Endlich. Es wurde viel diskutiert und gemutmasst. Jetzt liegen Zahlen vor, die die Schweizer Oldtimerszene beschreiben. Am 1. Juli 2020 konnte der Präsident des Schweizer Oldtimerverbands SHVF die Studie, die vom Herbst 2019 bis in den Frühling 2020 erarbeitet wurde, präsentieren. Der ursprüngliche Vorstellungstermin musste wegen Corona zwar verschoben werden, aber den Zahlen hat dies sicherlich nicht geschadet.
Nach österreichischem Muster
Gezielt setzte der SHVF, der fast CHF 50’000 in diese Studie investierte, auf Bewährtes. In Österreich wurde nämlich bereits 2017/2018 eine Untersuchung des Oldtimerwesens durchgeführt und die Ergebnisse und Vorgehensweise wirkten so überzeugend, dass auch die Schweizer ähnlich an die Thematik herangingen.
Natürlich musste trotzdem einiges angepasst werden, denn obwohl die Länder ähnlich aufgestellt sind, gibt es Unterschiede in der Sprache und in den Definitionen. Und in der Schweiz wurde die Studie natürlich zweisprachig (deutsch/französisch) durchgeführt und auch die Auswertungen liegen in den beiden wichtigsten Schweizer Landessprachen vor.
Befragt wurden im zweiten Halbjahr 2019 statistisch sorgfältig ausgewählte Publikumsvertreter (420), Besitzer (3600 ausgefüllte Fragekataloge), Oldtimer-Clubpräsidenten (62) und Branchenvertreter (57 Unternehmen).
Die Schweizer sind im Grundsatz oldtimerfreundlich
Bernhard Täschler, Präsident des SHVF, fasste an der Pressekonferenz vom 1. Juli 2020 die Ergebnisse zusammen.
- 92% der Schweizerinnen und Schweizer über 18 Jahren finden, dass Veteranenfahrzeuge etwas besonderes sind
- 89% finden, dass diese Veteranenfahrzeuge Kulturgut sind und deshalb erhalten bleiben sollen
- 53’000 Schweizer (zu 96 % männlichen Geschlechts) besitzen ingesamt 179’000 Veteranenfahrzeuge (Autos, Motorräder, Traktoren oder Nutzfahrzeuge mit einem Alter von mindestens 30 Jahren (Oldtimer) oder 20 Jahren (Youngtimer), die nicht im täglichen Einsatz stehen)
- Jeder Veteranenliebhaber besitzt im Schnitt 3,2 Fahrzeuge
- Im Durchschnitt ist ein Veteranenauto CHF 63’000 wert
- Ein Veteranenauto verursacht rund CHF 5000 direkte Kosten pro Jahr
- Im Schnitt werden 790 km pro Veteranenfahrzeug zurückgelegt pro Jahr, was einen Anteil von rund 0,1% an der Gesamtfahrtleistung bedeutet
- Automobil-Erlebniszentren
- Autohandel (Oldtimer & Youngtimer)
- Reinigung & Pflege
- Wartung & Reparatur
- Allgemeine Wartung
- Restaurierung & Projekte
Mercedes, Porsche
Ein bisschen Gegenwind
Bei der Publikumsbefragung gab es allerdings auch 8%, die fanden, dass alte Fahrzeuge auf den Schrottplatz gehören. Und je nach Perspektive sind 38%, die Veteranenfahrzeuge gerne weiterhin auf den Strassen fahren sehen wollen und 44%, die sich freuen, wenn sie ein solches Fahrzeug vorbeiziehen sehen, kein komfortables Ruhekissen, auf dem sich die Oldtimerbranche ausruhen kann.
Erhebliche Wirtschaftsleistung
Der Wert, den die Veteranenfahrzeuge verkörpern ist mit rund CHF 7,7 Milliarden gross, die Wirtschaftsleistung mit CHF 836 Mio pro Jahr ebenso, zumal sie grossteils im eigenen Lande erbracht wird.
