Vier Zylinder zum Preis von sechs oder acht, das tönt nicht wie ein überragendes Angebot. Doch genau die bot der Alfa Romeo 1900 C Super Sprint der Fünfzigerjahre. Was auf dem Papier wenig verlockend tönen mochte, überzeugte trotzdem die anspruchsvollen Autokäufer, zumal das Coupé mit aufreizend eleganter Karosserie von Touring daherkam und trotz fehlender Zylinder durchaus konkurrenzfähige Fahrleistungen bot.
Erste Neuentwicklung nach dem Krieg
Es war im Jahr 1948, als die Alfa-Romeo-Ingenieure sich an die Entwicklung ihres ersten Nachkriegs-Entwurfs machten, der die Firma in Mailand in die Neuzeit führen sollte, während man mit dem 6C 2500 noch die Früchte der Vorkriegsentwicklungen erntete.
Der Alfa Romeo 1900 war mit selbsttragender Karosserie und hübscher Limousinen-Karosserielinie von Pininfarina ein aussichtsreicher Entwurf, der 1950 am Turiner Salon erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wurde.
Die Automobil Revue beschrieb den Neuankömmling:
“Der neue Alfa besitzt, zum ersten mal in der Geschichte des Werkes, einen Vierzylindermotor, dessen konstruktive Merkmale aber, insbesondere die Ventilsteuerung mit 2 obenliegenden Nockenwellen, der bisherigen Übung der Firma entspricht. Bei einem Hubvolumen von etwa 1,9 Liter wird der Serienmotor rund 80 PS leisten; Motoren der Prototypen kamen spielend auf noch höhere Zahlen. Die normale Ausführung des Wagens ist eine selbsttragende, vierfenstrige Limousine in Pontonbauweise und mit vier Türen, die 5-6 Personen aufnimmt und einen grossen Kofferraum besitzt. Die Aufhängung des Wagens wurde neu entwickelt und besitzt vorn Dreieck-Querlenker mit Schraubenfedern. Die drei oberen Gänge des Vierganggetriebes sind synchronisiert; die Schaltung liegt am Lenkrad, das - ebenfalls zum ersten mal an einem Alfa Romeo - links angeordnet ist.”
Von der Limousine zum Coupé
Viel neues Denken war in die zukunftsweisende Konstruktion geflossen, nur an die Karosseriebauer hatte man anfänglich nicht gedacht. Weil der Alfa Romeo 1900 selbsttragend aufgebaut war, liessen sich nicht so einfach wie beim 6C 2500 individuelle Karosserien auf das Chassis setzen.
Doch Alfa reagierte schnell und entwickelte schon 1951 ein separates Fahrgestell mit um 13 cm kürzerem Radstand (das “C” in 1900 C stand für corto, also kurz) zum 1900, das bereits von den Weiterentwicklungen der Limousine zum “TI” profitierte.
Carozzeria Touring setzte auf dieses neue Fahrgestell eine hübsche Coupé-Karosserie, die wie ein geschrumpfte Variante des 6C 2500 Villa d’Este wirkte. Und sie kam gut an bei den Kunden.
Der “1900 Sprint” besass wie die Limousine TI zunächst 100 PS, die bei 5500 Umdrehungen anfielen.
