In den Jahren 1936 bis 1939 baute Aston Martin das Modell 14/98 in zwei und viersitziger Konfiguration als typischen Sportwagen der Zeit mit langer Haube, ausstehenden Kotflügeln und rudimentärer Technik. Dass dieselbe Firma im Jahr 1939 den Prototyp Atom auf die Beine stellte, war somit ein radikaler Bruch mit Traditionen. Kaum ein Auto jener Zeit war derartig visionär.
Zukunftsgerichtete Ideen
Gordon Sutherland, der Sohn von Sir Arthur Sutherland, der 1932 die Firma Aston Martin gekauft hatte, amtete in den Dreissigerjahren als Chef der Sportwagenfirma in Feltham. Und er war ein Mann mit Weitblick. Er war überzeugt, dass der Mensch nach Mobilität strebte und dass das Automobil hier eine wichtige Position einnehmen würde. Für diese Zielgruppe wollte er eine sportliche und effiziente Limousine bauen, die dem Geist Aston Martins entsprechen sollte.
Leicht und kompakt
Sutherland setzte sich also mit seinem begabten Chefingenieur und Designer Claude Hill zusammen und definierte das Pflichtenheft: Klein, leicht, geschlossen sollte der Wagen sein und eine Strassenlage kombiniert mit Komfort offerieren, wie dies die besten Sportwagen der Zeit boten.
Gordon Sutherland hatte reichhaltig Erfahrung mit den verschiedensten Wagen aus europäischer Produktion und übernahm zukunftsgerichtete Lösungen, erfand eigene dazu.
So entstand eine 4,43 Meter lange und nur 1,54 Meter breite Limousine mit vier an der B-Säule angeschlagenen Türen mit einer windschlüpfrigen Karosserie, einem Vierzylindermotor und einer angetriebenen Hinterachse.
Damit wäre der Atom, wie der Wagen genannt wurde, als der Begriff noch für Zukunft und Wissenschaft, nicht aber für Bomben und Kriegsopfer stand, aber noch keine Innovationsleistung gewesen.
Innovative Lösungsansätze
Einmalig wurde der Wagen unter anderem deshalb, weil er eine von Sutherland konstruierte und patentierte Vorderachse mit einzeln aufgehängten Rädern aufwies, weil die Gänge elektromagnetisch mit einem Cotal-Getriebe gewechselt wurden und weil die Karosserie aus Aluminiumpanelen bestand, die über ein Gerippe aus Vierkantrohren geschraubt und gewölbt wurden.
Zukunftsweisend waren auch die hängemattenähnlichen Frontsitze, die sich Sutherland wohl bei Flugzeugen abgeguckt hatte und die man zum Beispiel viele Jahre später auch beim Fiat Panda wiederfand.
Sensationell
Die nicht gerade von Neuigkeiten und Sensationen strotzende britische Autopresse jedenfalls hiess den Wagen als Zukunftslösung willkommen. “Die Zukunft heute”, schrieb die Zeitschrift “The Autocar”, andere bezeichneten den Prototypen als Vertreter eines neuen Automobil-Zeitalters, als sie ihn 1939/1940 zum ersten Mal zu Gesicht kriegten.
Für die Serienproduktion vorgesehen
Sutherland wollte den Atom in Serie produzieren. Als Motor war die Maschine aus dem Modell 14/98 eingebaut, der Prototyp war voll fahrfähig und damit eines der ersten komplett funktionsfähigen Konzeptautos überhaupt in der Geschichte des Automobils.
Der Krieg kam den Plänen allerdings in den Weg. Immerhin wurde der Atom im Jahr 1940 für den Strassenverkehr zugelassen, als eines von gerade einmal 750 Fahrzeugen, die in jenem Jahr registriert wurden.
Alltagstauglich
Sutherland fuhr den Aston Martin Atom über rund 100’000 Meilen und testete ihn im Alltag, brachte seine Kinder zur Schule damit und setzte ihn ein, wann immer er Benzin tanken durfte und Gelegenheit hatte.
Im Jahr 1944 wurde anstelle der ursprünglich eingebauten Maschine mit 1950 cm3 und obenliegender Nockenwelle der neue von Claude Hill konzipierte Vierzylinder mit zwei SU-Vergasern, 1973 cm3 und 82 PS montiert. Allerdings war der Aston auch damit kein ausserordentlich sportliches Fahrzeug, denn die stabile Bauweise und die gewichtige Mechanik trieb das Leergewicht auf über 1200 kg. Immerhin 170 km/h und ein Spurt in weniger als 20 Sekunden von 0 auf 100 km/h sollen aber möglich gewesen sein.
Der Retter von Aston Martin
Die wichtigste Rolle, die der Aston Martin Atom aber wohl innehatte, war die des Retters von Aston Martin. Als die Finanznöte nämlich im Jahr 1946 Sutherland zum Verkauf zwangen, war der Prototyp neben gemieteten Geschäftsräumen und einem Vertrag mit Claude Hill so ziemlich das einzige, was einen Käufer überzeugen konnte. Der Interessent David Brown jedenfalls unternahm eine Probefahrt, war vom Handling und der Konstruktion angetan und entschied sich dafür, Aston Martin für 20’000 Pfund zu übernehmen.
In Serie produzieren wollte er den Atom aber nicht, er verlangte von Claude Hill ein sportlicheres Fahrzeug, aus dem der DB1 entstand.
Restauriert und ausgezeichnet
Rund 250’000 Meilen hat der Aston Martin in seinem Leben zurückgelegt, eine eindrucksvolle Fahrleistung für ein Konzeptfahrzeug. David Brown verkaufte den Prototyp im Jahr 1949 und einer der späteren Besitzer soll der Patensohn von W. O. Bentley gewesen sein, der damit während seines Militärdienstes rückwärts im vierten Gang über den Exerzierplatz gefahren sein soll.
1985 kaufte Tom Rollason den zuletzt vor allem in Museen gezeigten Wagen und restaurierte ihn während rund 10 Jahren, um ihm wieder die Spezifikation zu geben, die er bei der Probefahrt mit David Brown hatte. Dabei wurde soviel wie möglich aufgearbeitet, um die Originalsubstanz weitestgehend zu erhalten.
Seither wurde der Wagen an ausgewählten Concours-Veranstaltungen gezeigt, wo er immer wieder bewundert und auch einige Male ausgezeichnet wurde.
Würde die Welt heute anders aussehen, wenn der Aston Martin Atom damals in Serie gegangen wäre? Vermutlich nicht, aber auch heute noch beeindruckt die Studie mit einem für die Zeit zukunftsweisenden Design und mit interessanten Details.
Der Aston Martin Atom wird von Bonhams anlässlich des Goodwood Festival of Speed am 27. Juni 2014 versteigert . Einen Schätzpreis wird nicht genannt, einige Hunderttausend Pfund werden aber schon erwartet und die Bonhams-Verantwortlichen meinten, dass sogar siebenstellige Zahlen denkbar wären. Soll es der Markt entscheiden ...
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