Er stand als Traumwagen und Vision an der Weltausstellung von 1967 in Montreal und drei Jahre später wurde er Realität, ein weiteres Jahr später konnte man ihn sogar kaufen, den Alfa Romeo Montreal, gedacht als Spitze der Modellpalette des Mailänder Herstellers.
Alfa-Luxus-GT-Tradition
Schon mit dem Alfa Romeo 6C 2500 hatte der italienische in den Nachkriegsjahren einen gefragten Luxussportwagen im Angebot und einige Jahre später konnte man mit dem Alfa Romeo 2600 Sprint wiederum fortschrittliche Technik in attraktivem Kleid offerieren. Bertone hatte mit dem auf der Giulia TZ basierten Alfa Romeo Canguro , gezeichnet von Giorgetto Giugaro, gute Arbeit geleistet, also war es kein Zufall, dass auch in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre wieder eine Zusammenarbeit zwischen Bertone und Alfa Romeo zustande kam, um ein Konzeptfahrzeug für die Expo 1967 in Kanada zu bauen.
Prototyp für die Weltausstellung
Giugaro hatte Bertone inzwischen verlassen, so bekam Marcello Gandini die Gelegenheit, den Alfa Romeo zu entwerfen. Ganz im Stil der Zeit dachte man an einen Mittelmotorsportwagen, aber diese Bauweise wurde dann bereits für den Prototypen verworfen, denn zur Verfügung stand “nur” die Giulia-Plattform.
Von Hand wurden zwei komplette Autos mit Interieur und allem, was zu einem funktionsfähigen Fahrzeug gehört. Die weisse Farbe stand dem 2+2-Sportwagen sehr gut.
Die Automobil Revue schrieb im April 1967:
“An der demnächst beginnenden Weltausstellung in Montreal wird die Marke Alfa Romeo unter anderem mit einem neuen Prototyp vertreten sein, für dessen Antrieb der in Weiterentwicklung befindliche V8-Motor von 2 Liter Inhalt in Betracht kommen könnte.
Die äusserst elegante, durch ihre Schlichtheit bestechende Coupékarosserie mit glatten Seiten- und grossen Glasflächen, Fastback und Steilheck verkörpert die jüngste Schöpfung des zur Zeit besonders aktiven Couturier Nuccio Bertone. Unverkennbar ist eine starke Anlehnung an den am vergangenen Genfer Salon gezeigten Lamborghini Marzal, dessen futuristisches Konzept eine aufsehenerregende Salon-Attraktion bildete.”
Der V8-Motor, der im Rennsport im Alfa Romeo 33/2 eingesetzt wurde, stand allerdings nicht bereit für einen Einsatz im Strassen-Granturismo und so tat in den Prototypen halt ein 1,6-Liter-Giulia-Aggregat mit Einzelvergaser seinen Dienst.
Das elegante Coupé mit neuartigen Designelementen wie den Lufteinlässen in der kombinierten B/C-Säule oder den Augenlidern über den Scheinwerfern kam ausnehmend gut an. Nur kaufen konnte man den schönen Wagen, entstanden als “höchste automobilistische Aspiration des Menschen”, nicht und dies sollte auch einige Zeit so bleiben.
Weltpremiere in Genf
Drei Jahre nach der ersten Vorstellung des Prototyps in Montreal feierte der Sportwagen eine erneute Premiere am Genfer Automobilsalon. Und zwar mit einem im Bug eingebauten V8-Motor, der es in sich hatte. Abgeleitet vom Rennsport-Aggregat des Alfa Romeo 33/2 war ein für den Strasseneinsatz auf 2,6 Liter aufgebohrter V8-Motor mit vier obenliegenden Nockenwellen, mechanischer Spica-Benzineinspritzung und Trockensumpfschmierung für den Montreal entwickelt worden, das seine Kraft über ein ZF-Fünfganggetriebe auf die Hinterachse leitete.
Dass die Fertigstellung der serientauglichen Variante des Alfa Romeo Montreal so lange gedauert hatte, lag nicht zuletzt an den durch den Markt diktierten Prioritäten und hier hatten natürlich Alfasud und Alfetta Vorrang.
Optisch zeigte sich das 4,22 Meter lange und 1,67 Meter breite Coupé weitgehend unverändert, im Detail fanden sich aber dann doch einige Unterschiede, die wohl primär der Produktionsfähigkeit und der Alltagstauglichkeit geschuldet waren. So konnte nun nicht mehr der ganze Vorderteil über der Gürtellinie hochgeklappt werden, sondern nur noch eine kleinere Motorhaube. Die Einlasschlitze vorne auf dem Deckel waren verschwunden und durch einen NACA-Lufteinlass weiter vorne am Fahrzeug ersetzt worden, der allerdings nur zur Schaffung zusätzlicher Bauhöhe benötigt wurde.