Sportlicher
Im April 1954 konnte die Automobil Revue eine neue und noch sportlichere Variante des schönen Coupés ankündigen:
“Eine Charakteränderung hat auch das nunmehr als «1900 C Super Sprint» präsentierte Modell erfahren. Aus dem eleganten und sportlichen Luxuswagen ist nun ein luxuriöser und noch eleganterer Sportwagen wesentlich höherer Leistung geworden. Er passt jetzt nicht mehr allein auf die Promenade mondäner europäischer Hauptstädte, sondern ebensogut auch an die Startplätze sportlicher Veranstaltungen. Der gleichfalls auf 1975 cm3 vergrösserte Motor gibt mit den zwei Solex-40-PII-Fallstrom-Doppelvergasern, der vom TI übernommenen Ansaugleitung und Nockenwelle nunmehr eine um 15 PS auf 115 PS gesteigerte Leistung, die durch das neue Fünfganggetriebe (4. Gang direkt, 5. Gang als synchronisierter Schnellgang) noch besser ausgenützt werden kann. … Die Höchstgeschwindigkeit des «1900 C Super Sprint» wird vom Werk mit 190 km/h angegeben, sollte aber in Wirklichkeit noch etwas höher liegen …”
Kurze Zeit später stand der Wagen anlässlich des Turiner Salons dann auch für einen Kurztest zur Verfügung:
“Durch die auf 115 PS erhöhte Leistung und die Erhöhung der Gangzahl von vier auf fünf - viele hatten sie übrigens schon bei der Einführung des Modells im Jahr 1951 angeregt - beim 1900 Super Sprint haben Beschleunigung und Spitze gewonnen, wenn auch der allzu neue Versuchswagen noch nicht genau erkennen Hess, was man alles erwarten darf. Kleine Verbesse- rungen der Federung haben Fahrkomfort und Strassenlage erhöht, und die grossen Fensterflächen vermeiden nunmehr den Eindruck des allzu «geschlossenen» Innenraumes. Dagegen würde man sich noch eine bessere Geräuschdämpfung wünschen, die sowohl durch die beim gewöhnlichen Super vorgenommenen mechanischen Aenderungen wie auch durch stärkere Verwendung von Schallschluckmitteln erreicht werden könnte. Dass man aber mit einem Zweilitermotor, der mit Supertreibstoff ohne weiteres betrieben werden kann, ein Dauertempo von rund 160 km/h einzuhalten imstande ist, sofern es Strasse und Verkehr je erlauben, zeigt, was in dieser Maschine alles an Reserveleistung steckt. Solche schnellen Wagen aber benötigen zur zweckmässigen Unterteilung ihres Geschwindigkeitsbereiches, wie das neue Getriebe deutlich beweist, eben ihre fünf Gänge. Sie sind beim 1900 Super Sprint durch geeignete Wahl der Abstufung und Aenderung der Hinterachsuntersetzung (vierter Gang etwas weniger schnell, fünfter Gang etwas schneller als der frühere vierte) vernünftig festgelegt.”
Super Sprint im Vergleich mit Lancia, Fiat und Pegaso
H.U. Wieselmann fuhr den Alfa Romeo Super Sprint im Frühherbst 1954. Er hatte die Gelegenheit, ihn mit dem Lancia Aurelia B20 2500 GT, dem Fiat 8V und dem Pegaso Z-102 zu vergleichen. Seine Eindrücke, abgedruckt im Heft 21/1954 von Auto Motor und Sport, sollen hier komplett wiedergegeben werden:
“Den Alfa Romeo Super Sprint fuhr ich erst kürzlich eine Woche lang in Oberitalien. Er ist - als Vierzylinder und überhaupt - nicht so vornehm kultiviert wie der Lancia. Als einziger der hier besprochenen Sportwagen mit starr aufgehängten Hinterrädern versehen, schluckt er auch die Unebenheiten der Straße nicht so unmerklich wie die anderen, ist im Motor etwas rauher und unelastischer - aber, Freunde, trotz allem: was für ein Auto! Der Doppelnockenwellen-Vierzylinder gibt bei 6000 U/min 125 PS aus zwei Litern Hubraum, das sind 63,2 PS pro Liter. Wollte man diese spezifische Leistung auf den Lancia-Hubraum beziehen, so müßte der 158 PS abgeben (Anmerkung Redaktion, der B20 GT leistete 118 PS)!
