand, dünnerem Aluminium und kleineren optischen Retuschen wie den zurück gesetzten Scheinwerfern unter Plexiglas. Parallel baute man die Zagato-Versionen und schliesslich den Bertone-Jet.
Die Nummerierung der Fahrgestelle ist allerdings etwas verworren. Der erste Zagato beispielsweise trägt die Nummer 0200. Die weiteren 18 Autos wurden rückwärts nummeriert, um bei den Zulassungsbehörden den Eindruck zu erwecken, es wären bereits hundert DB4 GT gebaut worden. Als dann die Entscheidung fiel, noch ein Fahrgestell zu Bertone nach Turin zu geben, bekam es die Nummer 0201L.
Somit ist der Jet das Auto mit der höchsten Fahrgestellnummer, aber nicht der letztgebaute DB4 GT, denn dieser Typ wurde auch danach bis 1963 weiter hergestellt. In den Jahren 1988 und 1996 entstanden sechs Werks-Repliken des Zagato mit nicht verwendeten (tieferen) Chassis-Nummern, welche mit Sanction II und III bezeichnet werden.
Nach dieser Zählweise gibt es insgesamt 102 Exemplare des DB4 GT: 1 Prototyp, 75 Serienfahrzeuge, 19 Zagato, 1 Jet, 4 Sanction II, 2 Sanction III.
Bertone-Stahlkarosserie anstelle Superleggera-Aluminium
Bereits 1960 kam Nummer 0201 zu Bertone und wurde dort als „Jet Bertone Berlinetta“ komplett neu konzipiert. Der damals noch sehr junge Giorgetto Giugiaro entwarf eine zweisitzige, gestreckt und elegant wirkende Coupé-Karosserie mit Stufenheck. Der DB4 und die Zagatos hatten hingegen jeweils ein Fliessheck. Im Frontbereich erinnerte der Jet etwas stark an Ferrari. Das lag insbesondere daran, dass der typische Aston-Grill mit mittiger Überhöhung sehr reduziert daher kam.
Im Heckbereich aber war die Studie sehr eigenständig und überaus modern. Das niedrige und fliessende Heck mit flächig in die Karosserie integrierten Heckleuchten wirkte sehr stimmig und liess die Rennambitionen der DB4 GT-Basis völlig vergessen. Komplettiert wurde die Optik durch 16 Zoll-Borrani-Räder mit Alu-Felgenringen, 42 Stahl-Speichen und Zentralverschlüssen.
Schwerer und komfortabler
Während der GT dank von 1,6 auf 1,3 mm reduzierter Aludicke und weiteren Massnahmen fast 90 kg leichter als der Serien-DB4 war (1240 anstelle 1326 kg), drehte der Jet die Gewichtsschraube in die andere Richtung. Zwar hatte auch er den verkürzten Radstand, aber die Karosserie bestand jetzt aus Stahlblech.
Die GT-Scheiben, die teilweise aus Plexiglas waren und viele andere gewichtssparende Weglassungen machte Bertone wieder rückgängig, weil der Jet nicht für Motorsport-Einsätze gedacht war. Das Gewicht dürfte dadurch rund 100 kg über dem eines serienmässigen Alu-DB4 zu liegen gekommen sein.
Insgesamt zeigte sich der Jet stabiler als der leichtgewichtige GT und der fragile Zagato. Die Zeitschrift „Octane“ bestätigte bei einer Probefahrt, dass der Jet wesentlich ruhiger auf der Strasse läge als die eher nervösen DB4 GT und Zagato.
Originale DB4 GT-Technik
Doch alle anderen GT-Goodies blieben an Bord. In erster Linie die geniale Tadek Marek-Entwicklung in Form eines 3,7-Liter-Aluminium-Reihensechszylinders mit Doppelzündung, Dreifach-Weber-Vergasern und 302 anstelle von 240 PS. Die Leistung gab ein Vierganggetriebe an die hintere Starrachse mit Wattgestänge weiter. Gebremst wurde mit vier Girling-Scheibenbremsen.
Dieses Paket ermöglichte den Sprint auf hundert in rund sechs Sekunden, eine Beschleunigung von 0 auf 160 km/h mit Vollbremsung auf null in 20 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von über 240 km/h. Diese Werte galten für den DB4 GT, die Fahrleistungen des Jet dürften etwas schlechter gewesen sein.
Das Interieur war mit schwarzen Conolly-Leder und grauen Wilton-Teppichen sehr luxuriös ausgestattet. Die Cockpit-Hutze wies nicht die Aston-typische Form auf, sondern war schmaler und umfasste lediglich die zwei Hauptinstrumente. Die sechs Zusatzuhren waren in der Mitte zum Fahrer hin geneigt platziert. Das offene Handschuhfach war mit einem Chrom-Haltegriff versehen. Das Dreispeichen-Holzlenkrad hingegen blieb das gleiche wie im Serien DB4 GT.
Der Kofferraum wurde komplett durch den grossen Tank und das Reserverad in Beschlag genommen. Das Gepäck musste somit hinter den beiden Sitzen verstaut werden.