Die seitlichen Lufteinlässe waren nicht mehr lichtdurchlässig und die nach Lamborghini aussehenden Leichtmetallräder mussten Campagnolo-Rädern im “Turbina”-Design weichen, wie man sie in ähnlicher Form auch an anderen Alfa-Modellen sehen konnte. Und auch das hübsche Lenkrad mit den gelochten Speichen musste einem Alfa-Standard-Teil Platz machen.
Insgesamt wirkte die Serienvariante etwas weniger filigran, was auch durch die nun etwas kräftiger wirkenden Augenlider über den Scheinwerfern unterstrichen wurde.
Die Presse jedenfalls war begeistert. Cimarosti schrieb in der Automobil Revue vor dem Genfer Salon: “Der Montreal dürfte eine neue Entwicklung bei Alfa Romeo darstellen, die ein Vordringen der Mailänder in die betonte Luxusklasse bedeutet. Die zahlreichen Anhänger der traditionsreichen Marke erwarteten den Achtzylinder mit Ungeduld.”
Produktionsstart für ein vier Jahre altes Auto
Es sollten nochmals 14 Monate ins Land ziehen, bis Alfa Romeo den Beginn der Serienproduktion ankündigen konnte. Im April 1971 wurde die Serienversion den Presseleuten auf der Versuchspiste von Balocco vorgeführt. Selber fahren durften die interessierten Journalisten aber nicht, sie wurden von Spitzenpiloten wie Consalvo Sanesi aber flott und “eindrucksvoll” um den Testkurs geführt.
Als voraussichtlicher Preis wurden in der Automobil Revue damals gut 40’000 Franken angekündigt, an der Technik und der Optik hatte sich kaum mehr etwas verändert seit der ersten Vorstellung ein Jahr zuvor. Erste Auslieferungen wurden für die zweite Hälfte 1971 erwartet.
Begeisterte Testfahrer
Ein Jahr später durften sich dann auch die Journalisten hinter die Lenkräder setzen und sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland war der Testwagen grell-orange gespritzt. Die Fahrleistungen erfüllten die Erwartungen, 7,4 respektive 7,6 Sekunden für den Sprint auf 100 km/h sowie eine Spitze von 229 respektive 223,6 km/h bei den Messungen der Zeitschriften Automobil Revue und Auto Motor und Sport bestätigten das Temperament des neuen Sportwagens. Unisono zeigten sich die Schreiberlinge vom Motor und seiner Laufkultur, aber auch seiner Drehfreudigkeit begeistert.
Jetzt war auch der Preis definiert, der Montreal kostete in der Schweiz CHF 39’500, in Deutschland DM 35’000. Eine Klimaanlage konnte für 2900 Franken dazubestellt werden, der Frontspoiler für 100, elektrische Scheibenheber für 700 Franken.
Die Automobil Revue beschrieb den Wagen als “angenehmen Reisesportwagen für zwei Personen” und gleichzeitig als “echtes Männerfahrzeug für begüterte, überdurchschnittliche Fahrer”. Die Zeitschrift AMS hob nach rund 10’000 Testkilometern die sehr guten Fahrleistungen, den kultivierten Hochleistungsmotor, die gute Heizung und Belüftung sowie das exakt schaltbare Sportgetriebe als Vorteile hervor.
Kritisiert wurden der kleine Benzintank, der grosse Wendekreis, der knappe Federungskomfort und die schlechte Bodenhaftung bei unebener Fahrbahn.
Fahrverhalten?
Schon 1970 hatten Journalisten gemunkelt, ob die Starrachse aus der Giulia dem gesteigerten Temperament des V8 wohl gewachsen sein würden. Und tatsächlich wurden nach den ersten Testfahrten Kritiken laut. Wohl mancher hätte sich eine aufwändigere Konstruktion der Hinterachse gewünscht. Zwar war die gewählte konventionelle Variante gut abgestimmt, doch so ganz befriedigend war dies nicht.
Auto Motor und Sport schrieb: “Dementsprechend sind die Fahreigenschaften des Montreal unproblematisch, aber in keiner Phase brillant. Tatsächlich verhält sich der Wagen neutral auf ebenen Fahrbahnen. Auf schlechten Strassen zeigt sich dagegen eine ausgeprägte Versetzfreudigkeit der starren Hinterachse, die sich selbst auf den Fugen schnell gefahrener Autobahnkurven bemerkbar machen kann.”
Als suboptimal wurde auch das starke Eintauchen des rund 1,3 Tonnen schweren Wagens bei starken Bremsmanövern empfunden.
Preislich gut positioniert
Dem Käufer wurde mit dem Alfa Romeo Montreal realer Gegenwert für sein Geld geboten. Das 3.0 CS Coupé von BMW, der Citroën SM oder der Porsche 911 S lagen preislich auf ähnlicher Höhe oder waren gar (in der Schweiz) deutlich teurer, boten aber keinen rennerprobten Achtzylinder als Antrieb. Trotzdem hatte die Form der selbsttragenden Stahlblech-Karosserie aber natürlich bereits über fünf Jahre auf dem Buckel, als der Wagen endlich käuflich war, während die Konkurrenz mit neuen Autos nachrüstete.