Leider war mein Super Sprint in den Vergaserübergängen nicht richtig abgestimmt, und die ebenso liebenswürdigen wie gleichmütigen Alfa-Ingenieure gaben sich keinerlei Mühe, das zu ändern. Ja, wenn ich ein Rennen damit hätte fahren wollen! Aber einen Test? So sind die gemessenen Beschleunigungswerte keineswegs optimal (Anmerkung Redaktion: 1 km mit stehendem Start in 35,7 Sekunden), und auch die mit 188 km/st gemessene Spitze dürfte nicht das allerletzte Wort sein. Lenkung und Kurvenlage sind großartig; ich habe immer von neuem versucht, den Alfa einmal zum Wegwischen der Hinterpartie zu bewegen, bin viel zu rasch in mittelschnelle Kurven hineingegangen - er tut es nicht. Ein Auto, das vieles verzeiht.
Weiterhin großartig ist das Fünfganggetriebe und die überaus geschickt gelöste Lenkradschaltung. kein Haken, kein Scharren - sie funktioniert in jedem Gang, immer. Auch der 1. Gang ist, wie es sich für einen Sportwagen gehört, synchronisiert.
Motor dreht bis 6500 ohne weiteres und notfalls auch bis 6700, die Bremsen, turbogekühlt mit großen Luftleitblechen, sind ausgezeichnet, der Verbraucht für die Fahrleistungen sagenhaft gering, die Ausstattung und der Innenkomfort zufriedenstellend, wenn auch nicht luxuriös, - ja, und eine bislang einmalige Erfahrung: im Alfa zieht es nicht. Man kann eine oder beide Scheiben herunterdrehen und so schnell fahren, wie man will: es zieht einfach nicht.
Das Auto selbst mit dem winzigen Kühlergrill und den riesigen Fensterflächen, von Touring karossiert, kann sich überall sehen lassen, wo sich schöne und interessante Wagen ein Stelldichein geben. Mir jedenfalls hat er ungetrübte Freude gemacht. Man spürte ihm in jeder Einzelheit die Abstammung aus einem Hause an, das sich seit langem auf den Bau schneller und gutliegender Automobile versteht. “
Sehr teuer
Was Herr Wieselmann nicht erwähnte, war der Preis! DM 25’500 verlangte Alfa Romeo für den Super Sprint im Jahr 1955 (die Limousine kostete DM 17’950). In der Schweiz kostete das Coupé CHF 25’500 (die Limousine CHF 18’500). Ein BMW 502 kostete als Limousine mit acht Zylindern damals CHF 24’200, ein Jaguar XK 140 als Coupé mit sechs Zylindern CHF 21’200, der Lancia Aurelia B20 GT war als Sechszylinder-Coupé für CHF 26’900 zu haben, der Mercedes-Benz 300 SL machte den Käufer als Flügeltürencoupé CHF 33’500 ärmer, während jener in Deutschland “nur” unwesentlich mehr kostete als der Alfa Romeo. Der Super Sprint war also ein teures vierzylindriges Vergnügen!
Die neue Linie
Im März 1956 zeigten Alfa Romeo und Carrozzeria Touring auf dem Genfer Autosalon ein umgestaltetes Coupé 1900 Super Sprint.
Angekündigt wurde das in ihrer Formgebung als “wahre Meisterleistung des modernen Karosseriebaues” beschriebene Modell bereits ein paar Tage zuvor:
“Das Modell 1900 Super Sprint, das als zweiplätziger Sportwagen von Alfa Romeo heute ungefähr jenen Platz einnimmt, der früher den Modellen Villa d'Este mit 2 1/2-Liter-Motor zukam, hat im Hinblick auf den Genfer Salon eine neue, wiederum vorbildlich geformte Karosserie von Touring erhalten. Gegenüber der bisherigen Ausführung, die hinter den Türen zwei kleine Seitenfenster aufwies, sind nun lediglich noch die beiden in die Türen versenkbaren Seitenscheiben vorhanden.
Durch die etwas tiefere Anordnung des Motors konnte die Motorhaube vorne stärker abfallend gestaltet werden; dadurch ist die Front zierlicher geworden und erinnert ein wenig an das kleinere Modell Giulietta Sprint. Mit der sparsamen Verwendung von Zierstreifen, die weniger als selbständiges Zierat als vielmehr zur Markierung von Linien und Wölbungen dienen, kommt die makellose Formgebung ausgezeichnet zur Geltung. Der Preis dieses edlen Fahrzeugs, das normalerweise als Zweisitzer gebaut wird, aber auf Wunsch auch mit zwei Notsitzen ausgerüstet wird, beträgt 24’500 Fr. und liegt etwas tiefer als beim bisherigen Modell.”