Das Ergebnis parkte 1961 zuerst am Genfer, später am Turiner Salon auf dem Bertone-Stand. In Genf schaffte es der Jet sogar auf die Titelseite der Automobil Revue. Doch unglücklicherweise fand gleichzeitig die Weltpremiere des sensationellen Jaguar E-Type statt, so dass dem Jet die gebührende Beachtung durch Presse und Besucher versagt blieb.
Und vielleicht ist dies auch der Grund, dass es beim Prototyp blieb. Schade eigentlich, denn Potenzial, die kommenden DB5- und 6-Serien zu beeinflussen, hätte der Jet zweifellos gehabt.
Fast 30 Jahre in Schweizer Händen
Nach den Präsentationen 1961 wanderte der grünlich-anthrazit metallic lackierte Jet zu einem Sammler nach Beirut, Libanon, aus und kam später in die USA. In den frühen achtziger Jahren kaufte Aston-Martin-Chef Victor Gauntlett das Auto zurück und stellte es in seine Sammlung. Es war zwischenzeitlich restaurationsbedürftig geworden und dämmerte unter einer Abdeckung im Werk Newport Pagnell vor sich hin.
Dort entdeckte der Basler Apotheker Hans-Peter Weidmann das Unikat im Jahr 1984. Erst nach längerem Nachfragen erfuhr er die genaue Geschichte des Wagens. 1986, als Gauntlett und Aston Martin Geld brauchten, hatte Weidmann schliesslich Erfolg, und er konnte den Jet kaufen. Allerdings unter der Bedingung, dass der Basler ihn im Werk fertig restaurieren liess.
Chef-Restaurator Kinsley Riding-Felce persönlich kümmerte sich um die Restaurierung. Schliesslich konnte Weidmann 1989 den Wagen praktisch in Neuzustand nach Basel überführen. Von dort aus ging er zu allen wichtigen Ausstellungen dieser Welt, wo er sämtliche ersten Plätze belegte (s. Liste unten). Allein nach Pebble Beach wurde Weidmann dreimal eingeladen, was die enorme Bedeutung dieses Einzelstücks belegt.
Doch ab 2007 wurde der GT nicht mehr als Showcar, sondern als Tourenwagen genutzt, wofür er schliesslich auch gebaut worden war. Er spulte viele Kilometer ab. Unter anderem die Strecke San Francisco – Vancouver: 950 Meilen mit nur einem Tankstopp. Der Tankinhalt beträgt gemäss Weidmann etwa 125 Liter.
Grandioses Einzelstück kommt unter Bonhams-Hammer
Obwohl der DB4 GT die in ihn gesteckten Erwartungen im Wettkampf gegen Ferrari nie ganz erfüllen konnte und sich Aston Martin deshalb ab 1963 werksseitig nicht mehr am Motorsport beteiligte, war er dennoch ein Meilenstein als grandioser Gran Turismo für Rundstrecke und Strasse.
Heute erreichen DB4 GTs praktisch in jeder Währung siebenstellige Preise, die noch selteneren Zagato-Versionen werden zu noch höheren Preisen gehandelt, wenn sie überhaupt mal angeboten werden.
Der Bertone Jet (Chassis Nr. 0201L – Motor-Nr. 370/0201/GT) dürfte als Einzelstück gar für einen astronomischen Zuschlagspreis gut sein. Bonhams spricht vom begehrenswertesten Aston Martin, der aktuell weltweit angeboten wird. Dem ist wohl kaum zu widersprechen. Auch der Schätzpreis von 2,8 bis 3,8 britischen Pfund (4 bis 5,4 Millionen Schweizer Franken oder 3,3 bis 4,4 Millionen Euro) ist für dieses einmalige Auto sicher nicht zu hoch gegriffen. Seit dem 18. Mai 2013 wissen wir es genau, denn an ein Käufer berzahlte 3,25 Millionen Pfund (3,83 Millionen Euro oder 4,78 Millionen CHF) für das Einzelstück.
Auszeichnungen des Bertone Jet seit der Restaurierung
- 1989 Pebble Beach, 1. Platz „Italian Coachwork“
- 1991 London, Hurlingham Club, „Best of Class“
- 1991 Silverstone, Aston Martin Owners Club, Gesamt- und Klassensieg
- 1992 Paris, Bagatelle, „Best of Class“
- 1997 Pebble Beach, 2. Einladung
- 2001 Villa D‘Este, „Best of Class“ und „Best of Show“
- 2001 Düsseldorf, „Best of Class“ und „Best of Show“
- 2001 Schloss, Schwetzingen, „Best of Class“
- 2001 RAID, Basel, „Best of Show“
- 2005 New York, „Best of Class“
- 2007 Pebble Beach, 3. Einladung
- 2007 Holland, Het Loo, „Best of Class“
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 14/1961 vom 23. März 1961 - Seite 1: Präsentation des Aston Martin DB 4 GT Jet am Genfer Salon 1961
- AR-Zeitung Nr. 11/1961 vom 16. März 1961 - Seite 7: Italienische Karosserien in Genf 1961
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