Von der Energiekrise gefährdet
Richtig schwierig wurde es für den Alfa Romeo Montreal aber mit der Benzinkrise. Bei den Präsentationen hatte man die 17 bis 20 Liter Benzin, die das Alfa-Coupé pro 100 km konsumierte noch als artgerecht gesehen, doch mit knappem Treibstoff wurde der Durst des Wagens natürlich zum Problem.
So verlief der Absatz des Coupé doch eher schleppend, 1977 stoppte Alfa Romeo die Produktion, die bei Alfa Romeo (Technik) und Bertone (Karosserie, Zusammenbau) stattgefunden hatte, nach (vermutlich) 3925 Exemplaren. Im Vergleich zu anderen Alfa-Klassikern ist die Überlebensrate relativ gross, da Bertone für die Zeit fortschrittliche Rostschutzmassnahmen ergriffen hatte. Nur die komplexe Technik überforderte manche Werkstätten, was dem einen oder anderen Montreal früher oder später einen Motor-Exitus beschied, obschon die Technik eigentlich durchaus langlebig konzipiert worden war.
Ein echter Gran Turismo
Kaum ein anderes Auto sieht aus wie der Alfa Romeo Montreal. Es reichen kleinste Details und schon wissen Interessierte, was sie vor sich haben. Am ehesten lassen sich noch Parallelen zum Lamborghini Jarama finden, aber selbst die sind gesucht. Soviel Individualität ist selten und so erstaunen denn auch die vielen bewundernden Blicke nicht, die das Coupé streicheln. Aber fast noch mehr als die Optik begeistert der Achtzylindermotor im Bug, der den Wagen zwar etwas kopflastig macht, dessen Klang und Laufkultur aber man nicht missen möchte. Bis über 7000 U/min darf er gedreht werden, damalige Testberichte sprachen sogar von 7500 und sein Klang wechselt dabei von kultiviertem Säuseln bis in ein atemberaubendes Crescendo.
Die Instrumenten-Architektur (von Paolo Martin) beeindruckt auch heute noch.
Der griffgünstig positionierte Schalthebel erlaubt schnelle und präzise Gangwechsel, an den Rennsport erinnert das Schaltschema mit den hinten links liegenden ersten Gang, der das Wechseln zwischen den häufig benötigten Gängen Zwei und Drei erleichtert. Die Fahrleistungen überzeugen, wirken heutzutage aber natürlich weniger eindrucksvoll als vor über 40 Jahren.
Die Rundumsicht nach vorne ist sehr gut, nach schräg hinten allerdings nur knapp genügend. Und heute überrascht das starke Eintauchen des Wagens beim Bremsen noch mehr als früher. Starke Entschleunigungsmanöver werden mit freiem Blick auf den Himmel im Rückspiegel quittiert.
Doch kaum jemand ist heutzutage auf Zeitenjagd und bremst im Montreal auf der letzten Rille, als Oldtimer wird er dafür genutzt, wofür er auch konzipiert wurde, nämlich als Reise-Granturismo für zwei Personen.
Mit zunehmender Wertschätzung
Wegen seiner unorthodoxen Technik und seinem unkonventionellen Aussehen wurde der Alfa Romeo Montreal von den Oldtimerliebhabern über lange Jahre kaum beachtet, so dass die Preise tief blieben und Wartungs- oder Restaurierungskosten schnell über den Wiederverkaufswert stiegen. Dies scheint sich inzwischen geändert zu haben, obwohl der Montreal weiterhin deutlich günstiger ist als die Konkurrenten aus Maranello.
Wir danken der Oldtimer Galerie Toffen für die Gelegenheit zur Probefahrt mit dem weissen Montreal und dem Besitzer des grünen Montreal für die Bereitschaft zur Fotosession.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 17 / 1967 vom 06.Apr.1967 - Seite 3: Am Pulsschlag der Autowelt - Alfa Romeo Bertone
- AR-Zeitung Nr. 10 / 1970 vom 12.Mrz.1970 - Seite 21: Alfa Romeo Montreal - Weltpremiere am Genfer Autosalon
- AR-Zeitung Nr. 25 / 1971 vom 03.Jun.1971 - Seite 49: Alfa Romeo Montreal in Produktion
- AR-Zeitung Nr. 35 / 1972 vom 17.Aug.1972 - Seite 17: Test Alfa Romeo Montreal
- Auto Motor und Sport, Heft 6/1972, ab Seite 44: Test Alfa Romeo Montreal
- Oldtimer Markt Heft 2/1994, ab Seite 8: Alfa Romeo Montreal
- Äusserst umfangreiche englischsprache Website zum Alfa Romeo Montreal
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Trotzdem ist der Montreal alles in allem ein schönes Auto, vor allem in diesen Schreifarben der frühen 70er Jahre, wie dieses unübertroffene Maximalgiftgrün in seiner uni-Ausgabe. In Metallic gab es sie auch, das wirkt aber weniger toll!
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