Diese letzte Version des 1900 Super Sprint wird heute auch als “Drei-Fenster-Coupé” bezeichnet.
Sehr selten
Touring baute vier Serien des kurzen Coupés auf der Plattform des Alfa Romeo 1900. Die Anzahl gebauter Exemplare blieb übersichtlich, man spricht von rund 800 Exemplaren, wovon das ab 1955 bis 1958 gebaute Drei-Fenster-Coupé auf 599 produzierte Autos kam. Der Preis war sicherlich ein Hindernis für eine grössere Verbreitung, aber es gab auch viel Konkurrenz, denn Alternativen auf Basis derselben Technik wurden auch von Karosseriebauern wie Zagato, Pinin Farina, Ghia, Ghia-Aigle sowie Bertone angeboten.
Unterwegs
Setzt man sich heutzutage in den Alfa Romeo 1900 C Super Sprint, dann überrascht zunächst das luftige und lichtdurchflutete Interieur. Trotz fehlenden hintere Seitenfenstern ist die Rundumsicht hervorragend. Vor dem Fahrer informiert eine eindrückliche Uhrensammlung mit sechs originell, aber nicht unbedingt leicht abzulesenden Instrumente über Geschwindigkeit, Benzinstand, Wassertemperatur, Öldruck, Öltemperatur und Drehzahl. Rechts vom Lenkrad fällt die Hand fast direkt auf den Mittelschalthebel, den es schon damals als Option gab, während die Lenkradschaltung Serienausstattung war.
Gestartet wird der Alfa über das Zündschloss links vom Lenkrad am Armaturenbrett. Und sofort beginnt der Vierzylinder sein melodiöses Lied anzustimmen.
Das Coupé wirkt beim Fahren kompakter als es mit 4,4 Metern Länge und 163 Zentimetern Breite ist, was sicherlich auch am geringen Basisgewicht von rund einer Tonne liegt.
190 km/h wurden damals ans Höchstgeschwindigkeit genannt, so toll will man es heute im raren Alfa Coupé nicht mehr treiben. Aber mit dem Verkehr kann man spielend mithalten und auch die Teilnahme an einer längeren Rallye verlangt nicht nach einer masochistischen Einstellung. Einzig das etwas seltsam platzierte stehende Kuppungspedal verlangt nach Angewöhnung und die originell gekennzeichneten Schalter wollen zuerst sorgfältig studiert werden.
Das eigentlich eher unauffällig eingekleidete Coupé gefällt auch den Passanten am Rande der Strasse und der heiter klingende Zweinockenwellenmotor erregt trotz hörbarer Aussprache keine Hasstiraden. So macht Oldtimerfahren Spass!
Wir danken der Oldtimer Galerie für die Gelegenheit zur Probefahrt.
Weitere Informationen
- AR-Zeitung Nr. 23 / 1950 vom 17.Mai.1950 - Seite 13: Italienische Neuigkeiten (Alfa Romeo 1900)
- AR-Zeitung Nr. 19 / 1954 vom 21.Apr.1954 - Seite 17: Alfa Romeo erweitert sein Bauprogramm
- AR-Zeitung Nr. 22 / 1954 vom 12.Mai.1954 - Seite 18: Turiner Kurzteste 1954 - Alfa Romeo 1900 Super Sprint
- AR-Zeitung Nr. 10 / 1956 vom 07.Mrz.1956 - Seite 7: Neue Karosserie für den Alfa Romeo 1900 Super Sprint
- Auto Motor und Sport Heft 21/1954, ab Seite 12: Unterwegs mit schnellen Fremden, u.a. Alfa Romeo Super Sprint
- Oldtimer Markt Heft 4/1998, ab Seite 8: Alfa Romeo 1900
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