Und weil Oldtimerfahrer reise- und konsumfreudig sind, sind sie gerade für die Tourismusbranche im eigenen Lande eine interessante Zielgruppe, schliesslich übernachten die Veteranenfahrer oft anlässlich der Veranstaltungen auswärts.
Sind Österreicher oldtimerfreundlicher als die Schweizer?
Interessant ist natürlich auch der Vergleich der Ergebnisse in Österreich und der Schweiz. Man muss allerdings beachten, dass die österreichische Studie bereits 2017/2018 durchgeführt wurde, als noch kaum jemand vom “Green Deal” und von Klimabewegungen gesprochen hat. Trotzdem lassen sich natürlich interessante Vergleiche anstellen, auch wenn nicht alle Definitionen komplett übereinstimmen und die Verwendungsmuster sich unterscheiden.
Befragungskriterium |
Schweiz (2019/2020) | Österreich (2017/2018) |
---|---|---|
Interessieren sich für Oldtimer | 1 Mio | 1 Mio |
Besitzen mind. 1 Oldtimer | 53000 | 96000 |
Bestand Oldtimer | 156000 | 257800 |
Sehen Oldtimer als Kulturgut, das erhalten werden soll | 3,2 Mio | 4,6 Mio |
Freuen sich, wenn sie einen Oldtimer sehen | 2,8 Mio | 4,2 Mio |
Wollen Oldtimer weiterhin auf der Strasse sehen | 2,6 Mio | 3,4 Mio |
Halten Oldtimer für ein teures Hobby | 3,2 Mio | 4,3 Mio |
Alter des typischen Oldtimerfahrers | 51-70 | 41-60 |
Oldtimerfahrer sind männlichen Geschlechts | 96% |
94% |
Durschschnittliche Fahrleistung Oldtimer-Auto | 790 km | 700 km |
Bestandeswert hist. Fahrzeuge | CHF 7,7 Mia | EUR 3,7 Mia |
Anz. Oldtimer im Besitz im Durchschnitt | 3,2 | 3,2 |
Direkte Ausgaben pro Oldtimer-Auto | 5000 | EUR 2700 |
Durchschnittlicher Wert Oldtimer-Auto | 63000 | EUR 23'000 |
Nutzen Internet als Hauptinformationsquelle | 38% |
33% |
Nutzen Printzeitschriften als Hauptinformationsquelle | 17% |
20% |
Oldtimerbesitzer, die mind. 1 Veranstaltung pro Jahr besuchen | 92% |
85% |
Wirtschaftsleistung im Zusammenhang mit historischen Fahrzeugen | CHF 836 Mio | EUR 690 Mio |
Insgesamt scheinen die Österreicher dem Oldtimer/Veteranenfahrzeug positiver gesinnt zu sein als die Schweizer. Auch der Bestand ist höher, allerdings ist er im Schnitt etwas günstiger eingestuft.
Sind die Besitzer junger Klassiker nicht jünger?
Gesondert ausgewertet wurden die Youngtimer-Besitzer, in der Studie “New Classics” genannt. Überraschenderweise sind die Besitzer dieser Fahrzeuge kaum jünger als der übliche Oldtimerbesitzer (51 bis 70 Jahre alt). Nur gerade 23 % der New-Classic-Besitzer sind unter 50 Jahre alt. 64 % besitzen allerdings “nur” ein solches Fahrzeug. Und er durchschnittliche Wert liegt mit 37’000 gegen 61’000 deutlich unterhalb des durchschnittlichen Veteranen-Autos.
Es ist durchaus denkbar, dass hier die Methodik die Ergebnisse etwas beeinflusst hat, schliesslich beruht die Besitzeranalyse auf Basis von Online-Fragebogen und diese wurden natürlich über die Kanäle vermarktet, die wohl vor allem ein klassisches Oldtimerpublikum ansprechen.
Natürlich kann man bei derartigen Studien immer ein Haar in der Suppe finden, aber die Freude darüber, endlich eine aktuelle Zahlenbasis zum Schweizer Oldtimerwesen zu haben, überwiegt bei weitem.
Die Studie kann online auf der Website des Verbands SHVF heruntergeladen werden.